Dorothea Sattler fordert ein neues Nachdenken über die Möglichkeit des amtlichen kirchlichen Dienstes von Frauen auch in der katholischen Kirche
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Dorothea Sattler
Auch Frauen in sakramentalen Dienstämtern?
In gesellschaftspolitischer Verantwortung sind Frauen vor allem in Europa und Nordamerika – gelegentlich auch an anderen Orten – in leitender Position zunehmend präsent. Die Kompetenzen im Hinblick auf die Übernahme ihrer Tätigkeiten sind bei der Wahl von Frauen entscheidend, nicht das Geschlecht bestimmt heute über die Berufung einer Persönlichkeit in ein leitendes politisches Amt. Wäre dies nicht auch eine willkommene Option für jene Kirchen, die sich noch nicht für die Ordination von Frauen zum Diakonat, Pfarramt und Bischofsamt entschieden haben – für die Römisch-katholische Kirche und für die Orthodoxen Kirchen? Könnte es nicht sein, dass die von vielen Frauen in jenen kirchlichen Traditionen, die die Frauenordination ablehnen, heute empfundene Eignung für das Amt der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums von Gott selbst so gewollt ist? Wer vermag den Willen Gottes im Hinblick auf die Gestalt der Kirche, die er wünscht, plausibel zu erschließen?
Viele – nicht alle – evangelische Kirchen haben sich im 20. Jahrhundert entschieden, auch Frauen zu ordinieren – im Widerspruch gegen eine lange, eher skeptische eigene Tradition. Immerhin hatte sich Martin Luther auf Paulus berufen können, der es für angeraten erachtete, dass Frauen in der öffentlichen Gemeindeversammlung schweigen (vgl. 1 Kor 14,26-36). Erst im Kontext des 2. Weltkriegs, als viele Männer in den evangelischen Gemeinden fehlten, wurde das Argument gestärkt, vor allem sei es wichtig, zunächst überhaupt den Predigtdienst durch qualifizierte Persönlichkeiten zu sichern – egal ob durch einen Mann oder eine Frau. Die Gewährleistung der Verkündigung des Evangeliums erschien wichtiger als die Bewahrung der institutionellen Ordnung einer sozialen Institution – so sieht es die evangelische theologische Tradition auch im Hinblick auf andere Kriterien bei der Übernahme eines kirchlichen Dienstamtes bis heute.
Manche Worte in paulinischer Tradition haben bei unserer Thematik eine intensive Wirkungsgeschichte. In seinem Brief an die Korinther rät Paulus: Die Frau möge nicht öffentlich lehren; sie soll sich still verhalten und zu Hause ihren Mann befragen, wie das Evangelium auszulegen sei. Heute wissen wir um die geschichtlichen Hintergründe dieses späten, wohl erst nach dem Tod von Paulus entstandenen nachträglichen Einschubs in den ersten Korintherbrief: Allzu eifrige, von Frauen dominierte Gruppierungen waren in den christlichen Gemeinden tätig und stellten in den ersten Jahrzehnten die eingeübten Ordnungen in den judenchristlichen Gemeinden von Grund auf in Frage. Alles sollte anders werden. In Erinnerung an die vielen Frauen in der Nähe von Jesus beanspruchten Frauen der zweiten und dritten Generation ihre persönliche Autorität. Ein Gerangel um Dienste und Aufgaben gab es offenkundig von früher Zeit an. Die von Männern verantwortete Leitung der Gemeinden leistete Widerstand und setzte sich als Modell durch – mit Konsequenzen für viele Jahrhunderte des Christentums.
Wie betrachtet Gott selbst die Frage der Geschlechterzugehörigkeit auf der institutionellen Ebene des Christentums? Ich finde es wichtig, sich als Mensch zunächst der Herausforderung bewusst zu werden, die mit dieser Frage verbunden ist. Was können wir Menschen überhaupt von Gott wissen? Eine Antwort auf die gestellte Frage wird in lehramtlichen Schriften durch den Blick auf das Handeln Jesu versucht. Eine Vorannahme ist dabei gegeben: Jesus wusste um den Willen Gottes und handelte entsprechend. Kann dies stimmen? Unbestritten ist in der fachlich geprägten Literatur, dass es im persönlichen Freundeskreis um den Wanderprediger Jesus viele Frauen gab, die seiner Botschaft trauten und ihn auf den Wegen begleiteten. Zugleich wird in den Namenslisten für den Kreis der zwölf Apostel, die Jesus nach Auskunft der Evangelien in einen besonderen Dienst seiner Nachfolge berufen hat, keine Frau erwähnt. Dennoch ist es nach dem Johannes – Evangelium (vgl. Joh 20, 11-18) Maria von Magdala, die als erste dem auferstandenen Jesus Christus begegnet und von ihm persönlich als Zeugin für ihn und sein neues Leben zu den Aposteln gesendet wird. Auch Paulus hat nach seiner Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus für sich und seinen Dienst der Verkündigung der österlichen Botschaft den Begriff des Apostels beansprucht, obwohl er Jesus nicht persönlich kannte und seine Anhänger zunächst verfolgte. Bei der Steinigung des Stephanus sah Paulus zu; er war dafür verantwortlich (vgl. Apg 7,54 – 8,1). Es gibt nach dem Neuen Testament jedenfalls mehr als zwölf Apostel.
Offenkundig waren die Aufgabenbereiche in den frühen christlichen Gemeinden auf die konkreten Herausforderungen vor Ort bezogen: Wer Fähigkeiten, Begabungen, Charismen hatte, sollte sie einbringen in das mühsame Geschehen der Bildung der ersten christlichen Gemeinden. Der gläubige Bezug auf die Verkündigung der Wende der eigenen Lebensexistenz durch den Glauben an Jesus Christus war dabei entscheidend. Paulus verkündigt nach seiner Bekehrung, dass in der Gemeinschaft mit Jesus Christus alle Gegensätze an Bedeutung verlieren – auch jene zwischen Mann und Frau (vgl. Gal 3,28).
In der Geschichte des Christentums hat sich sehr bald eine Gestalt der amtlichen Verantwortung etabliert, die den damaligen gesellschaftlichen Erwartungen entsprach. Dienste von Frauen in der Öffentlichkeit erschienen lange Zeit als unangemessen. Lediglich bei der Taufe von erwachsenen Frauen (durch Untertauchen) sowie bei der christlichen Unterweisung von Frauen in Privathäusern waren Frauen längere Zeit als Diakoninnen tätig. Frühe kirchamtliche Quellen belegen dies und bezeugen auch, dass es eine liturgische Feier zur Übergabe dieses Amtes unter Gebet und Handauflegung gab. Dies ist der Hintergrund für die gegenwärtig wieder neu aufgenommene Frage, ob das Diakonat der Frau durch die Tradition begründet ist. Papst Franziskus hat 2016 eine Kommission eingesetzt, die durch historische Studien (erneut) klären soll, welche Aufgaben Frauen in den ersten Jahrhunderten in den Kirchen innehatten und wie diese Tätigkeiten theologisch zu qualifizieren sind. In manchen orthodoxen Patriarchaten wird die alte Tradition des Diakonats von Frauen gegenwärtig wieder eingeführt. Immerhin ist auch im Neuen Testament eine Frau mit dem Namen Phoebe genannt, die Diakonin in der Gemeinde von Kenchreä (ein Hafen von Korinth) war (vgl. Röm 16,1).
Nicht nur Frauen halten heute ein neues Nachdenken über die Möglichkeit des amtlichen kirchlichen Dienstes von Frauen für geboten. In den ökumenischen Gesprächen über die sichtbare Einheit der Kirchen darf diese Thematik nicht ausgespart bleiben. Begründungspflichtig ist der Ausschluss der Frauen vom Amt mit all den Konsequenzen, die dies hat. Eine Zulassung zur Partizipation auch von Frauen an kirchlichen Entscheidungsprozessen ist sehr wichtig. Das Bild von den Kirchen verändert sich erheblich durch die Beteiligung von Frauen in amtlicher Tätigkeit. Theologische Argumente dafür gibt es. In der gegenwärtigen römisch-katholischen kirchlichen Verfassung müssten Männer ihnen Bedeutung beimessen – sie beraten dürfen auch Frauen immerhin.
Dorothea Sattler (1961) ist Professorin für Ökumenische Theologie und Dogmatik an der Westfälischen Wilhelms – Universität Münster und Direktorin des Ökumenischen Instituts der Katholisch-theologischen Fakultät sowie Sprecherin des Sachbereichs 1 (Theologie – Pastoral – Ökumene) im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).