Ulrich Ruh unterstreicht, dass Aufgabe von Mission sei, das Interesse am Christentum als religiösem, ethischem und kulturellen Gesamtkunstwerk wach zu halten oder auch neu zu wecken.
Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.
Ulrich Ruh
Mission impossible?
„Unsere Heimatländer sind Missionsländer geworden.“ So heißt es in der Präambel zu zehn „Thesen für das Comeback der Kirche“, die das Gerüst eines kürzlich veröffentlichten Buchs mit dem plakativen Titel „Mission Manifest“ ausmachen. Die Autorinnen und Autoren des Bandes sind von der Überzeugung durchdrungen, dass Christentum und Kirche hierzulande einen missionarischen Aufbruch dringend nötig haben und werben offensiv für dieses Anliegen: „Wir wollen, dass Mission zur Priorität Nummer eins wird.“
Der Anstoß von „Mission Manifest“ kommt nicht von ungefähr, sondern speist sich aus einem durchaus nachvollziehbaren Unbehagen angesichts der in vieler Hinsicht prekären Situation der etablierten großen christlichen Kirchen in Deutschland beziehungsweise im deutschsprachigen Raum wie im Blick auf die unsichere kulturell- religiöse Gemengelage der späten Moderne. Nicht wenige Christenmenschen, denen ihr Glauben und dessen Verbreitung wichtig sind, stoßen sich auch an der im kirchlichen Apparat nicht selten anzutreffenden Mentalität eines selbstgenügsamen, realitätsblinden Weiterwurstelns.
Nun ist nicht zu bestreiten, dass Mission sozusagen zur christlichen DNA gehört, angefangen vom Auftrag des auferstandenen Jesus am Schluss des Matthäusevangeliums, alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen (Mt 28,19). Und die letzten Jahrhunderte der europäischen und auch nordamerikanischen Christentumsgeschichte wurden in erheblichem Maß von Bewegungen mitgeprägt, denen es in verschiedenen konfessionellen Varianten um neue missionarische Dynamik, um Bekehrung und Erweckung einer „toten Christenheit“ ging. Aber gerade deshalb ist die Frage unerlässlich, wie Mission unter den gegenwärtigen Bedingungen aussehen kann und wie es um ihre Erfolgsaussichten steht.
Zugespitzt formuliert: Wir leben in weiten Teilen Europas in einer Situation, wie sie für das Christentum als Religion und für die Kirche als Institution noch nie zuvor bestanden hat. Denn weder der christliche Glaube als Bekenntnis zu dem Gott, wie er sich in Jesus Christus unüberbietbar, auf einzigartige Weise mitgeteilt hat, noch die spezifische Sozialform Kirche sind für unsere Zeitgenossen im Normalfall aus sich heraus einleuchtend oder haben eine plausible, gar unverzichtbare Funktion für das gesellschaftliche Zusammenleben. Zweifellos fehlt es nicht an gesellschaftlich- kulturellen Krisensymptomen, die viele Menschen hierzulande mehr oder weniger heftig umtreiben: Es gibt das Leiden an den diversen Begleiterscheinungen der Globalisierung und eine entsprechende Sehnsucht nach Geborgenheit in abgegrenzten Gemeinschaften, es gibt auch die Herausforderung durch die „spätmoderne Gesellschaft der Singularitäten“ mit ihrer „Krise des Allgemeinen“ (Andreas Reckwitz).
All das berührt in einem gewissen Umfang auch den Bereich weltanschaulicher Vorstellungen und religiöser Bestände oder Bedürfnisse.
Aber deswegen werden christlicher Glaube und Kirche nicht schon zum plausiblen Schlüssel für den Umgang mit den entsprechenden individuellen oder kollektiven Defiziten oder zum naheliegenden Gegenmittel angesichts unleugbarer Identitäts- und Verständigungsprobleme. Zum einen federn stabile wirtschaftliche Verhältnisse und rechtsstaatlich- demokratische Rahmenbedingungen, wie sie hierzulande dankenswerter Weise vorhanden sind, viele Krisenerscheinungen ab. Zum anderen sind Glaube wie kirchliche Gemeinschaft als real existierende Größen immer auch eine Mischung aus Ansehnlichem und Unansehnlichem, Gelungenen und Ärgerlichem, und so mit erheblichen Ambivalenzen belastet.
Zu den unbestreitbaren Pluspunkten der christlichen Präsenz in modernen europäischen Gesellschaften gehören einerseits das reiche kulturelle Erbe in Form von Kirchengebäuden, Gemälden, Skulpturen, musikalischen und literarischen Werken, andererseits ethische Prägungen, die in die politischen Strukturen und normativen Vorgaben des Rechts- und Sozialstaats eingegangen sind und auch aus dem alltäglichen Verhalten vieler Menschen nicht wegzudenken sind. Die Kehrseite dieser Medaille: Es gibt nicht wenige Zeitgenossen, die zwar die kulturellen Hervorbringungen des Christentums schätzen und das mit ihm verbundene Ethos als sinnvollen Kitt für das gesellschaftliche Zusammenleben hoch halten, es aber dabei aus durchaus respektablen Gründen belassen, ohne Glauben und kirchlicher Gemeinschaft näher zu treten oder sich gar fest daran binden. Es wäre allerdings unangemessen, ein solches Verhältnis zum Christlichen als bequemes „Kulturchristentum“ oder als defizitäre „Humanitätsreligion“ abzuqualifizieren, wobei ein entsprechender abwertender Zungenschlag dem „Mission Manifest“ leider nicht ganz fremd ist.
Es spricht insgesamt nur wenig dafür, dass es in unseren Breiten in absehbarer Zeit zu so etwas wie einer spürbaren Erweckungsbewegung im Sinn einer neuen gesellschaftlichen Zuwendung zum christlichen Glauben kommt. Auch die Angst vor einer „Islamisierung“ des christlichen Abendlands wird die Menschen kaum wieder massenhaft in die Kirchen treiben, zumal noch längst nicht ausgemacht ist, wie sich der Islam in Deutschland und anderen europäischen Ländern mittel- und längerfristig entwickeln wird. Auch in Zukunft führt also in Sachen Mission kein Weg an dem klugen Diktum eines ostdeutschen Kirchenmanns vorbei, der vor Jahren auf dem Hintergrund seiner regionalen Erfahrung formuliert hat, die Kirche habe die Menschen in Massen verloren, sie könne sie jetzt nur als Einzelne wieder zurückgewinnen. Ermutigende Beispiele dafür gibt es sowohl in den östlichen, aber auch in den westlichen Bundesländern und es fehlt auch nicht an diversen Aufbrüchen im Kleinen. Wichtig ist aber vor allem, ob und wie es gelingt, bei unseren Zeitgenossen das Interesse am Christentum als religiösem, ethischem und kulturellen Gesamtkunstwerk wach zu halten oder auch neu zu wecken. Was dann daraus für die Kirchen wird oder werden kann, lässt sich ohnehin nicht voraussagen.
Ulrich Ruh (1950) ist Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau und war 1991 – 2014 Chefredakteur der “Herder Korrespondenz”. Er studierte Katholischen Theologie und der Germanistik in Freiburg und Tübingen . Danach war er bis 1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Freiburg (Prof. Karl Lehmann), am Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie. 1979 wurde er in Freiburg mit einer Arbeit über Begriff und Problem der Säkularisierung zum Dr. theol. promoviert und trat im gleichen Jahr i die Redaktion der “Herder Korrespondenz” ein, deren Chefredakteur er von 1991 -2014 war. Seit 2015 gehört er der Redaktion von kreuz-und-quer.de an.