KOMPROMISSLOSES NEIN ZUR PRIVATGEWALT

Stephan Eisel erinnert nach den brutalen Gewalttaten gegen den Hamburg G20-Gipfel daran, dass die Überwindung des Faustrechts eine zivilisatorische Errungenschaft zum Schutz der Schwachen war und verteidigt werden muss.

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Stephan Eisel

Kompromissloses Nein zur Privatgewalt

Es geht um eine Grundfrage unserer Zivilisation

Der G20-Gipfel ist vorbei. Zur Bilanz gehören auch 476 verletzte Polizisten, Gewalttätig­keiten aller Art, Stahlgeschosse gegen Polizisten, Brandstiftungen und Plünderungen. Die Brutalität der Gewalt war nach Aussage vieler Experten beispiellos. Ebenso erschreckend sind die Versuche der Verharmlosung und Rechtfertigung dieser Brutalität. Zu den Gewalt­tätern gesellen sich geistige Brandstifter, die mit ihren Verharmlosungen und Rechtfertigun­gen in Wahrheit offene Beihilfe zur Gewaltausübung leisten.

Ein Beispiel dafür ist der angeblich „linksliberale“ Journalist Jacob Augstein. Seit 2013 ist er Chefredakteur der Wochenzeitung „Freitag“, die er bereits 2008 gekauft hat. Aus der pri­vilegierten Position des Eigentümers, Verlegers und Chefredakteurs in einer Person twitterte der gern gesehene Gast in Fernseh-Talkshows vor dem G20-Gipfel am 6. Juli: „Der Preis muss so in die Höhe getrieben werden, dass niemand eine solche Konferenz ausrichten will.“

Dieser ziemlich unverhohlenen Ermutigung radikaler Gewalttäter folgte einen Tag später Augsteins Weigerung, Gewalttaten zu verurteilen. Die Bundesregierung hatte nach den er­sten verletzten Polizisten in Hamburg getwittert: „Friedliches demonstrieren, ja! Für Gewalt gibt es keine Rechtfertigung!“ Augsteins unmittelbare Antwort darauf: „Widerspruch ! Der Gipfel selbst tut der Stadt Gewalt an ! Mündige Bürger werden zur Kulisse von Despoten gemacht.“

Wer wie Augstein und verschiedene Vertreter der Linken zu einer klaren Ablehnung von Gewalt nicht mehr fähig ist, ebnet den Weg für das Faustrecht der Stärkeren, das sich immer gegen die Schwachen richtet. Hier unterscheiden sich linksextreme Gewalttäter und Plün­derer von Hamburg nicht von Hooligans oder Neonazis und deren Brandanschläge gegen Flüchtlingsheime.

Schon im Gesetzeskodex des Hammurabi (1728-1686 v. Chr.) wird als Staatszweck formu­liert, dass man „den Starken daran hindere, den Schwachen zu bedrücken“. Für uns in Euro­pa war auf dem Weg durch Zivilisation das Faustrecht zu besiegen der am 7. August 1495 verkündete „Ewige Landfriede“ eine wichtige Etappe, weil dieses Gesetz erstmals Gewalt als Mittel zur Durchsetzung des eigenen Willens ächtete. Im bis heute prägenden Preußi­schen Landrecht von 1794 hieß es dann verbindlich: „Durch Handlungen unerlaubter Privat­gewalt kann der Besitz einer Sache nie erlangt werden.“ Für Immanuel Kant (1724-1804) konstituiert sich der Übergang von Gewalt zu Recht im Verbot der Privatgewalt durch das staatliche Gewaltmonopol.

Diese wenigen Hinweise zeigen, dass es bei der Überwindung von Privatgewalt und Faust­recht um eine grundlegende zivilisatorische Errungenschaft geht. Deshalb darf das Tabu der Ablehnung von Privatgewalt nicht beschädigt werden.

Das geschieht nicht nur, wenn man wie Augstein praktische Gewalt mit theoretischen Grün­den ermutigt und rechtfertigt. Es geschieht auch, wenn man Ursache und Wirkung verwech­selt, indem man der Polizei vorwirft, sie habe die Lage „eskaliert“ – so als hätten sich Gewalttäter Steine, Zwillen und Molotow-Cocktails nicht schon unabhängig von der polizeilichen Strategie zu Recht gelegt. Auf einem abschüssigen Weg befindet sich auch, wer Straßenschlachten wie in Hamburg einfach als Aufeinandertreffen zweier Kampfver­bände mit (medialen) Schiedsrichtern betrachtet. Wer Gewalttäter und Polizei gleichsetzt, akzep­tiert Gewalttäter im Grunde als legitime Gruppe in der gesellschaftlichen Auseinan­dersetzung und hat ihnen damit bereits die Tür geöffnet. Auch wer jetzt argumentiert, man hätte den G20-Gipfel nicht nach Hamburg legen dürfen, hat vor den Gewalttätern längst ka­pituliert. Sollen sie künftig entscheiden, wer sich wo wann zu welchem Gespräch trifft ?

Das Hamburger Gewaltbündnis „Welcome to Hell“ machte nämlich vor dem Gipfel keinen Hehl aus seinen Zielen: „Mit vielfältigem, massenhaftem und unberechenbarem Widerstand wird der reibungslose Ablauf der Gipfelinszenierung gestört werden.“ In den Presseerklä­rungen des Bündnisses hieß es ganz offen: „Wenn wir unser Bündnis „Welcome to Hell“ genannt haben, dann meinten wir genau das: Den Herrschenden ihr G20-Treffen in Ham­burg ansatzweise zu der Hölle zu machen, die sie zu verantworten haben und für die sie ste­hen.“ Zufrieden wird nach Abschluss des Gipfels bilanziert: „Ziel des Protestes gegen den G20 war es, seine planmäßige Durchführung zu be- oder sogar zu verhindern, ihn empfind­lich in seinem Ablauf zu stören oder wenigstens die Glitzershow mit ihren scheinheiligen „Familienfotos“ zu beschmutzen und den Teilnehmer*innen die ideologische Soße eines politisch substanziellen Kaffeeklatschs zu versalzen. Dieses Ziel haben wir erreicht.“

Solchen Angriffen auf unsere Zivilisation müssen wir gemeinsam entge­gentreten. Wechsel­seitige Rücktrittsforderungen lenken nur von den Gewalttätern ab, denen unsere Gesell­schaft oft falsche Toleranz entgegenbringt: Warum dulden z. B. Hamburger Regie­rungen jeglicher Couleur seit 1989 (!) die illegale „Rote Flora“ (in einem gesetzeswid­rig be­setzten Haus im Hamburger Schanzenviertel), die sich jetzt als Koordinationsz­entrum der Gewaltta­ten (mit Spendenkonto für die Organisatoren von „Welcome to Hell“) hervor­getan hat.

Wer Privatgewalt unterbinden und den Rückfall in das Zeitalter des Faustrechts verhindern will, sollte vielmehr folgende Fragen stellen:

  • Wer hat Gewalttäter z. B. durch Demonstrationsaufrufe nach Hamburg eingeladen?
  • Wer hat Gewalttäter in Hamburg beherbergt ?
  • Wer verharmlost Gewalttaten, wenn sie angekündigt werden oder begangen wurden?
  • Wer verweigert bei der Verurteilung von Gewalttaten eine klare Antwort ?

Gewalt verhindern kann nur, wer dabei keine Kompromisse eingeht. In dieser Grundfrage unserer Zivilisation sind Klarheit und Einseitigkeit gefordert: Für das staatliche Gewaltmo­nopol und damit die Ablehnung von Privatgewalt und deren Rechtfertigung.

Dr. Stephan Eisel (1955) war als Mitglied des Deutschen Bundestages bis 2009 Mitglied im Euro­paauschuss und u. a. 1983- 1992 zunächst als Redenschreiber und dann als stv. Leiter des Kanzlerbü­ros Mitarbeiter von Helmut Kohl. Seit 2010 ist er in der Konrad-Ade­nauer-Stiftung Projektleiter für „Internet und Demokratie“ so­wie „Bürgerbeteiligung“. Er ist verant­wortlicher Redak­teur des Blogs für politisches Handeln aus christlicher Ver­antwortung kreuz-und -quer.­de

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