Marlene Mortler lehnt die generell Freigabe von Cannabis ab und plädiert für eine moderne Drogenpolitik, die die Gesundheit zum Maßstab nimmt.
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Marlene Mortler
Die Gesundheit in den Mittelpunkt stellen
– auch wenn es um Cannabis geht
Die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zum Drogenproblem „UNGASS“ im Frühjahr 2016 war einer der Höhepunkte der politischen Zusammenarbeit in der internationalen Drogenpolitik. Auch wenn wir Europäer uns nicht mit der Forderung zum Verbot der Todesstrafe im Zusammenhang mit Drogendelikten durchsetzen konnten, ist es doch nie zuvor gelungen, Einigkeit über so viele Elemente einer modernen Drogenpolitik zu erzielen. Die Kernbotschaft des Abschlussdokumentes lautet: Im Mittelpunkt der Drogenpolitik soll die Gesundheit der Menschen stehen, nichts anderes. Wichtige Bausteine sind deshalb neben einer an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebundenen Strafverfolgung die Prävention, die Schadensminimierung und eine angemessene Behandlung – ein Ergebnis, das bei uns von nahezu allen ernsthaften politischen Kräften begrüßt worden ist.
Vor diesem Hintergrund vermögen viele der nationalen Diskussionsbeiträge zu Cannabis schon zu überraschen. Nicht nur, dass sich rot-grün oder rot-rot-grün-geführte Bundesländer mit immer neuen Überlegungen zur Abgabe von Cannabis überbieten (ohne dass diese nach geltendem Recht irgendeine Umsetzungschance hätten) oder drogenpolitische Sprecher aus den Reihen der Opposition Erleichterungen selbst für cannabiskonsumierende Autofahrer fordern (als ginge es im Straßenverkehr nicht auch um die Sicherheit der anderen). Was auch in Teilen der Politik auffällt, ist eine Art augenzwinkerndes Einverständnis: Ist doch alles nicht so schlimm… oder hat es Dir jemals geschadet? Dass gerade Jugendliche angesichts dieser misslungenen Vorbildrolle bedenkenlos zum Joint greifen, wird niemanden überraschen.
Lifestyle ändert sich – mal fordert er die Dämonisierung aller Drogen und ruft, wie noch vor wenigen Jahren die USA zum „Kampf gegen die Drogen“ auf. Mal fordert er deren pauschale Freigabe. Ganz ehrlich: Schon aufgrund dieser Ausschläge sollte man in der Drogenpolitik vorsichtig sein, schnelllebigen Stimmungen zu folgen. Auch in der Cannabisdebatte müssen die Fakten zählen. Was sind die Fakten?
Erkenntnis Nummer eins lautet: Cannabis kann positive Wirkungen entfalten, nicht überall, sondern dort, wo die herkömmlichen Behandlungsmethoden für schwerstkranke Patienten nicht weiterkommen: als Baustein einer wirkungsvollen Schmerztherapie etwa oder auch bei Appetitlosigkeit infolge von Tumoren oder einer Chemotherapie. Auch ich sehe zwar, dass es kaum Studien gibt, die diese Wirkungen belegen, gleichwohl gibt es viele erfolgreiche Praxisbeispiele von führenden Schmerz- oder Palliativmedizinern. Eben deshalb habe ich mich von Beginn meiner Amtszeit an dafür eingesetzt, schwerstkranken Menschen einen legalen Zugang zu Cannabis zu verschaffen. Wichtig dabei: Nicht zum Cannabisanbau vom eigenen Balkon, sondern zu Cannabispräparaten und zu Extrakten und Blüten in geprüfter und standardisierter Qualität – es geht um Medizin, nicht um Spaß. Ebenso wichtig war es mir, eine finanzielle Überforderung schwerstkranker Patienten zu vermeiden: Die Kosten sollten durch die Kassen übernommen werden. Die Widerstände waren erheblich, aber wir haben es geschafft: Am 19. Januar 2017 hat der Deutsche Bundestag dem Gesetz Cannabis als Medizin zugestimmt – einstimmig.
Fakt Nummer zwei ist mir aber genauso wichtig: Wir dürfen nicht vergessen, dass der Konsum von Cannabis immer auch ein Risiko ist, vor allem wenn man die Droge über lange Zeiträume einnimmt oder früh damit beginnt. Besonders gefährdet sind Heranwachsende. Gerade das in der Entwicklung befindliche Gehirn von Kindern und Jugendlichen ist besonders anfällig. Die neurobiologische Forschung geht von einem Reifungsprozess mindestens bis zum 21. Lebensjahr aus. Dies erkennen wir auch in Deutschland: Cannabisabhängigkeit ist der Grund Nummer 1, weshalb junge Menschen in Deutschland psychosoziale Beratungsstellen aufsuchen, vor Alkohol, Internetabhängigkeit, Partydrogen und weit vor Heroin und Co. Eine Metastudie der Weltgesundheitsorganisation, in die eine Vielzahl von Einzeluntersuchungen eingeflossen ist, kam letztes Jahr zu folgenden Ergebnissen:
- Cannabis kann süchtig machen: Bei Personen, die erstmalig Cannabis konsumieren, liegt das Abhängigkeitsrisiko bei 1:10, bei einem täglichem Konsum bei 1:3.
- Die Folgen von regelmäßigem hochdosiertem Konsum reichen von Depressionen, Wahnvorstellungen, Anspannung, eine erhöhte Selbstmordgefährdung und ein höheres Krebsrisiko bis zu chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen. Außerdem kann es zu Veränderungen der Hirnstruktur kommen.
- Besonders häufig treten negative, zum Teil bleibende Beeinträchtigungen bei Jugendlichen auf. Regelmäßiger Konsum in der Entwicklungsphase steigert beispielsweise das Risiko für den Ausbruch einer Psychose gegenüber Nichtkonsumenten deutlich.
Wichtig bei allem: Der Stoff von heute hat mit dem, was vor 20 Jahren auf dem Markt war, nur noch wenig zu tun. Die sogenannte THC-Konzentration – THC ist der für das „Rauschgefühl“ verantwortliche psychoaktive Stoff – liegt heute deutlich höher: Statt bei 3% bei 16% und mehr.
Legalisiert man den Freizeitgebrauch für Erwachsene, kommen auch Jugendliche noch leichter an den Stoff. Dass es so ist, zeigt sich gerade in den US-Bundessstaaten, die mit einer Freigabe für Erwachsene experimentieren. Ersten Zahlen zufolge liegt der Konsum bei Jugendlichen in Colorado um 74 Prozent höher als in anderen US-Staaten. Wie Jugendliche trotz Jugendschutzregeln an Drogen kommen, sehen wir beim Thema Alkohol in vielen Supermärkten und Tankstellen.
Vor diesem Hintergrund schließe ich mich den Experten der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin an. Auch sie haben 2016 in einem Memorandum von Schnellschüssen abgeraten und warnen in aller Deutlichkeit vor den Gefahren des Cannabiskonsums für die Gesundheit junger Menschen. Daher: Cannabis als Medizin ja, Cannabis zum Spaß nein!
Marlene Mortler (1955) ist verheiratet und Mutter von drei Kindern, gelernte Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft und seit 2002 direkt gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und deren Sprecherin für Ernährung, Landwirtschaft, Umwelt und Bau. Im Januar 2014 übernahm sie zudem Aufgabe der Drogenbeauftragten der Bundesregierung.