Johannes Zabel OP erinnert in seinen Gedanken zum Weihnachtsfest , daran dass es keine gottlose Welt gibt, seitdem Gott Mensch geworden ist und unsere Welt erfüllt.Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.
Johannes Zabel OP
GOTT WIRD MENSCH
Gott wird Mensch. Gott tritt in die Welt ein. Gott kommt zu uns. Das ist die Botschaft zu Weihnachten. Für uns ist es eine Botschaft, die unsere christliche Welt geprägt hat und prägt. Doch scheint in unserer Gesellschaft die „Veralltäglichung“ auch das Weihnachtsfest erfassen zu wollen. Weihnachten ist ein Anlass zur Besinnung. Besinnung über die Botschaft Gottes und ihre Bedeutung für uns. Gehen wir zurück zum Impuls Gottes, der gerade an Weihnachten spürbar ist.
Gott wird Mensch. Für manch andere Religionen kommt diese Aussage einem Frevel gleich: wenn Gott Mensch wird, dann muss Gott dann doch wohl weniger göttlich werden. Denn Religionen haben häufig die typische Differenz von Transzendenz und Immanenz: das Göttliche und das Weltliche – und beides will nicht immer zusammenkommen. Im Christentum wird gerade an Weihnachten diese Differenz durchbrochen. In Jesus gibt es diese Brücke über die Differenz von Gott und Welt. Jesus selbst ist diese Brücke: Gott und Welt werden verbunden. Jesus ist unsere „Kommunikation“.
Gott wird Mensch. In dieser Kommunikation macht Gott den ersten Schritt und geht auf uns zu. Und wir sind eingeladen und auch aufgefordert, zu antworten. Positiv zu antworten. In unserem Leben gibt es häufig Situationen, dass wir darauf warten, dass irgendeiner den ersten Schritt tut. Jesus wartet nicht, Jesus kommt selbst. Gott kommt selbst. Auch wenn der erste Schritt häufiger risikoreicher ist als der zweite. Jesus wagt ihn – wagt ihn als Zeichen und Vorbild für uns. Jesus ist unser Schrittmacher. Schon der Prophet Jesaja sagt: „Darum wird der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären“ (7, 14). Gott macht den ersten Schritt. Jesus ist das Zeichen Gottes.
Gott wird Mensch. Und das als Kind. Und das noch in einem Stall. Gott kann sich selbst nicht mehr „erniedrigen“ als in diesem Geschehen. Mehr kann er nicht zum Ausdruck bringen, um zu zeigen, dass er mitten unter uns sein will, dass er den Schwächsten nahe sein will. Dass er als Kind im Stall seine Hilfsbedürftigkeit zeigen will, um auch und gerade den Hilfsbedürftigen nahe zu sein. Jesaja fährt in seiner Prophetie fort: die Jungfrau „wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“ Gott ist in Jesus mit uns.
Gott wird Mensch. Diese Menschwerdung ist auch eine Schöpfung. Eine zweite Schöpfung Gottes. Eine zweite Sichtbarmachung Gottes. Ein zweiter Eingriff in die Welt. Eine zweite Verbindung zur Welt. Eine größere Nähe zur Welt. In der ersten Schöpfung schuf Gott die Welt, in der zweiten Schöpfung kommt er in die Welt. Er kommt der Welt näher und wir kommen Gott näher. Jesus ist unsere Nähe zu Gott.
Gott wird Mensch. Gott zeigt, dass er seine Worte in Sein und Seiendes wandeln kann. Das zeigt er in der zweifachen Schöpfung. Seine Worte sind wirkmächtig. In der ersten Schöpfung werden alle Tage der Schöpfung eingeleitet mit „Gott sprach“ und später folgt dann „es wurde“. Worte wurden zur Tat. In der zweiten Schöpfung geschieht Ähnliches. Der Evangelist Johannes drückt es in seinem Prolog so aus: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ (Joh 1, 14). Schöpfung erfolgt durch Wandlung der Worte in Taten. In Jesus zeigt sich diese Wandlung.
Gott wird Mensch. Das Menschliche in Jesus zeigt sich besonders zu Weihnachten – in der Krippe. Es zeigt sich aber auch am Karfreitag – am Kreuz. Krippe und Kreuz zeigen einen menschlichen Zusammenhang auf, der auch im Christushymnus des Paulusbriefes an die Philipper deutlich wird: „Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ (Phil 2,6f). Die „Entäußerung“ Gottes zeigt sich grundlegend in seiner Menschwerdung, zeigt sich in Jesus.
Gott wird Mensch. Gott entäußert sich. Wieso will Gott so handeln? Diese Frage fasst alles zusammen. Die Antwort ist auch allumfassend: Es ist die Liebe, die Gott uns zuwenden will. Aus Liebe heraus entäußert er sich, aus Liebe heraus sendet er uns seinen Sohn, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Aus Liebe heraus nimmt er Leiden auf sich. Wo zeigt sich Liebe drastischer als im Leiden, im Mit-Leiden?
Liebe in einer Schönwetterphase ist weniger ein Prüfstein. Liebe in einer Schlechtwetterphase dagegen schon. Gott will uns seine Liebe zeigen – und das geht kaum bei „schönem Wetter“. Denn dann würden wir Menschen sie nicht als solche erkennen. Gott weiß, dass er seine Liebe immer zeigen kann – aber dass wir sie nur dann erkennen können und wollen, wenn sie bei „schlechtem Wetter“ kommt. Dann wird das Licht seines Strahles die Finsternis durchbrechen. Strahlt dagegen die Sonne, werden wir sein „Licht“ nur schwer erkennen können.
Deshalb leidet Gott mit. In diesem Mit-Leid wird seine Liebe auch für die erkennbar, die Gott sonst nicht erkennen wollen oder können. Liebe und Mitleid stehen in einem Zusammenhang, wie es auch in einem Sprichwort zum Ausdruck kommt: „Ich mag dich leiden“. Erst kommen die Wörter „ich mag dich“ und dann folgt „leiden“. Was für ein Zusammenhang! Die Liebe Gottes folgt auch diesem „Ich mag dich leiden“. In seinem Mitleiden, in seinem Mitgehen durch Schlechtwetterphasen wird seine Liebe für uns deutlich. Und deshalb wollte Gott Mensch werden. In Jesus wird die Liebe Gottes direkt erkennbar. Eine Liebe, die Gnade und Barmherzigkeit sichtbar macht.
Für die Sichtbarmachung seiner Liebe ist Gott in unsere Welt gekommen. Compassion ist ein Zeichen Gottes in unserer Welt. Der von den Nationalsozialisten hingerichtete Jesuit Alfred Delp schrieb 1944: „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.“ Diese Worte vor dem Tode konnte er schreiben, weil er auch im Gefängnis Gott spüren konnte. Denn seitdem Gott Mensch geworden ist, gibt es keine gottlose Welt mehr. Zu Weihnachten erfahren wir: Gott hat unsere Welt erfüllt.
Johannes Zabel OP (1958) ist Seelsorger der Katholischen Hochschulgemeinde an der Universität Vechta. Er studierte zunächst Volkswirtschaft und wurde danach Mitarbeiter im Deutschen Bundestag. Nach einer Tätigkeit in der CDU- Bundesgeschäftsstelle wurde er Büroleiter von Senator Peter Radunski in der Berliner Landesvertretung in Bonn. 1997 Eintritt in den Dominikanerorden. Studium von Philosophie und Theologie. 2007 Priesterweihe.