Stephan Walter analysiert wie sich rechtsextremistische Gruppen an gesellschaftliche Entwicklungen anpassen.
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Stephan Walter
Aktion statt Organisation – Der Rechtsextremismus ist heterogener geworden
Erfreulicherweise ist die Anzahl der von den Sicherheitsbehörden erfassten Rechtsextremisten seit Jahren rückläufig. Allein im Zeitraum von 2007 bis 2012 hat sich das rechtsextremistische Potenzial um etwa ein Drittel verringert (von 31.000 auf 21.000 Personen).Bei der Bundestagswahl 2013 haben 637.000 Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland rechtsextremistische Parteien mit ihrer Zweitstimme gewählt. Allein 560.000 entschieden sich für die NPD. Auch wenn das in Prozentzahlen nur etwa 1,5 % aller gültigen Stimmen sind, so wird an diesen Zahlen doch sichtbar, dass rechtsextremistische Positionen noch immer eine nicht unerhebliche Anhängerschaft finden.
Der Rechtsextremismus ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich Veränderungen in der Gesellschaft nicht entziehen kann. So wie allgemein die Bereitschaft deutlich gesunken ist, sich in Parteien zu engagieren, so hat auch der parteigebundene Rechtsextremismus deutlich an Gewicht verloren. Parteien wie die Republikaner und die Deutsche Volksunion (DVU) sind verschwunden oder ohne Einfluss. Die neue Partei Die Rechte ist erst in ihren Anfängen. Es ist noch unklar, ob sie darüber hinaus gelangt und zum Auffangbecken im Falle eines NPD-Verbots wird. Auch die Partei Pro Deutschland hat keine nennenswerten Erfolge. Die NPD ist in vielen Bereichen kaum mehr handlungsfähig. Sie ist zwar noch immer die am besten materiell ausgestattete rechtsextremistische Organisation (Wahlkampfkostenerstattung), aber innerlich stark zerstritten und von etlichen Finanzskandalen und Austritten stark gebeutelt. Auch die Diskussion um ein Verbot der Partei hat der NPD stark zugesetzt. Die Zahl rechtsextremistischer Parteimitglieder insgesamt ist erheblich gesunken: Von mehr als 21.000 im Jahr 2006 auf rund 7.000 im Jahr 2012 (davon ca. 6.000 bei der NPD).
Deutlich zeichnet sich ein Trend ab, wonach die feste Organisation, sei es eine Partei oder eine Kameradschaft mit festen Regeln und Ritualen, immer weniger Anklang findet. Vor allem Jugendliche haben kaum mehr Interesse an stetiger politischer Arbeit in festen Strukturen und Gremien. Für sie sind der Erlebnischarakter und das Erfahren von Gemeinschaft viel wichtiger. Sie suchen deshalb auch eher lockere Zusammenschlüsse, in denen sie sich zwar aufgenommen fühlen, aber in denen der Grad der Verpflichtung nur gering ist. Der Zusammenhalt beruht mithin weniger auf formalisierten Mitgliedschaften als vielmehr auf persönlichen Kontakten, die häufig über das Internet in Foren und sozialen Netzwerken gepflegt werden, sowie auf gemeinsamen Erlebnissen. Aktion geht über Organisation, könnte die Formel für diese Entwicklung zu immer heterogeneren Erscheinungsformen mit einem temporären und situationsabhängigen Engagement lauten. Sie macht es den Sicherheitsbehörden nicht leichter, den Rechtsextremismus einzuschätzen.
Auch im Auftreten sind diese Gruppen immer unkonventioneller geworden, bis hin zur Orientierung an linksextremistischen Vorbildern. So weisen Rhetorik, Symbolik und Kleidung der so genannten Autonomen Nationalisten (AN) große Ähnlichkeiten zu links-autonomen Gruppierungen auf. Sogar deren Strategie wurde mit der Bildung eines als NS-Block bezeichneten Schwarzen Blocks bei Demonstrationen übernommen. Von den AN wird ein „führerloser Widerstand“ propagiert, das erlebnisorientierte „Mitmachen“ und die Provokation stehen im Vordergrund. Sie sind nicht selten gewalttätig.
Ganz ähnlich treten regional so genannte Freie Kräfte auf, die sich selbst aber nicht zu den AN rechnen, aber informelle Gruppierungen sind. Übergänge sind allerdings häufig fließend. Trotz ihrer nur schwach ausgeprägten Strukturen sind die Angehörigen dieser Gruppen häufig gut untereinander vernetzt und zur Durchführung von konspirativ vorbereiteten Aktionen fähig. Ein Beispiel dafür ist die seit 2011 durchgeführte Reihe von Aktionen unter der Bezeichnung „Die Unsterblichen“. Unangemeldet werden nächtliche Fackelzüge veranstaltet, wobei die Teilnehmer weiße Gesichtmasken tragen. Die dabei bisweilen professionell produzierten Videos finden sehr große Resonanz. „Die Unsterblichen“ demonstrieren für die „Reinheit“ der „Volksgemeinschaft“. Sie verbinden mit ihren Aktionen Erlebnis und Ideologie.
Eine der aktivsten informellen Gruppierungen, die in der Szene bundesweit zum Vorbild geworden ist, war Besseres Hannover. Sie wurde 2012 verboten. Besseres Hannover verteilte Zeitschriften für Schüler als „Sprachrohr der Gegenkultur“, in denen das Ziel der Volksgemeinschaft propagiert wurde. Die Gruppierung fiel durch spektakuläre Aktionen auf, die viel Aufmerksamkeit in den Medien erhielten. Mit einem Bären-Kostüm, auf dem „Abschiebebär“ zu lesen war, wurden Videos produziert. Der „Abschiebebär“ erschien sogar auf einem SPD-Parteitag. Die Gruppierung nutze ihn gezielt als subversives Mittel einer vordergründig lustigen Aktionsform. Dies fand Nachahmung auch in anderen Bundesländern.
Eine noch junge Erscheinung ist die so genannte Identitäre Bewegung (IB). Sie ist eine vor allem virtuelle Organisation, die von Frankreich ausging und nun auch in Deutschland erkennbar Resonanz findet. Die Bewegung richtet sich gegen die „Invasion“ von Einwanderern, propagiert eine „geistig-kulturelle Revolution“ und ethnische Identität als Rettungsanker in der Globalisierung. Die IB lehnt Gewalt ab, will aber mit „Schock-Aktionen“ zeigen, wie die Zukunft bei andauernder Einwanderung aussehen könnte.
Das Internet wird für alle rechtsextremistischen Gruppierungen immer mehr zu einem Propaganda- und auch Rekrutierungsinstrument. Mit dem Internet hat der Rechtsextremismus erstmals ein Massenmedium zur Verfügung, das überall und jederzeit nahezu uneingeschränkt einsetzbar ist. Fremdenfeindliche und rassistische Hetze im Stil eines hasserfüllten Freund-Feind-Denkens finden somit eine weite Verbreitung.
Insbesondere den „Systemparteien“ wird unterstellt, gezielt auf den Tod des deutschen Volkes hinzuwirken. Die Gewaltbereitschaft der bewegungs- und aktionsorientierten Neonaziszene ist entsprechend hoch. In diesem Zusammenhang ist auch die Terrorzelle NSU zu sehen, die ihre Anschläge, Überfälle und Morde unter das Motto stellte: „Taten statt Worte“.
Es ist dringend erforderlich, neben der gesellschaftlichen Präventionsarbeit auch Polizei und Verfassungsschutz im Kampf gegen Rechtsextremismus zu stärken. Kein Rechtsextremist darf unerkannt bleiben. Es geht um Früherkennung, die Aufdeckung von Beziehungsnetzwerken und Gefahrenanalysen. Und es geht um die Information der Öffentlichkeit, denn nur, wer die Gefahren kennt, kann ihnen aktiv begegnen.
Stephan Walter (1959) studierte Politik- und Sozialwissenschaften in Göttingen, Hannover und Köln. Nach Tätigkeiten in der Bundes- und der Hessischen Landesregierung ist er heute Referatsleiter im Niedersächsischen Innenministerium.