Einige Anmerkungen zum Reichskonkordat
Dr. Christoph Braß
Jeder liest einen Text anders. Als Nicht-Theologe liest man ein Buch über das Reichskonkordat auf eine andere Weise, als man es als Theologe oder als Jurist tut. Dem einen fallen hier Dinge auf, die dem anderen selbstverständlich sind – und umgekehrt. Im besten Fall entsteht darüber ein Gespräch zwischen verschiedenen Fachdisziplinen; im schlechtesten Fall oft schlichtes Unverständnis. Insofern ist es ein glücklicher Zufall, dass Dr. Jan H. Wille sich in beiden Professionen auskennt: Er studierte in Münster Geschichte und katholische Theologie. Dann wechselte er zur Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Sein lesenswertes Opus Magnum ist vor kurzen erschienen:
Jan H. Wille: Das Reichskonkordat. Ein Staatskirchenvertrag zwischen Diktatur und Demokratie 1933-1957. Paderborn 2024. (99,00 €)
Die Lektüre dieses Buches bildet den Hintergrund für einige Anmerkungen zum sogenannten Reichskonkordat.
I.
Die Phase zwischen den Weltkriegen kann als Konkordatsära gelten. Die römische Kurie schloss unter anderem Konkordate mit Polen, Portugal, Italien und Österreich ab. Das waren beileibe nicht alles Demokratien. Auch in Deutschland wurden während der Weimarer Republik in mehreren Ländern Konkordate abgeschlossen – so in Bayern, in Preußen und in Baden.
Als das Reichskonkordat am 20. Juli 1933 nach nur kurzen Vorverhandlungen abgeschlossen wurde, war es für die kurz zuvor ins Amt gekommenen NSDAP-Regierung in Deutschland vor allem ein wichtiger Prestigegewinn. Zwar hatte es auch schon in der Weimarer Republik Gespräche über das Reichskonkordat gegeben, aber sie gelangten nicht zum Abschluss. Für die Reichsregierung saß Hitlers zeitweiliger Vizekanzler Franz von Papen am Verhandlungstisch. Von Papen gehörte ursprünglich der Zentrumspartei an, hatte eine Schwäche für „rechte“ Regierungen und wechselte später – 1938 – zur NSDAP. Er wird von Zeitgenossen als durchtrieben und intrigant beschrieben. Ihm gegenüber saß auf kirchlicher Seite der vatikanische Staatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste dieser mit dem Vorwurf leben, er habe nicht entschieden genug gegen die massenhafte Vernichtung der europäischen Juden durch das NS-Regime protestiert.
Auch für die katholischen Partner verbanden sich mit dem Reichskonkordat bestimmte Hoffnungen: Sie erwarteten von der neuen Regierung zum Beispiel den Schutz kirchlicher Organisationen und Jugendverbände. Das Beichtgeheimnis war der Kirche sehr wichtig, genauso wie ihre Vorstellungen im Schul-, Ehe-, Vereins- und Ordenswesen. Die Seelsorge bei der Reichswehr und bei den Anstalten musste auf eine verlässliche Grundlage gestellt werden. Und auch, dass die Seelsorger keiner Partei mehr angehören durften und sich in Fragen der politischen Willensbildung allgemein zurückhalten müssen, geht auf Bestimmungen des Konkordats zurück. Genauso wie das Recht der Kirchen auf die Erhebung der Kirchensteuern. Im Gegenzug war Rom damit einverstanden, dass die neu ernannten Bischöfe einen Treueeid auf den deutschen Staat leisteten.
Allerdings gab es einen gewichtigen „Pferdefuß“: Das NS- Regime war von Anfang an eine brutale Diktatur, die sich wenig darum scherte, was sie unterschrieben hatte. Das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“ war bereits seit März 1933 in Kraft. Seit dem 16. Juli 1933 waren alle Parteien bis auf die NSDAP verboten. Das wusste auch die katholische Kirche.
Am 20. Juli 1933 fand die Unterzeichnung des Konkordats in Rom statt. Am 14. Juli tagte in Berlin das Kabinett. Unter anderem ging es um die Frage der Zustimmung zum Reichskonkordat. Weiterer Tagesordnungspunkt: Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Das war ein Zwangsgesetz, auf dessen Grundlage während des Dritten Reiches schätzungsweise 360.000 Personen unfruchtbar gemacht wurden. Vizekanzler von Papen wies darauf hin, dass die katholische Kirche angesichts des unmittelbar bevorstehenden Abschlusses des Konkordates über das Gesetz verstimmt sein könnte. Die Lösung war schnell gefunden: Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde zwar in der gleichen Sitzung beschlossen, in der auch dem Reichskonkordat zugestimmt wurde, aber es wurde erst am 26. Juli bekanntgegeben. Das Reichskonkordat war zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Tagen in Kraft.
In der Präambel hieß es, man wolle die „bestehenden freundschaftlichen Beziehungen […] festigen und […] fördern“. Allerdings stand der Schutz der katholischen Organisationen und Verbände weitgehend nur auf dem Papier. Die Bischöfe beriefen sich regelmäßig „auf die verbrieften Garantien im Konkordat“, aber es war klar, dass die Nationalsozialisten diese häufig missachteten. Dennoch kündigte Rom das Konkordat nicht – vielleicht um Schlimmeres zu verhindern. Das Fazit von Jan H. Wille ist eindeutig: „Die Überhöhung zur Widerstandbastion, wie in kirchlichen Kreisen nach 1945 vollzogen, gibt die Konkordatsgeschichte von 1933 bis 1945 […] bei Weitem nicht her.“
II.
Nach dem Krieg herrschte zunächst einmal Unsicherheit, wie es weitergehen sollte. Die Kirche stellte sich auf den Standpunkt, dass das Reichskonkordat weiterhin gelte. Nach dem Tode des Münsteraner Bischofs Kardinal von Galen 1947 kam die erste Belastungsprobe für das Konkordat seit dem Ende der NS-Diktatur. Der zukünftige Bischof Michael Keller ließ nachfragen, ob denn überhaupt ein Eid geleistet werden müsste und „[w]enn diese Frage bejaht wird: Bei welcher Behörde ist dieser Eid zu leisten, da wir keine Reichsregierung haben?“ Man einigte sich schließlich darauf, dass Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) den Treueeid entgegennehmen sollte. Die Eidesformel wurde geringfügig angepasst. „Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Untergang des Nationalsozialismus schwor Bischof Michael Keller nicht nur dem Land Nordrhein-Westfalen, sondern auch […] dem Deutschen Reich die Treue,“ stellt Wille fest.
Wenig später war auch in Limburg ein neuer Bischof einzusetzen. Die Amtseinsetzung von Bischof Ferdinand Dirichs war insofern problematisch für die Kirche, als in der hessischen Schulbestimmung die gemischtkonfessionelle Gemeinschaftsschule zur Regelschule erklärt worden war, also der Unterricht katholischer und evangelischer Kinder in gemeinsamen Klassen an einer Schule. Genau das wollte der vatikanische Staatssekretär Eugenio Pacelli seinerzeit eigentlich verhindern.
Gelang es im Westen, den Treueeid beizubehalten, waren die Dinge in der DDR deutlich anders. Die DDR stellte sich auf den Standpunkt, dass sie keine Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches war. Von daher entfiel der Treueeid, was – wie man vermuten darf – auf beiden Seiten letztlich für Erleichterung sorgte.
III.
In Verlaufe der 50er Jahre wurde in Baden-Württemberg und auch in Niedersachsen die Gemeinschaftsschule zur Regelschule erklärt. Das geschah nicht zuletzt, weil die große Mehrheit der Eltern das wünschte. Man könnte also sagen, dass die Länder den Elternwillen beachteten. Aber möglicherweise verletzten sie damit das Konkordat. Andererseits liegt die Bildungshoheit in der Bundesrepublik nun einmal bei den Ländern. Die Lage war also mehr als verfahren. Um Klarheit zu erhalten, klagte die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht ließ sich sehr lange Zeit, um in dieser schwierigen Frage zu einem Urteilt zu kommen. Am 26. März 1957 erging der „salomonische“ Spruch, dass das Reichskonkordat nach wie vor Gültigkeit habe, aber die Länder bei der konkreten Schulformgestaltung freie Hand hätten.
Seither ist es still geworden um das Reichskonkordat. Heute stellt sich eher die Frage: Brauchen wir überhaupt noch ein Konkordat? Was hat es uns Gläubigen, der Kirche und dem Staat gebracht? Und was wären die richtigen Institutionen, wollte man ein solches Konkordat noch einmal erneuern?
Dr. Christoph Braß, Jahrgang 1967, ist einer der Redakteure von „kreuz-und-quer.de“ und war längere Zeit Vizepräsident des ZdK. Er war Abteilungsleiter Inland unter Bundespräsident Gauck.