Repressionen gegen Christen in Indien – Erfahrungen eines Freiwilligen

Emmanuel Grätz

Im September letzten Jahres habe ich mich auf den Weg nach Mumbai gemacht, um dort einen einjährigen Freiwilligendienst mit dem katholischen Träger Don Bosco Volunteers zu absolvieren. Nun ist mein Jahr vorbei und ich möchte gerne ein paar meiner Eindrücke mit Ihnen teilen.

Nach meinem Schulabschluss musste ich mir die Frage stellen, was ich den einmal werden will. Zu dem Zeitpunkt wusste ich auf diese Frage noch keine Antwort und habe mich dazu entschlossen, dieses Thema noch ein Jahr aufzuschieben. In der Zeit wollte ich etwas sinnvolles machen, etwas, das nicht nur mich selbst weiter bringt. Die letzten elf Monate habe ich viele Erfahrungen gesammelt und, wenn auch nur im Kleinen, jungen Menschen auf ihrem Lebensweg geholfen.

Meine Einsatzstellen waren zwei Projekte für benachteiligte Jungen im Alter zwischen 8 und 18 Jahren. Sie kommen entweder direkt von der Straße oder werden von ihren Angehörigen abgegeben, weil diese sie nicht ausreichend versorgen können. Eine der Einrichtungen war in Mumbai gelegen, die andere 160 km entfernt in Nashik. Beide Projekte werden von den Salesianern Don Boscos betrieben, einem katholischen Männerorden der weltweit knapp 15.000 Mitglieder hat und in 133 Ländern vertreten ist. In meiner Zeit habe ich hauptsächlich die Jungen betreut, ihnen bei den Hausaufgaben geholfen, mit ihnen Fußball gespielt und viele kleinere Projekte umgesetzt.

In meiner Freizeit konnte ich Mumbai erkunden und bin bis heute noch sehr beeindruckt von der Stadt. Viel Verkehr, viele Menschen, aber auch viele unterschiedliche Tiere gibt es hier zu sehen. Zum Beispiel klettern grau-weiß-gestreifte Eichhörnchen die Bäume hoch und runter, Hühner laufen auf der Straße und Kühe dürfen natürlich auch nicht fehlen. Sobald eine Kuh die Straße entlangläuft, werden die Autos langsamer und fahren deutlich vorsichtiger als sonst. Ein Kuh anzufahren, ist mit das Schlimmste, was einem in Indien passieren kann, weil sie im Hinduismus ein göttliches Wesen ist. Selbstverständlich gehören Hunde, Katzen, Raben und Ratten auch zur Großstadt dazu. Aus meinem Zimmer konnte ich jedoch die meisten Tiere fern halten: keine Kakerlaken, keine Spinnen und keine Motten. Als ich mich am späten Nachmittag auf meine Dachterrasse gesetzt habe, habe ich ab und zu Papageien und Fledermäuse beobachtet, die bei Dämmerung ihre Reviere wechseln; ein kleines Spektakel.

Das Projekt in Mumbai, in dem ich die erste Hälfte des Jahres verbringen durfte, befand sich zu meiner Ankunft in einer außergewöhnlich schwierigen Situation. Da sich einer der Jungen im Projekt das Leben genommen hatte, wurde von Regierungsseite großer Druck auf die Verantwortlichen ausgeübt und sogar die Schließung des Hauses war möglich. Weil es sich um ein christliches Projekt handelt, wurden vom Jungendamt und der Polizei außergewöhnlich hohe Auflagen erhoben, um den Erhalt der Einrichtung zu gewährleisten, so sagten es mir die Salesianer. Als das Jugendamt für eine Kontrolle das Projekt besuchte, sollte ich mich außerdem auf meinem Zimmer aufhalten, um nicht gesehen zu werden. Laut den Salesianern, wird bei solchen Kontrollen mit Nachdruck nach einem Grund gesucht um eine Geldstrafe zu verhängen oder mit anderen Konsequenzen die Arbeit zu behindern. Solch ein Grund hätte auch ich sein können. Aus diesen und weiteren Erfahrungen lässt sich schließen, dass sich die Arbeit der Salesianer in Indien aufgrund des christlichen Glaubens als schwierig gestaltet.

Die von Hindus dominierte Gesellschaft fühlt sich von der christlichen Minderheit bedroht und möchte deshalb die Verbreitung des christlichen Glaubens mit allen Mitteln begrenzen. Diese angespannte Stimmung habe ich ebenfalls zu spüren bekommen, als ich mit Hindus über meinen Glauben gesprochen habe. Sie fragten mich, ob mit mir nicht Brainwashing (Gehirnwäsche) betrieben werden würde und ob ich überhaupt Spaß im Leben hätte. Das hat mir ebenfalls gezeigt, dass das Miteinander der Religionen durchaus auch von Vorurteilen und Intoleranz geprägt sein kann. Jedoch habe ich es auch erlebt, dass Mitglieder verschiedener Religionen sich untereinander geholfen haben und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das friedlichen Miteinander der Religionen gefördert haben.

Obwohl die schwierige Situation von Christen in Indien meinen Freiwilligendienst beeinflusst hat, konnte ich viel bereichernde Erfahrungen sammeln. Ich konnte neue Freundschaften knüpfen, viele wunderschöne Orte besuchen und lernen, mich in einer neuen Kultur zurecht zu finden. In einer neuen Kultur zu leben, war auch die größte Herausforderung für mich. Zum Beispiel hatte ich Schwierigkeiten, mich an die Hierarchie in meinem Projekt zu gewöhnen. Denn die verschiedenen Rollenauffassungen in Deutschland und Indien sorgten an manchen Stellen für Probleme: Die Art und Weise wie man mit einem Salesianer redet, unterscheidet sich nämlich sehr stark von der, wie ich Zuhause mit einem Priester spreche. Wir sind gewohnt, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Das schließt auch Kritik oder eine persönliche Meinung mit ein. In Indien ist das zum Teil durchaus anders. Die kulturellen Unterschiede – gerade auch was die Priester angeht – waren zum Teil befremdlich für mich.

Rückblickend habe ich den Eindruck, dass mich das Jahr stark geprägt hat. Ich bin froh, dass ich mir die Zeit genommen habe und so Indien in den unterschiedlichsten Fassetten erleben konnte. Selbstverständlich war nicht jeder Tag einfach, aber auf jeden Fall erinnerungswürdig. Über viele weitere Erfahrungen und den Alltag in meinen Projekten habe ich auch in meinem eigenen Blog regelmäßig berichtet: Ein kleines bisschen Indien – 1 Jahr Mumbai (donboscovolunteers.de)


Emmanuel Grätz ist 19 Jahre alt und hat 2022 sein Abitur bestanden.

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