Dr. Christoph Braß
Eins scheint damit festzustehen: Synodalität und katholische Kirche sind kein Widerspruch. Anders, als manche in Rom meinen, muss man nicht in die evangelische Kirche eintreten, um wirklich „synodal“ zu sein. Das wurde in Frankfurt bei der letzten Synodalversammlung, die vom 9. bis 11. März dauerte, eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Kurze Rückblende
Am Anfang des „Synodalen Wegs“ stand das furchtbare Erschrecken über weit mehr als 1000 Priester und Ordensleute, die in den letzten 70 Jahren des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen bezichtigt wurden.[1] In vielen Fällen wurden Heranwachsende getäuscht und verletzt – auch an ihrer Seele und Psyche. Die Kirche hat den Auftrag, das Heil zu bringen. Hier brachte sie Verwirrung und Unheil. Und was noch schlimmer ist: Zumeist erfuhren nicht die Opfer den Schutz der Kirche, sondern in vielen Fällen die Täter.
Spätestens um 2010 erreichte diese lange verdrängte Problematik auch die Deutsche Bischofskonferenz. 2019 machte die Bischofskonferenz dann einen weiteren Schritt: Sie lud sie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ein, den Weg der Selbstaufklärung gemeinsam mit den Bischöfen zu gehen.[2] Nach einigen Debatten, ob es wirklich klug sei, mit den Bischöfen in ein Boot zu steigen, nahm das ZdK die Einladung an.
Papst Franziskus hat den deutschen Katholiken am 29. Juni 2019 einen sehr langen Brief geschrieben (der leider meines Erachtens wenig rezipiert wurde).[3] Er schreibt darin, er möchte der Kirche in Deutschland „nahe sein“ und ihre „Sorge um die Zukunft der Kirche … teilen.“ Er sagt wörtlich, er wolle uns „zu einer freimütigen Antwort auf die gegenwärtige Situation ermuntern.“ Und er stellt sich dezidiert auf den Boden des Zweiten Vaticanums, dessen Gedanken zur Synodalität er weiter ausführt. Besonders stark macht er den „Sensus ecclesiae“, also die Meinung der Kirche insgesamt, vor dem auch die Bischöfe sich nicht verschließen können. Der Papst warnt die Kirche explizit vor der Versuchung, das Volk Gottes nur auf eine „erleuchtete Gruppe reduzieren zu wollen.“[4]
Das war positiv. Allerdings gab es von der römischen Kirchenleitung auch deutlich andere Töne. Ein Rundfunksender brachte es sarkastisch auf den Punkt, indem er titelte: „Vatikan und Synodaler Weg: Liebesgrüße aus Rom.“[5]
Der „Synodale Weg“ nahm Fahrt auf
Der „Synodale Weg“ wurde am 1. Advent 2019 von Kardinal Reinhard Marx, dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, feierlich eröffnet. Der Synodalkonferenz gehörten ursprünglich 230 Mitglieder an.[6] Einige wenige sprangen davon aus unterschiedlichen Gründen ab. Die Synodalversammlung richtete vier Foren ein:
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- Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag
- Priesterliche Existenz heute
- Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche
- Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft
Eines der Foren – nämlich Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche – kam erst auf Initiative des ZdK zustande. In allen vier Foren wurde in den letzten drei Jahren intensiv getagt. Die Rohfassungen der Papiere wurden dort geschrieben und der Synodalversammlung vorgelegt. Wegen der Corona-Krise trafen sich die Foren zumeist nur virtuell. Auch das war für viele eine neue Erfahrung.
Insgesamt hat die Synodalversammlung fünfmal getagt. Es wurden zahlreiche Papiere mit zumeist großer Mehrheit verabschiedet. Von allen Dokumenten fiel nur eines durch: „Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“ fand keine Zwei-Drittel-Mehrheit bei den Bischöfen.[7]
Manche Beschlüsse des Synodalen Weges können von den einzelnen Bischöfen direkt umgesetzt werden. Zum Beispiel, dass homosexuelle Menschen nicht mehr benachteiligt werden sollen. Für das ist kein Eingriff in das Kirchenrecht notwendig. Die Crux dabei ist, dass die einzelnen Bischöfe nicht gebunden sind an die Beschlüsse des Synodalen Weges. Wenn der Bischof durchaus etwas anderes will, kann niemand ihn auf den Synodalen Weg zwingen.
Bestimmte grundlegende Positionen kann auch ein Bischof oder die Deutsche Bischofskonferenz nicht alleine bestimmen. In diesen Fällen trifft letztlich der Papst die Entscheidung. Zum Beispiel bei der wichtigen Frage, ob Frauen zum Diakonat oder zur Priesterweihe zugelassen werden sollen.
Was bleibt?
Bei der fünften Synodalversammlung, die Anfang März zu Ende gegangen ist, wurden noch einige zentrale Beschlüsse verabschiedet. Zum Beispiel der Beschluss, dass homosexuelle Paare oder Menschen, die eine zweite Ehe eingehen wollen, sich in Zukunft segnen lassen dürfen. Der jeweilige Bischof kann das alleine entscheiden. Den Papst bitten die Synodalen, die festgefahrenen Positionen zu Ämtern von Frauen in der Kirche neu zu überdenken. Und es gab einen Handlungstext, der für eine Öffnung des Zölibats für Priester, die keinem Orden angehören, plädierte. Der Text ist auch deshalb von Bedeutung, weil am Anfang des „Synodalen Wegs“ das Erschrecken über die Missbrauchsvorwürfe gestanden hatte.
Ist das Glas halb voll oder halb leer? Das hängt natürlich vom persönlichen Standpunkt des Betrachters und den Erwartungen oder Befürchtungen ab. Man wird vielleicht einwenden, dass der „Synodale Weg“ nicht allzu viel erreicht hat. Aber stimmt das wirklich? Das Miteinander von Laien und Bischöfen hat eine neue Qualität erhalten. Man redet miteinander – und weniger übereinander. Und das auch in Konfliktsituationen. Beim Ringen um die Texte bewegen sich beide Seiten. Das Ergebnis ist häufig ein Kompromiss, mit dem beide Seiten vielleicht nicht zu hundert Prozent zufrieden sind. Aber genau darin liegt der eigentliche Wert des Aufeinander-Zugehens.
Eigentlich sollte der „Synodale Weg“ verstetigt werden. Deshalb wurde ein „Synodaler Ausschuss“ gewählt. Aber was der Ausschuss konkret tun soll, blieb noch vage.
Ebenso bleibt die Frage spannend, was Rom mit den Papieren aus Deutschland macht. Von dort kommen bisher sehr unterschiedliche Äußerungen. Vom Brief des Papstes an die Kirche in Deutschland, mit der er den „Synodalen Weg“ ausdrücklich begrüßte, bis zum Schreiben von drei Kurienkardinälen, mit denen sie wortreich bekräftigten, dass kein Bischof gegen ihren Willen zum „Synodalen Weg“ oder zum Folgeausschuss gezwungen werden dürfe.[8] Man kann sich also durchaus verschiedene Szenarien vorstellen: Einfach liegen lassen – abschlägig beurteilen – oder man wagt den Schritt, tatsächlich ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Mittlerweile hat die katholische Kirche in Deutschland mehr als 40 Millionen Euro für vom sexuellen Missbrauch Betroffene ausgezahlt.[9] Das war nur folgerichtig. Dennoch ist der „Synodale Weg“ nicht alles. Wir brauchen wieder eine Kirche, in der die Leute heimisch sind – eine bewohnbare Kirche. Sie muss wieder Antworten geben auf die Nöte der Zeit.
Aber immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche ab. Im Bundesgebiet sind nach der letzten Zählung nur noch knapp 49,7 Prozent der Bevölkerung in der katholischen oder evangelischen Kirche. Das ist eigentlich nur eine Minderheit. 1990, nach der Wiedervereinigung, war die Kirchenmitgliedschaft noch bei über 72 Prozent. Wo sind die über 20 Prozent hingegangen? Wer redete mit Ihnen, um sie für die Kirche zurückzugewinnen? Die Leute stimmen mit den Füßen ab. Daran ändert auch der „Synodale Weg“ nur wenig. Viele Leute sind nach wie vor in diffuser Weise religiös oder auf der Suche nach etwas, was dem Leben einen tieferen Sinn gibt. Aber: Gehen wir ohne Vorurteile auf diese Leute zu? Wo können wir besser – und glaubwürdiger – werden? Ich wünsche mir eine Kirche, die vorbehaltlos einlädt zum Mittun und Mitgestalten. Eine Kirche, deren Türen weit offen sind.
Anmerkungen:
[1] Details siehe „MHG-Studie“ von 2018: 1.670 Kleriker wurden seit dem zweiten Weltkrieg des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Mindestens 3.677 Kinder und Jugendliche waren in dieser Zeit missbraucht worden. Von den Opfern waren 63% männlich und 35% weiblich. Die Studie im Wortlaut:
https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf
[2] Abstimmungsergebnis der Bischofskonferenz in Lingen 2019: Von 69 Bischöfen und Weihbischöfen haben 62 dafür gestimmt. Außerdem gab es 6 Enthaltungen. Gegenstimmen gab es keine.
[3] Wortlaut des Briefes: 2019-108a-Brief-Papst-Franziskus-an-das-pilgernde-Volk-Gottes-in-Deutschland-29.06.2019.pdf (dbk.de) (Anmerkung: Schon in der Botschaft vom 20.08.2018 setzte der Papst sich mit den Missbrauchsvorwürfen auseinander. Siehe: 2018-Schreiben-von-Papst-Franziskus-an-das-Volk-Gottes-Missbrauch.pdf (dbk.de))
[4] Zitat: … „Diese Heiligkeit, die da lebt, im geduldigen Volk Gottes: in den Eltern, die ihre Kinder mit so viel Liebe erziehen, in den Männern und Frauen, die arbeiten, um das tägliche Brot nach Hause zu bringen, in den Kranken, in den älterer Ordensfrauen, die weiter lächeln. In dieser Beständigkeit eines tagtäglichen Voranschreitens sehe ich die Heiligkeit der streitenden Kirche.“ …
[5] https://www.dw.com/de/vatikan-erklärung-zum-deutschen-synodalen-weg/a-62557582
[6] Im Einzelnen: 69 Mitglieder aus der deutschen Bischofskonferenz, die gleiche Zahl an Mitgliedern aus dem ZdK. Außerdem gibt es 10 Vertreterinnen und Vertreter der Orden. Diözesane Priesterräte sind auch dabei. Außerdem gibt es 15 junge Menschen unter 30 Jahren sowie einige weitere Gruppen. Die Hälfte der ZdK-Delegierten ist weiblich.
[7] 61 Prozent der Bischöfe waren dafür. Damit war den Antrag gescheitert.
[8] Die Replik aus Rom war eine Antwort auf den gemeinsamen Brief von fünf deutschen Bischöfen, die offiziell um eine Auskunft nachgefragt hatten. Näheres siehe: https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2023-01/deutsch-reaktionen-brief-aus-rom-synodaler-weg.html (Man beachte das Bild, mit dem die „Vatican-News“-Redakteure den Artikel eröffneten: „Wintereinbruch in Deutschland“.)
[9] dpa-Meldung im Tagesspiegel, 04.02.2023.
Dr. Christoph Braß ist einer der Redakteure von „kreuz-und-quer.de“ und war längere Zeit Vizepräsident des ZdK. Er war Abteilungsleiter Inland unter Bundespräsident Gauck. Christoph Braß war einer der Synodalen.