Stechlinsee

Dr. Christoph Braß

Der Blog „kreuz-und-quer.de“ geht in Urlaub. Heute nimmt er Sie noch einmal mit zu einer feuilletonistischen Fahrradreise von Berlin zum Stechlinsee. Er macht in Meseberg und Gransee Station, blickt sehnsüchtig hinüber nach Rheinsberg und geht schwimmen. Selbstverständlich immer mit Fontane in der Hand. Der Blog ist in der zweiten Augustwoche wieder für Sie da. 


Stechlinsee

Was fällt mir zum Stechlinsee ein? – 1. Schullektüre (leider lange unverstanden). Mehr oder weniger fiktiver Ort, wo Theodor Fontane seinen alten „Stechlin“ auftreten lässt. Der Stechlin ist eine Romanfigur, aber der See ist echt.
2. Er ist einer der tiefsten Süßwasserseen im Norden Deutschlands (69 Meter). 3. An seinem westlichen Ende stand das erste Kernkraftwerk der DDR (1990 stillgelegt).

Es gibt also ganz verschiedene Gründe, um von Berlin zum Stechlinsee zu fahren. Das sind ungefähr 80 Kilometer, selbst mit dem Fahrrad schafft man das. Vor allem: Wenn man schließlich am Ufer steht, scheint der See beinahe aus einer anderen Welt zu stammen: Das Wasser ist ungewöhnlich klar, und um diese Jahreszeit lädt er zum Baden und Eintauchen ein. In der Abenddämmerung hat man fast den Eindruck, als zerfließe man mit dem See: Keinen Grund mehr spüren, abtauchen, alles vergessen…

Wenn man dann doch zurückfahren möchte, radelt man am besten noch knappe zehn Kilometer nach Fürstenberg. Dort gibt es einen Bahnanschluss. In der Gegend von Fürstenberg errichteten die Nationalsozialisten das berüchtigte Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. In Fürstenberg, das sich mit dem Beinamen „Wasserstadt“ schmückt, kann man in den Zug steigen und ist in einer Stunde wieder in Berlin. Zurück aus einer ganz anderen Welt.

Meine Hinfahrt führte über Oranienburg, dann über Löwenberg, Großmutz, Meseberg, Gransee, Menz und schließlich das versteckt-malerische Neuglobsow. Von da ist es nur ein Katzensprung zum Stechlinsee.

Das Barockschlösschen Meseberg – Blick über den Huwenowsee.

Erstmals abgestiegen bin ich in Meseberg. Die meisten kennen den kleinen Ort, den man auf der Karte suchen muss, wahrscheinlich gar nicht. Die Straße führt eigentlich vorbei, und man muss einen kurzen Umweg machen. Dort gibt es ein kleines Barockschloss, das seit einiger Zeit als Gästehaus der Bundesregierung genutzt wird. Das Schloss steht mitten im Ort, aber leider hinten hohen Gittern, was  schade ist.

Von der Landseite aus: Schloss Meseberg.

Aber die Kirche, gefühlt einen Steinwurf weiter, war offen: Innen gibt es ein Bild von 1588, das Ludwig von der Gröben, den Besitzer von Meseberg mit seiner Frau Anna und ihren 17 Kindern (!) zeigt. Einige der Kinder sind sehr früh gestorben: Der Maler bildete sie dennoch ab. Sie halten – im Gegensatz zu ihren damals noch lebenden Geschwistern – die Augen geschlossen, und ein Kreuz über jedem von ihnen weist darauf hin, dass sie bereits aus der Welt gegangen sind. Zuoberst im Bild steht die Heilige Dreifaltigkeit: Zwischen Gottvater und Sohn ist eine Weltkugel abgebildet; die eingezeichneten Kontinentalgrenzen sind schon damals erstaunlich genau.

Von 1588 stammt der Bild, das Ludwig von der Gröben im Kreise seiner Familie zeigt.
Ausschnitt: Die gestorbenen Kinder haben die Augen geschlossen und ein Kreuz auf der Kapuze.

Das Bild ist in der Spätphase der Renaissance entstanden. Ich könnte mir vorstellen, dass sich in diesem Gemälde vielleicht auch das stolze Standesbewusstsein der handelnden Personen ablesen lässt: Gott thront damals noch unerreichbar über allem. In gehörigen Abstand folgen ihm dann die eigentlichen Personen des Bildes. Und der gemeine Ackersmann von damals oder sein jetziger Nachfolger zu Rad stehen deutlich außerhalb des Bildes und betrachten es – hoffentlich – in stummer Ehrerbietung. Nur zur Erinnerung: Das ganze steht in Meseberg, in einem Sprengel von heute vielleicht 150 Einwohnern. Manchmal ist leise Ironie schön.

In Gransee ist die alte Stadtmauer noch in Resten erhalten.

In Gransee – einer ummauerten Stadt, die immer noch mehrere Stadttore hat – habe ich nochmals eine kleine Pause gemacht. Ich war schon öfters hier. Die meisten denken bei Gransee an die tote Königin Luise, die Ehefrau von Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Nach ihrem frühen Tod – sie starb mit 34 Jahren am 19. Juli 1810 auf einer Reise – wurde sie auf dem Trauerzug nach Berlin in Gransee für eine Nacht aufgebahrt. Wenig später errichtete die Stadt ein gusseisernes Denkmal, das heute noch (oder wieder?) steht.

Aber heute zieht es mich nicht zur schönen und tugendhaften Luise hin, sondern um einen Platz weiter in die St. Marienkirche.

Die St. Marienkirche in Gransee

Deren älteste Bauphase stammt von 1285, also noch aus der „katholischen“ Zeit Gransees. Später wurde manches verändert. Heute ist der Bau im besten Sinne ein Unikum. Die beiden Backsteintürme, die aus einem Feldsteinmauerwerk ragen, sind sehr verschieden ausgelegt. Das heutige Haupttor ist relativ klein, und über den Kopf der Besucher ist eine kleine Marienfigur aufgestellt.

Überhaupt Heilige: Offenbar hat man in der Mark trotz allem irgendwie ein inniges Verhältnis zu ihnen. Jedenfalls hat man in der Kirche den Eindruck, dass die himmlischen Heerscharen eigens auf uns gewartet haben: Der Heilige Georg und der Erzengel Michael, Johannes der Täufer und die Heilige Katharina und vieles anderes mehr. Das Triumphkreuz vom Ende des 15. Jahrhunderts schwebt über dem Altar. Wenn man nicht wüsste, das wir in einer evangelischen Kirche sind, könnte man sie glatt für ziemlich katholisch halten. Ein „Bildersturm“ hat hier wahrscheinlich nie stattgefunden. Aber von den rund 6.000 Bürgern Gransees sind heute nur 750 Gemeindemitglieder.

Das Triumphkreuz vom Ende der 15. Jahrhunderts.

Ich verlasse Gransee und gehe auf die letzte Etappe. Das Land wird jetzt etwas hügeliger. In Menz könnte man links nach Rheinsberg abbiegen. Das Schloss und den Park besichtigen. Friedrich der Große hat hier eine Weile gelebt. Dann übereignete er es seinem Bruder Heinrich. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Rheinsberg durch Kurt Tucholsky bekannt. Er schrieb ein „Bilderbuch für Verliebte.“ Aber das ist eine andere Geschichte. Ich biege in die entgegengesetzte Richtung ab und nehme den gut ausgebauten Fahrradweg nach Neuglobsow. Wenn man nach links abbiegen würde, käme man über die „Atomstraße“ (so heißt die wirklich) zur gesicherten AKW-Ruine. Aber ich fahre diesmal weiter geradeaus. Und dann liegt er plötzlich da vor mir: Der Stechlinsee.

Noch einmal Theodor Fontane in seinem Roman „Der Stechlin“: „Engelke [der alte Diener des Herren von Stechlin] hatte vor kurzen einen roten Streifen annähen wollen, war aber mit seinem Vorschlag nicht durchgedrungen. ‚Lass. Ich bin nicht dafür. Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was Rotes dran nähst, dann reißt es gewiss.‘“ – Der „Stechlin“ entstand nach der Reichsgründung von 1871.

Gewitter über dem Stechlinsee, deutlich verfremdet.

(Fahrradtour am 6. Juli 2021. Teile dieses Beitrags habe ich bereits auf meinem privaten Blog veröffentlicht. Alle Fotos: Braß)


Dr. Christoph Braß ist einer der Redakteure von „kreuz-und-quer.de“ und war längere Zeit Vizepräsident des ZdK. Er war Abteilungsleiter Inland unter Bundespräsident Gauck.

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