Einige Anmerkungen zum Katholikentag

Dr. Christoph Braß

In Deutschland wird seit 1848 der Katholikentag begangen. Das erste Treffen dieser Art fand in Mainz statt. Ursprünglich nannte sich diese Begegnung Generalversammlung der Katholischen Vereine Deutschlands. Dieser etwas sperrige Titel verweist auf eine zentrale Grundlage dieser Veranstaltung, den Verbandskatholizismus. Die Laienbewegung insgesamt erlebte in dieser Zeit eine fulminante Aufbruchstimmung.

Kurzer Rückblick, einige Streiflichter

Gut 50 Jahre vorher war in Frankreich die Revolution ausgebrochen, die mit ihren Versprechen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auch in Deutschland gläubige Anhänger fand. Dann folgten die Napoleonischen Kriege, die jahrelang nahezu den ganzen Kontinent erfassten und einen hohen Blutzoll forderten. Schließlich war Napoleon besiegt, und die übrig gebliebenen Fürsten wollten rasch wieder zur Tagesordnung übergehen. Aber die Leute waren inzwischen aufgeklärter und vor allem auch skeptischer geworden. Sie trauten nicht mehr dem sogenannten „Heilsplan“ Gottes, der sie im Grunde auf das Jenseits vertröstete. Stattdessen rückte der Mensch in den Vordergrund. Das war neu.

Und zugleich wagten viele die Hoffnung auf ein irgendwie demokratischeres Deutschland. Nur zur Erinnerung: In der Frankfurter Pauluskirche trafen sich 1848 die Delegierten der ersten Nationalversammlung, die wenig später vor allem an Preußen und seinen Bajonetten gescheitert war.

In diesen Kontext entstand der Verbandskatholizismus, der auch eine Reaktion auf eine latente Unterdrückung des katholischen Bevölkerungsbestandteils vor allem in Preußen war. Einige Verbände von damals sind bis heute aktiv: Zum Beispiel die Kolpingfamilie, diverse katholische Studentenvereinigungen oder das „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ (ZdK), das unter anderem gegründet wurde, um die Katholikentage vorzubereiten. Diese Aufgabe erfüllt das ZdK auch heute noch. Auch die Deutsche Zentrumspartei – ein wichtiger, katholischer Vorgänger der CDU – hatte ihre Wurzeln in diesem Milieu. Heute fragt man sich, ob es so ein Milieu überhaupt noch gibt.

Mehr als 170 Jahre sind seit dem ersten Katholikentag vergangen. In dieser Zeit gingen zwei Weltkriege und namenloses Leid von Deutschland aus. Zeitweise war der Katholikentag verboten. Gleichwohl markierte er auch in der Kirche selbst immer wieder Zeitenwenden: Auf dem Katholikentag 1966 in Bamberg wurde über die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils diskutiert. Und zwei Jahre später in Essen war man mit großer Mehrheit der Meinung, dass man die Frage der Empfängnisverhütung doch den (Ehe-)Paaren selbst überlassen sollte. Das war mutig – und ist schon eine Weile her…

„leben teilen“

Vor wenigen Tagen ist der 102. Deutsche Katholikentag in Stuttgart zu Ende gegangen. Sein Motto lautete: „leben teilen“. Das ist zunächst eine Leerformel, die in kluger Weise gefüllt werden muss. Der Überfall Russlands auf die Ukraine war ein zentrales Thema – völlig zurecht. Die Aufnahme der Flüchtlinge wurde debattiert. Und schließlich war es ein starkes Zeichen, dass zu einer Friedensdemonstration eingeladen wurde. Nicht zu vergessen, dass auch die Kirchenkrise dem Katholikentag ihren Stempel aufdrückte.

Wenn man allerdings diese globale Ebene verlässt und schaut, was das ZdK zu bestimmten Ethik-Themen im Dialog mit den Interessensvertretern in Deutschland konkret zu sagen hat, wurde es schnell ein wenig dürftig: Die Frage nach dem Anfang und nach dem Endpunkt des irdischen Lebens, die einem bei diesem Leitwort spontan in den Sinn kommt, war etwas unterbelichtet. Fast könnte man meinen, dass bei der Frage der Schwangerenberatung oder bei dem aktuellen Problem der Sterbehilfe zurzeit selbst im Bundestag mehr und kontroverser debattiert wurde, als auf dem Katholikentag selbst. Zur Sterbehilfe gab es aber immerhin einen Programmpunkt. Ansonsten hat sich das ZdK eher schwer getan, eine Richtung einzufordern. Und auch die Bischöfe haben diesen Aspekt bei den großen Predigten kaum aufgegriffen.

Geringe Teilnehmerzahl

Der zweite Aspekt, der von Stuttgart in Erinnerung bleiben wird, ist die geringe Teilnehmerzahl. Das ZdK bezifferte die Zahl mit insgesamt 30.000. Nur zur Erinnerung: In Münster waren es noch zwei- bis dreimal so viele. Mein Eindruck ist, dass vor allem die jungen Menschen fehlten. Auch das ist eine bittere Botschaft.

Natürlich sind Zahlen nicht alles. Aber der Trend ist unverkennbar. Beim nächsten Mal in Erfurt werden die Mittelgeber aus Kirche und Politik vermutlich sehr genau schauen, wohin sie ihr Geld geben. Was also tun? Der Katholikentag muss kleiner und zugleich schlagkräftiger werden. Rund 1.500 Foren gab es in Stuttgart. Weniger wäre wahrscheinlich mehr gewesen. Die Nöte der Zeit müssen beim Katholikentag wieder greifbar werden. Und das ZdK muss wieder stärker Position beziehen.

Es gab übrigens nicht nur in Deutschland Katholikentage, sondern auch in Österreich und der Schweiz. Beide Länder haben den Katholikentag aus verschiedenen Gründen vor längerer Zeit eingestellt. Die Erfahrungen des Katholikentags in Stuttgart zeigen, dass auch er kein Selbstläufer ist.


Dr. Christoph Braß ist einer der Redakteure von „kreuz-und-quer.de“ und war längere Zeit Vizepräsident des ZdK. Er war Abteilungsleiter Inland unter Bundespräsident Gauck.

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