Synodaler Weg und Ökumene

Dr. Ulrich Ruh

Ökumene spielt sich nicht im luftleeren Raum ab, auch wenn mancher offizielle ökumenische Dialog diesen Anschein erweckt. Vielmehr werden die Bemühungen um mehr Gemeinschaft zwischen den christlichen Kirchen und Konfessionen von der jeweiligen religiös-kirchlichen Gesamtlage beeinflusst und mitgeprägt. Das gilt nicht zuletzt für das Verhältnis von evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland als den hierzulande wichtigsten ökumenischen Partnern; sie haben im Neben- und oft auch Gegeneinander unsere Kultur und Gesellschaft über Jahrhunderte maßgeblich bestimmt. Derzeit macht in der Öffentlichkeit vor allem die katholische Kirche von sich reden, die als Reaktion auf die seit 2010 schwelende Missbrauchskrise einen „Synodalen Weg“ ins Leben gerufen hat.

Beim Stichwort „Synode“ fällt einem in der Regel zuerst die evangelische Kirche ein, und zwar zu Recht: In ihr gibt es seit langem auf allen Ebenen bis hin zu den Landeskirchen und zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Synoden als in der Kirchenverfassung fest verankerte Beratungs- und Entscheidungsgremien. Dementsprechend ist in der Diskussion um kirchliche Reformen in manchen katholischen Kreisen nicht selten der Vorwurf zu hören, durch verstärkte Tendenzen zur Synodalisierung sei die katholische Kirche in Deutschland auf dem besten Weg, zu einer protestantischen Denomination zu werden. Zieht man den polemischen Unterton ab, steckt in dieser Einschätzung zweifellos ein wahrer Kern: Schon unter dem Zwang der Verhältnisse wird die katholische Kirche jedenfalls hierzulande, ob sie es will oder nicht, in mancher Beziehung „protestantischer“. Überalterung und Nachwuchsmangel führen dazu, dass immer weniger geweihte Amtsträger mit klerikalem Sonderstatus anzutreffen sind, die meisten weiblichen wie männlichen Ordensgemeinschaften als katholische Besonderheiten sind vom Aussterben bedroht, das kirchliche Teilnahmeverhalten hat sich auf katholischer Seite praktisch flächendeckend dem evangelischem angeglichen, das einstmals reiche katholische Brauchtum hat sich weitgehend abgeschliffen.

Lohnt es sich angesichts dieser Entwicklungen eigentlich noch, das in der katholischen Kirche offiziell mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gestartete Projekt Ökumene weiter zu betreiben? Führt der Weg nicht unvermeidlicher Weise zu so etwas wie einem großen christlichen Einheitsbrei? Was nützen weitere Anstrengungen um die Aufarbeitung traditioneller evangelisch-katholischer Lehrunterschiede, jedenfalls unter den kirchlichen Bedingungen in Deutschland oder vergleichbaren europäischen Ländern?

In jeder Krise steckt bekanntlich eine Chance. Das gilt auch in ökumenischer Hinsicht: Eine katholische Kirche, in der sich das Gewicht theologisch wie praktisch vom herausgehobenen Weiheamt zu einer Vielzahl von Ämtern und Diensten verschiebt, müsste sich mit der Ämteranerkennung gegenüber den Kirche der Reformation leichter tun. Und eine stärkere Pluralisierung im katholischen Gottesdienstangebot statt der Dominanz der Vollform Eucharistiefeier, die ohnehin dringend geboten ist, würde auch ökumenisch die Frage nach der Abendmahlsgemeinschaft zumindest entspannen. Es kann niemand voraussagen, wohin das eben erst von Papst Franziskus angestoßene Experiment mit neuen Formen der Synodalität „auf katholisch“ letztlich führt. Aber es könnte daraus jedenfalls längerfristig ein verändertes Verhältnis von Ortskirche und Universalkirche entstehen, das ökumenische Spielräume eröffnen würde.

Höchst sinnvoll und notwendig wäre angesichts des unbestreitbaren gesellschaftlichen und kulturellen Relevanzverlusts beider großer Kirchen in Deutschland und ihrer insgesamt schwindenden Ausstrahlungskraft zunächst einmal selbstkritische Lernbereitschaft auf beiden Seiten, gerade im Blick auf die großen Reformprojekte, die sich viele Landeskirchen wie Bistümer verordnet haben. Das gilt für die theologischen Grundlagen von Kirchenreform wie für Schritte der praktischen Umsetzung. Vor allem bräuchte es aber auf allen Ebenen so etwas wie einen Wettbewerb zwischen den Kirchen auf der Suche nach Ideen, wie der christliche Glaube unter „nachchristentümlichen“ Verhältnissen präsent gehalten oder gemacht werden kann, sei es in der Seelsorge vor Ort, im kulturellen Bereich oder in der diakonischen Arbeit. Ökumene im Bemühen um intelligente und kreative Ansätze für ein direktes wie indirektes christliches Zeugnis – das wäre gerade hierzulande ein Gebot der Stunde.


Dr. Ulrich Ruh (1950) ist Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau und war 1991 – 2014 Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“. Er studierte Katholische Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen und legte 1974 das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Danach war er bis 1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Freiburg (Prof. Karl Lehmann), am Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie. 1979 wurde er in Freiburg mit einer Arbeit über Begriff und Problem der Säkularisierung zum Dr. theol. promoviert und trat im gleichen Jahr in die Redaktion der “Herder Korrespondenz” ein.

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