Ein neuer Gesellschaftsvertrag

Dr. Stefan Nacke, MdB

Friedrich Merz hat in seiner Bewerbungsrede beim digitalen Parteitag im Januar die Latte für sich und die CDU gleichermaßen hoch gelegt: Neben kraftvoller Oppositionsarbeit und den anstehenden Wahlen in den Ländern sieht er als dritte zentrale Aufgabe die programmatische Erneuerung der Union. Die „Oppositionsmisere“ konstruktiv gewendet, sei die Gelegenheit günstig, ohne Rücksicht auf einen Koalitionspartner wieder auf Augenhöhe der Diskussion zu kommen, gleichsam satisfaktionsfähig zu werden.

Im Sozialen sieht er nicht den Reparaturbetrieb des Kapitalismus, sondern einen konstitutiven Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft. Deren Gesellschaftsmodell müsse in Zeiten des demografischen Wandels und des Klimawandels reformuliert werden. Dabei dürfen sich Arbeitnehmer und Unternehmer, Jüngere und Ältere gleichermaßen angesprochen fühlen, wenn die Volkspartei CDU die gesellschaftlichen Konflikte so bearbeiten will, dass sie sie im Lichte der Gerechtigkeit gleichsam zu einem neuen Gesellschaftsvertrag transzendiert und ein neues Politikangebot unterbreitet. Das klingt nach Hintersichlassen alter Bierdeckelrhetorik im Kontext eines Leipziger Parteitags und nach einem echten Angebot für semantische Kärrnerarbeit, welche die Begriffe ehrlich und zugänglich fasst und nicht bloß strategisch als ideologische Phrasen.

Nach der Aufgabenbeschreibung geht es um die Lösung, und da steckt der Teufel bekanntlich im Detail. Soziale Gerechtigkeit in Zeiten des demografischen Wandels zu formulieren, darf nicht der Versuchung eines polarisierenden Ausspielens der Interessen von Jüngeren oder Älteren erliegen. Das System der Altersvorsorge auf Basis der gesetzlichen und betrieblichen Rentenversicherung sowie der privaten Vorsorge ist zu vielschichtig, als dass ein einziger noch so großer Wurf alle seine Herausforderungen bewältigen könnte. In diesem Zusammenhang passt es gut, dass das eher bewahrende Selbstverständnis der Christdemokratie der Evolution mehr zutraut als revolutionären Versuchungen.

Friedrich Merz will „zusammenführen“ und es geht ihm in seiner Rede darum, das Leben der Menschen zu verbessern. Und für den Erneuerungsprozess der CDU als Volkspartei, die mitten im Leben steht, gilt dies genauso. Die Komplexität des Lebens ist nicht so einfach zu reduzieren, ohne unterkomplex zu werden und in die Naivitätsfalle zu tappen. Für die neue Einigkeit der Union hat er einen interessanten Vorschlag wiederentdeckt, der nach innen Mittelstand und Arbeitnehmerflügel versöhnen könnte, weil er die Logik der Interessen und die Logik der Werte verbindet: Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Es reicht nicht aus, über Kapitaldeckung oder Umlageverfahren in der Rente zu reden. Das große Thema der Union lautete einmal „Wohlstand für alle“ – und sollte heute heißen: „Eigentum für alle“. Was uns nach innen versöhnen kann, unterscheidet uns nach außen von den politischen Mitbewerbern, die nur den „Mieter“ (SPD), das „öffentliche Eigentum“ (Grüne) oder die sowieso Starken, weil „Vermögenden“ (FDP), im Blick haben. Weil wir den Antagonismus von Kapital und Arbeit überwinden, konturieren wir mit „Eigentum für alle“ unser Profil als Volkspartei. Der neue Partei- und Fraktionsvorsitzende hat mit seinem alten-neuen Vorschlag eine Hand ausgestreckt – auf die Diskussionen über moderne Eigentumsformen für das 21. Jahrhundert freue ich mich sehr und schlage ein: An die (Begriffs-)Arbeit!


Dr. Stefan Nacke, seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages, und dort ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, zuvor von 2017 bis 2021 Mitglied des Landtages Nordrhein-Westfalen und zudem Landesvorsitzender des Kolpingwerkes Nordrhein-Westfalen sowie Vorsitzender der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Westfalen.

Ein Gedanke zu „Ein neuer Gesellschaftsvertrag“

  1. Wohneigentum für viele Bürger wäre der Wirtschaftsmotor ! Es schützt uns vor Altersarmut bei dem Rentensystem und motiviert die Fleißigen.

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