NETZDEBATTEN IN WAHLKAMPFZEITEN

Liane Bednarz analysiert die Debatten, die zur herannahenden Bundestagswahl im Internet zu beobachten sind, und plädiert dafür, nicht nur eigene Botschaften zu senden, sondern auch auf Gegenargumente einzugehen.

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Liane Bednarz

Netzdebatten in Wahlkampfzeiten

In rund einem Monat findet sie endlich statt, die Wahl zum neuen Bundestag. Bis dahin wird die Hitze der Debatten in den sozialen Medien vermutlich weiter zunehmen. Das stille Gewässer, als das dieser Wahlkampf bisher daherkommt, steht in einem merkwürdigen Kontrast zu der Wut und der Aufregung, die sich in den sozialen Medien, allen voran Facebook und Twitter, regelmäßig vor allem über die Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, und den Unionskandidaten Armin Laschet entladen. Zeit also für eine Reflexion der derzeit zu beobachtenden Mechanismen in den politischen Netzdiskursen.

Gewiss, Anlass zu Ärger haben sowohl Baerbock als auch Laschet reichlich genug geboten. Baerbock hat ihre Glaubwürdigkeit sowie ihren Sympathiefaktor durch eine geschönte professionelle Vita, ein in Teilen abgeschriebenes Buch und die öffentliche Herabsetzung ihres Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck als Kühemelker selbst ziemlich geschreddert. Und Laschet hat sich seine schlechten persönlichen Umfragewerte durch einen nicht stringenten Corona-Kurs, dem Hin- und Her bei Äußerungen zur Klimapolitik kurz nach der Flutkatastrophe sowie dem deplatzierten Lachen vor Ort in Erftstadt ebenfalls selbst zuzuschreiben.

Dennoch sollten Menschen, die sich über diese und andere Umstände in den sozialen Medien äußern, versuchen, sich nicht von ihren negativen Emotionen treiben zu lassen und unnötiges zwischenmenschliches Porzellan zu zerdeppern. Beides lässt sich leider allzu oft beobachten. Dabei fallen vor allem drei destruktive Mechanismen auf:

  1. Doppelmoral: Kritik an Vertretern des eigenen Lagers wird reflexartig als „Kampagne“ abgetan

Die zeitlich eng aufeinander folgenden Patzer Baerbocks und Laschets haben eine frappante Doppelmoral in der Diskussionskultur offengelegt, die man zwar auch bisher schon kannte, die dieses Mal aber wie unter einem Brennglas zu sehen war. Reflexartig neigten viele Anhänger Baerbocks dazu, jedwede Kritik am Fehlverhalten ihrer Favoritin als „Kampagne“ oder gar „Hetze von rechts“ abzutun. Tatsächlich aber war die Kritik sehr berechtigt und wurde gerade in den Medien lagerübergreifend, ja sogar in der den Grünen ideell nahestehenden „taz“ geäußert. Als kurz darauf Laschet in der Kritik stand, fanden Grünen-Anhänger hingegen nichts dabei, ihren Ärger im Netz deutlich kundzutun. Umgekehrt bezichtigten allerdings auch Laschet-Sympathisanten dessen Kritiker einer „Kampagne“ bzw. „Hetze“. Bei Baerbock zeigten sie demgegenüber keine Beißhemmung.

Einer redlichen Debattenführung würde es guttun, grundsätzlich dasselbe Maß an das Verhalten von Politikern anzulegen, ganz egal, ob sie aus der eigenen Partei oder dem gegnerischen Lager stammen. Der eigenen Glaubwürdigkeit übrigens auch. Gewiss ist es verständlich, gerade für Parteimitglieder, wenn sie die eigene Parteispitze nicht offen kritisieren wollen. Dann sollten sie allerdings wenigsten schweigen statt berechtigte Kritik als „Kampagne“ oder „Hetze“ abzutun, wenn sie bei Fehlern der anderen Spitzenkandidaten sehr wohl zuschnappen.

  1. Der Drang, sich bei einzelnen Themen zu verbeißen

Nicht nur in Wahlkampfzeiten, bei diesen aber vermehrt, besteht die Gefahr, sich bei Themen, die einem besonders wichtig sind, übermäßig zu verbeißen und so auch Kontakte zu anderen Netzkommentatoren zu belasten, mit denen man sich bei anderen Themen durchaus einig ist. Besonders häufig ist ein derart destruktives bei Identitätsfragen zu beobachten, aktuell etwa bei den heftig geführten Auseinandersetzungen rund um die Gendersprache. Gerade jemandem wie der Verfasserin dieses Textes, die mit dem Gendern keine größeren Probleme hat, selbst aber nicht gendert, fällt eine zunehmende Verkeilung beider Seiten auf. Anlass dafür sind oftmals Wahlprogramme oder Äußerungen führender Politiker, seien sie gegendert oder ungegendert.

Während manche eher konservative User in den sozialen Medien das Gendern als eine Art Untergang des Sprachabendlands betrachten und sich ständig darüber echauffieren, wollen viele progressive Menschen die geschlechtsneutrale Sprache unbedingt durchdrücken. Besser wäre es, sich gegenseitig zuzuhören und über die Argumente der jeweiligen Gegenseite zumindest nachzudenken. Auch deshalb, weil man selbst unter Linksliberalen und Linken bisweilen auf Vorbehalte gegenüber dem Gendern stößt und Gendersprachenkritik nicht per se reaktionär oder rechts ist. Es gibt durchaus bedenkenswerte linguistische Vorbehalte ebenso wie die Sorge, dass das Gendern durch die damit einhergehende ständige Betonung der geschlechtlichen Unterschiedlichkeit Gleichberechtigungsanliegen auch entgegenlaufen kann.

Gleichsam stößt man aber auch auf eher Konservative, die das Gendern nicht generell ablehnen oder teilweise sogar aktiv gendern, weil ihnen die Sichtbarkeit von Frauen sonst zu kurz kommt und sie Defizite in der Gleichbehandlung sehen. Über all diese Punkte könnte man mit Gewinn für beide Seiten lebhaft diskutieren, statt sich in den Diskursschützengraben zurückzuziehen und beständig nachzuladen. Gerade das Gendersprachenthema zeigt sehr deutlich, wie wenig es sich lohnt, sich in einzelne Positionen derart hineinzusteigern, dass man darüber ansonsten stabile Netzdiskursbeziehungen über die Klinge springen lässt.

  1. Der Drang zum Senden, nicht aber zum Empfangen 

Einer der ganz großen Reize der sozialen Medien besteht darin, die eigene Meinung kundzutun und zu verbreiten. Was früher nur Medien möglich war, kann inzwischen jeder machen. Allerdings gibt es eine Kommentarfunktion, auch wenn diese manchen lästig sein mag.

Wenn es gut läuft, kann sich in den Kommentaren eine fruchtbare Diskussion entwickeln. Besonders auf Facebook, wo die Leute im Schnitt weniger aggressiv als auf Twitter auftreten, passiert das oft auch. Oft genug aber auch nicht. In beiden Fällen ist der Grund simpel: Diskussionen gelingen, wenn die Teilnehmer nicht nur ihre eigenen Botschaften senden wollen, sondern auch bereit sind, Gegenargumente wahrzunehmen, was allerdings mehr bedeutet, als selbige nur zu lesen.

Wahrnehmung erfordert, das Gelesene wirklich aufzunehmen und verstehen zu wollen, um sich sodann sachlich damit auseinanderzusetzen. Immer getreu dem Motto „Der andere könnte recht haben“. Hat er das nach Abwägung der Argumente aus der eigenen Sichtweise heraus hingegen nicht, schärft der erhaltene Widerspruch immerhin die eigene Argumentation. Insofern wäre mit einer größeren Bereitschaft nicht nur zum Senden, sondern auch zum Empfangen sehr viel gewonnen. Der Philosoph Jan Skudlarek bringt die Bedeutung des Zuhörens in seinem 2017 veröffentlichten Buch „Der Aufstieg des Mittelfingers – Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört“ auf den Punkt, indem er das „Ernstnehmen“ als „implizite Basis eines Sachgesprächs“ bezeichnet.

Last but not least empfiehlt es sich, die Finger von der Tastatur zu nehmen, wenn man merkt, wie ein Gefühl der Rage in einem aufzusteigen beginnt. Oder aber, wie jüngst ein Facebook-User und aktiver Wahlkämpfer, ein Foto seines schlafenden Hundes verbunden mit dem Kommentar „Etwas zur Entspannung und gänzlich unpolitisch 😊“ hochzuladen.

Solche Momente des Rückzugs sind gute Gelegenheiten, sich das vor Augen zu führen, was der Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun und der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in ihrem 2020 erschienenen Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens“ als „eine zentrale These“ und „Fundament einer Kommunikation, die diesen Namen überhaupt verdient“ ausmachen: „Es ist (…) unbedingt geboten, wenn man mit dem anderen sprechen will, von einem Minimum an Wertschätzung auszugehen.“ Und weiter: „Die Abwertung des Anderen – je umfassender, desto effektiver – ist ein absolut sicheres Rezept, um eine echte Debatte gar nicht erst entstehen zu lassen.“ Dazu passt gut, was die Wirtschaftskommunikationswissenschaftlerin Stefanie Molthagen Schöning und Dietmar Molthagen, der Leiter des norddeutschen Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrem 2019 publizierten Ratgeber „Lasst uns reden – Wie Kommunikation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gelingt“ gerade auch für schwierige Diskussionen zu Reizthemen schreiben: „Überheblichkeit, moralischer Überlegenheitsgestus oder schlicht Herablassung sind keine guten Strategien für ein Konfliktgespräch.“

Die verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl lassen sich gut nutzen, um im Lichte des Vorstehenden eine gelingende Kommunikation in Netzdebatten einzuüben.

Liane Bednarz (1974) ist Publizistin, promovierte Juristin und regelmäßige Gastkommentatorin beim „Spiegel“. 2018 erschien ihr Buch „Die Angstprediger – Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“ (Droemer). Laut FAZ „lässt (es) die Luft aus so manchem Popanz, den die religiöse und politische Rechte aufgebaut haben.“

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