DER SYNODALE WEG ALS ERNEUERUNG IM MASCHINENRAUM

Marc Frings plädiert dafür Synodalität als Methode, die in der katholischen Kirche gerade gemeinschaftlich gelernt und praktiziert wird, in einen dauerhaften Zustand zu überführen.

Den folgenden Beitrag können Sie hier ausdrucken.

Marc Frings

Der synodale Weg als Erneuerung im Maschinenraum

130.000 Unterschriften übergaben Vertreterinnen katholischer Frauenverbände zu Beginn des Jahres an das Präsidium des Synodalen Wegs. Ihre Forderung: eine geschlechtergerechte und glaubwürdige Kirche. Wenn wir ehrlich sind und uns die demographischen Veränderungen in unserem Land ansehen, dann wissen wir, dass eine so beeindruckend große Unterschriftenliste in 20 Jahren nicht mehr zustande kommen wird. Die Mitgliederbewegungen der großen Kirchen in Deutschland kennen nur eine Richtung und erfassen immer mehr Milieus.

Zum Katholikentag 1990 in Berlin rekurrierte der SPIEGEL auf die „nur 23,4 Prozent“ Katholikinnen und Katholiken, die Ende der 1980er Jahre noch häufiger den Sonntagsgottesdienst besuchten, um die attestierte Krise der katholischen Kirche zu belegen. 30 Jahre später sind wir bei neun Prozent angelangt. Die Hermeneutik der Kirchenkritik ist lang und füllt viele Regalbretter. Das ist bitter.

Eine andere Erzählung, die viel relevanter ist, geht so: Glauben schenkt Kraft und Freude, schafft Gemeinschaft und entfaltet ein Gefühl des Getragen-Seins. Zur katholischen Kirche in Deutschland zählt ihre starke Verbände- und Organisationsstruktur, ohne die zivilgesellschaftliches Leben und Unterstützungen im caritativen oder Bildungsbereich völlig undenkbar wären. Oder, um eine Zahl auch positiv zu deuten: während ein Prozent ihrer Mitglieder im vergangenen Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, haben 99 Prozent für sich entschieden, dabei zu bleiben. Wir sind 22 Millionen. Rechnet man die Mitglieder der Evangelischen Kirche dazu, gilt: mehr die Hälfte aller Deutschen gehört einer der beiden großen Kirchen an. Rechnet man die kleineren Kirchen dazu, sind wir bei über 60 Prozent.

Kombiniert man „Kirche“ und „systemisch“, gelangt man zur sogenannten MHG-Studie[1], die das systemische Versagen der katholischen Kirche im Umgang mit Missbrauch und sexualisierter Gewalt durch Priester, Diakone und männlichen Ordensangehörigen in Deutschland dokumentiert. Der Abgrund, der sich mit der Veröffentlichung auftat, ist tief. Und die Erschütterungen trafen die Herzkammern des Gemeindelebens. Seitdem das Thema Missbrauch 2010 in die (nicht nur katholische) Öffentlichkeit zurückgekehrt ist, müssen Katholikinnen und Katholiken immer neue Zahlen, Vertuschungen und Ausreden ertragen. Für eine Institution, die sich primär zweier wirkungsstarker Instrumente – dem Wort und dem Vertrauen – bedient, ist das ein anhaltender Alarmzustand.

Die MHG-Studie steht am Anfang der Aufarbeitung. Sie markiert aber auch die Krise, aus der heraus die Deutsche Bischofskonferenz sich an das Zentralkomitee der deutschen Katholiken wandte, um gemeinsam den Synodalen Weg zu begründen. Seit dem ersten Advent 2019 ringt man um Worte und Antworten, die im Laufe der nächsten anderthalb Jahre in Entscheidungen übersetzt werden. Der qualitative Mehrwert ist damit gesetzt: wechselseitig bieten sich Laien und Klerus ein Dialog auf Augenhöhe an, setzen sich in den vier Foren keine inhaltlichen Schranken und sortieren am Ende zwischen Umsetzungsoptionen für die deutsche Ortskirche und Voten, die in Rom durch Papst oder Konzil zu klären sind.

Umkehr und Erneuerung, wie es die Satzung des Synodalen Wegs im Geiste einer Präambel skizziert, können nur gelingen, wenn man nicht nur auf der Brücke steht und die Weite des Horizonts besichtigt. Alle Synodalen sind eingeladen, in den Maschinenraum zu steigen, um jede Schraube, jedes Rotorblatt und jedes Verbindungskabel in die Hand zu nehmen – die nicht ganz-theologischen Leitfragen liegen auf der Hand: Braucht es das noch? Kann es noch repariert werden? Muss es weg?

Man hört viel über Lagerbildungen, Hardliner und Reformerinnen. Während meiner früheren Beschäftigung mit Krisen und Konflikten in Nahost und Asien habe ich gelernt, dass selten eine schwarz-weiß-Schablone funktioniert. So ist es auch beim Synodalen Weg: Synodale, Beraterinnen, Experten und ausländische Beobachterinnen zeigen, dass ihnen allen an der katholischen Kirche gelegen ist. Wer kompromisslos für das Bewahren eintritt, muss genauso enttäuscht werden wie diejenigen, deren Forderungen nur über das Neuverfassen kirchenrechtlicher Grundsätze erfüllt werden können. Allen Unkenrufen zum Trotz, sind wir getrieben von dem Anspruch, den Laden zusammenzuhalten.

Dass man dies insbesondere an die Adresse jener, die ausscheren und den Dialog einstellen, sagen muss, verwundert mich. Und gleichsam bezweifle ich es, dass bei einer freien Platzwahl im Plenum der Synodalversammlung (die das Prozessmanagement bewusst nicht vorsieht) klare Fraktionen gebildet würden. Jedenfalls würde gewiss kein Westminster Modell mit zwei gegenübersitzenden Parteien entstehen. Dafür gibt es zu viele Bischöfe, die sich mit dem Status Quo nicht zufriedengeben, so zuletzt bei der hörbaren Kritik nicht weniger deutscher Bischöfe auf die päpstliche Instruktion über pastorale Umkehr der Pfarreien.

Der synodale Geist, der gegenwärtig durch die deutsche Ortskirche weht, soll nicht konserviert werden, sondern immer wieder neu wirken: ein Update funktioniert schließlich nur, wenn tatsächlich Brauchbares in ein System eingespeist werden kann. So ist es zwar nur konsequent, wenn der Synodale Weg nach den vier geplanten Synodalversammlungen konkrete Ergebnisse vorweisen kann. Aber damit er kein weiterer Meilenstein in der Geschichte gescheiterter Erneuerungsprozesse in der katholischen Kirche in Deutschland bleibt, muss er eine Perspektive haben. Synodalität als Methode, die gemeinschaftlich gerade gelernt und praktiziert wird, muss überführt werden in einen dauerhaften Zustand.

Auch Katholikinnen und Katholiken dürfen von anderen Kirchen lernen. Dies gelingt, wenn sich das Prinzip bewährt und konkrete, in Deutschland spürbare Ergebnisse 2022 vorliegen. Denn vergessen wir nicht, dass viele Glaubensgeschwister schon leidliche Erfahrungen mit „Reformprozessen“ in ihren Heimatdiözesen gemacht haben. Dafür muss das immer wieder herausgeforderte Enttäuschungspotenzial der engagierten Katholikinnen und Katholiken in den Blick genommen werden.

Subsidiarität heißt nicht nur, lokale Strukturen in den Blick zu nehmen: wir gehen den Synodalen Weg als Teil der Weltkirche, die in seinen Gliederungen augenblicklich die Erfahrung macht, dass Regionalität eine plausible und überzeugende Antwort auf die Herausforderungen ihrer Zeit sind: in vielen Ländern und Kontinenten wird gerade synodal gedacht. Die deutsche Ortskirche ist klein, aber wir sind genauso Versuchslabor wie das Amazonasgebiet, Frankreich oder Australien, um die Erfordernisse einer katholischen Kirche der Zukunft zu ergründen. Wer das mit Abspaltungsträumen verwechselt, will sich vermutlich nicht auf den zwingend erforderlichen Reformprozess einlassen.

„Wenn der Synodale Weg scheitert, dann…“: diesen Bedingungssatz haben vermutlich nicht wenige Katholikinnen und Katholiken für sich bereits ausformuliert. Für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken geht es um einen sehr hohen Einsatz. Aber den höchsten Einsatz hat die Kirche selber eingezahlt: ohne ein Überwinden des Klerikalismus, eines überkommenen Verständnisses von Zugängen zum Weiheamt, des Ausschlusses von Frauen, ohne deren – oftmals ehrenamtlichen – Engagement kirchliches Leben in Deutschland nicht funktionieren würde, und eine Synchronisierung mit dem heutigen Verständnis von Liebe, Beziehung und Sexualität zwischen Menschen, wird es die Kirche als Institution schwer haben. Sie würde sich selbst abschaffen.

Marc Frings (1981) ist seit Januar 2020 Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken mit Sitz in Bonn. Von 2010 bis 2019 hat der Politikwissenschaftler für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Jakarta, Berlin und Ramallah gearbeitet. Mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Töchtern lebt Frings in Berlin.

[1] Das Kürzel „MHG“ steht für „Mannheim – Heidelberg – Gießen“. Das sind die Standorte der Institute,  die an dem interdisziplinären Forschungsverbundprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ mitgewirkt haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert