Joachim Gerhardt beschreibt in seinem Karnevalswort wie der Karneval die Konfessionen vereint.
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Joachim Gerhardt
„Hier stehe ich und kann nicht anders”
Wie der Karneval seit je her die Konfessionen vereint
Um ein für alle Mal mit dem Vorurteil aufzuräumen, Protestanten steigen zum Lachen in den Keller oder sind gar völlig spaßbefreit, hier mein Lieblingswitz:
Ein katholischer, ein orthodoxer und ein evangelischer Pfarrer befinden sich auf ökumenischer Einkehrreise im Heiligen Land und stehen andächtig am See Genezareth. „Es war hier, dass unser Herr über den See lief“, sagt der orthodoxe Bruder ganz ergriffen. „Folgen wir ihm doch nach“, ruft der Protestant begeistert. Gesagt, getan. Der Katholik fängt an und geht sicheren Schrittes über das Wasser ans andere Ufer. Der Protestant folgt. Der Orthodoxe zögert. Doch er sieht am anderen Ufer winkend die Kollegen stehen, macht sich auf den Weg und – patscht, nach weniger Schritten bricht er ein und muss ans andere Ufer schwimmen. Sagt der Katholik zum Protestanten: „Hätten wir dem Bruder vielleicht doch zeigen sollen, wo die Steine liegen.“
Ein kleines Bonmot darüber, wie der Glaube im Leben auch auf unsicherem Terrain Orientierung geben kann. Gut zu wissen, wenn einem die Kirche sagt, wo die Steine liegen. Allerdings gibt es noch eine kurze Fortsetzung. Denn der protestantische Bruder erwidert: „Welche Steine?“
Ich sage ehrlich, welche Konfession in diesem Bibliodrama welche Rolle übernimmt, ist austauschbar. Alle Versionen sind überliefert. Mir gefällt diese, weil wir Protestanten eben besonders auf die Kraft des Wortes vertrauen. Und das „Wort Gottes“ ist auch ein Wort des Lachens, die „frohe Botschaft“ eben, wie das griechische Wort „Evangelium“ auf Deutsch heißt.
Ok, von Martin Luther wird berichtet, dass er dem Karneval höchst kritisch gegenüberstand. Das soll nicht verschwiegen werden. Das „maßlose Treiben und die Völlerei“ der Tage vor Aschermittwoch waren ihm ein Übel. So steht der Wittenberger Reformator leider Gottes für die vermeintlich traditionelle Distanz der Protestanten zum närrischen Treiben. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Schon bei Luther. Denn der liebte ohne Frage die Geselligkeit, braute selbst Bier und konnte das Leben in vieler Hinsicht mit Leib und Seele genießen. Seine Geißelung des Karnevals war theologisch und zielte auf die zweifelhafte Frömmigkeit, es vor der Passionszeit noch einmal richtig krachen zu lassen, um anschließend umso mehr der kirchlich verordneten Buße und Fastenpflicht zu bedürfen. Das konnte nicht zum Segen gereichen, fand Luther – und wer mag da heute widersprechen.
Darum möchte ich daran erinnern: In meiner wunderbaren Stadt Bonn am Rhein waren und sind es immer wieder auch Protestanten, die sich um die Brauchtumspflege der jecken Tage verdient gemacht haben und das immer wieder neu tun. Allen voran der große Dichter, Theologe und Freiheitskämpfer Gottfried Kinkel. 1843 setzte sich dieser vehement dafür ein, dass wieder ein Rosenmontagszug durch die Stadt ziehen konnte und nahm auch selbst daran teil. Ein karnevaleskes Bekenntnis gegen die Preußen, die aus Angst vor Unruhen und unkontrollierbaren Umtrieben wie auch an anderen Orten des Rheinlands den Festkarneval dieser Art untersagt hatten. Na gut, die Preußen waren zumeist auch evangelisch – aber die kamen halt aus Berlin.
Auch Kinkels Frau Johanna gehörte zu den Förderern des Karnevals. Für das protestantische Liebespaar war das närrische Treiben Ausdruck ihrer zutiefst demokratischen Gesinnung, reißt der Karneval doch die Standesunterschiede ein und führt alle Menschen zusammen. Für Freiheit und Gleichheit, das war das Motto! Mit einem flammenden Aufruf warb Gottfried Kinkel für die Pflege der jecken Session. 1850 verfasste er sogar ein eigenes Karnevalslied, das in die provokante Zeile mündet: „Jetzt ist Zick für de Revolution!“ Hier liegen die Ursprünge für den politischen Karneval, der sich bis heute in den Mottowagen der Umzüge erhalten hat. Und gewissermaßen auch für die bei uns gepflegte fröhliche Ökumene.
Natürlich kann man fragen als jemand, der gerne im Rheinland lebt (und wer tut das nicht!): War die Reformation im Rheinland nicht eigentlich überflüssig?
Denn genau beobachtet ist der Rheinländer – vornehmlich in seiner kölschen Art – per se immer schon ein geborener Protestant: im Grunde seines Herzens ein Rebell, der alle Eingriffe der Obrigkeit verabscheut. Der in Ruhe leben will und deshalb auch alle anderen in Ruhe leben lässt. Reformatorisch vorbildlich ist sein persönliches Verhältnis zum „Herrjott“, das allein vom eigenen Gewissen bestimmt wird.
Die Quellenlage ist zwar dünn – der Rheinländer redet eben lieber, als dass er schreibt –, dennoch kann festgehalten werden: Auch ohne den Sachsen Luther hatte der Rheinländer längst bemerkt, dass mit den Kirchenoberen, ihrer verquasten Theologie und ihrem verlotterten Leben, nicht viel anzufangen war. Fast lässt sich sagen, dass Luthers Suche nach dem gnädigen Gott erst in der rheinischen Theologie vollendet ist: in der Glaubensgewissheit, „dat Jott, wenn et en os jute Jründ` ewe jit, von sich us gnädisch ist”.
Evangelisch und katholisch, Reformation aus tiefem Gottvertrauen und unbeschwerte Ökumene – all das ist im Rheinland also kein tolles Thema, sondern seit Urzeiten gewöhnlicher Alltag und das findet in der Karnevalszeit seine selbstverständliche Bestätigung. Wenn da nicht ein fundamentaler Zweifel bliebe. In einem Punkt stehen sich nämlich der Reformator und der Rheinländer diametral gegenüber. „Hier stehe ich und kann nicht anders”, bekannte Luther vor dem Kaiser in Worms. Der Rheinländer kann eigentlich immer anders – oder?
Joachim Gerhardt (1967), ist Pfarrer, Journalist und Publizist aus Bonn. Gebürtig aus Niedersachsen (Göttingen) ist das Rheinland ihm und seiner Familie längst zur Heimat geworden. An der Lutherkirche in der Bonner Südstadt ist er Gemeindepfarrer und zugleich „Pressepfarrer“ des Evangelischen Kirchenkreises Bonn. Regelmäßig „on air“ mit geistlichen Gedanken über Gott und die Welt im WDR und Lokalradio NRW.