ENERGIEPOLITISCHE HERAUSFORDERUNGEN

Michael Sabel plädiert dafür, die Energiewende nicht auf eine Stromwende begrenzt wird und unterstreicht die globale Dimension der Herausforderung.

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Michael Sabel

Energiepolitik vor alten und neuen Herausforderungen

Die einen nennen die Energiewende die größte Herausforderung seit dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit. Die anderen sehen hierin eine ähnlich große Anstrengung wie in der de­mographischen Frage oder der Digitalisierung. Auf einem Blog, der sich Politik und Zeitge­schehen aus christlicher Perspektive nähert, möchte ich eine dritte Sichtweise bemü­hen: Ener­giewende und Klimaschutz sind bis dato das größte Vorhaben, um das Erbe der Menschheit – Gottes Schöpfung – zu erhalten und nachhaltig nutzbar für zukünftige Gene­rationen zu ma­chen.

Ziel des Beitrages ist es, ausgewählte alte und neue Herausforderungen der Energiewende und des Klimaschutzes darzustellen. Die drei alten Herausforderungen liegen darin,

  • volatile sowie ungünstigen klimatisch-geographischen Faktoren unterwor­fene Erneuerbare Energien zu den Trägern der Hauptlast der deutschen Energiever­sorgung zu machen,
  • den Stromverbrauch in den nächsten Jahrzehnten drastisch zu reduzieren und
  • ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Energiewende nicht nur eine Stromwende ist, sondern ebenso eine Verkehrs- und eine Gebäudewende im­pliziert.

Zu den neuen Herausforderungen zählen ein für den Klimaschutz wirksamer, globaler Treibhausgasemissionshandel sowie Bemühungen, der Atmosphäre wieder CO2 zu entziehen.

Erneuerbare stellten in 2015 29% der deutschen Bruttostromerzeugung, davon wiederum ent­stammte über die Hälfte der Wind- und der Solarkraft. Diese beiden Energieträger sind hoch­volatil, d.h. sie liefern nicht konstant die gleiche Menge Energie – man kennt die Ar­gumente zu Genüge: Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, fallen diese beiden Kom­ponenten größtenteils aus. Überdies: Wenn zu viel Sonne scheint und der Wind zu stark weht, kann das Mehr an gewonnener Energie ebenfalls nicht genutzt wer­den, weil es an Spei­cherkapazitäten mangelt. Eine stetige Verbesserung der Speichermög­lichkeiten sowie ihr massiver Ausbau können dem Abhilfe leisten. Gleichzeitig wäre eine Europäisierung der Stromerzeugung und -verteilung hilfreich, um die Erzeugung von Win­d- und Sonnenenergie zu optimieren.

Mit der Energiewende geht auch eine Energieverbrauchswende einher. Die Bundesregie­rung sieht vor, bis 2050 den Bruttostromverbrauch um 25% im Vgl. zu 2008 zu senken. Dies kann nur gelingen, indem man das Wirtschaftswachstum vom Energiebedarf entkop­pelt sowie dar­über hinaus weitere Anstrengungen zur Reduktion des Energieverbrauchs unternimmt. Das fängt bei verbrauchsärmeren Elektrogeräten an, geht weiter mit der Re­duktion des Leitungs­verlusts beim Stromtransport, und geht über zu Smart Energy Con­sumption – die exakt benö­tigte Menge Strom zur exakten Zeit verbrauchen – nicht mehr – aber besser auch nicht weni­ger.

Außerdem ist es notwendig, dass die Energiewende endlich nicht mehr nur auf eine Strom­wende reduziert wird. Ein paar Zahlen zur Erläuterung: Die Energiewirtschaft in Deutsch­land ist mit ca. 39% der größte Emittent, der Verkehr und der Gebäudebereich sind aber jeweils für ca. 20% der Emissionen verantwortlich. Der Verkehr muss demnach mitziehen: Notwen­dig ist eine Mischung aus elektrischen, chemischen (Wasserstoff) und gasbasierten Antrieben, hybriden Lösungen, effizienterer Biosprit sowie eine enorme Effizienzsteige­rung im Ver­kehrsbereich. Im Gebäude-/Wärmebereich sind bereits heute umsetzbare Lö­sungen vorhan­den: Mit Dämmung, energiesparenden Maßnahmen und regenerativer Ener­gieerzeugung, z.B. durch Geothermie, lassen sich große Fortschritte erzielen.

Bezüglich der neuen Herausforderungen sei angemerkt, dass diese weniger auf Deutsch­land beschränkt sind, sondern global angegangen werden müssen.

Da ist zunächst eine Globalisierung des Treibhausgasemissionshandelssystems: Die EU hat ein solches EU ETS (Emission Trading System) bereits 2005 eingeführt. Gleichwohl das EU ETS Defizite vorweist, gilt der Emissionshandel dennoch als ein effektives Instru­ment zur Reduktion der Treibhausgase. Eingedenk des globalen Ausstoßes und der ebenso globalen Klimafolgen, sollte der Emissionshandel aber nicht regional beschränkt, sondern weltweit eingesetzt werden. Ein solches Vorhaben mit allen (relevanten) Staaten gemein­sam umzuset­zen, ist eine abenteuerliche Aufgabe. Und dennoch: Die Anfänge in Europa sind gemacht, und jüngst hat auch die Volksrepublik China verlauten lassen, einen eigenen nationalen Emis­sionshandel einzuführen – daher bleibt ein Rest an Zuversicht, dass in den kommenden Jahren immer mehr Staaten gleichziehen werden und in einem zweiten Schritt eine weltweite Har­monisierung der Handelssysteme in greifbare Nähe rückt.

Was aber, wenn all die Reduktionsmaßnahmen nicht ausreichen werden? Der sog. Global Carbon Budget ist das weltweit noch zur Verfügung stehende Budget an Emissionen, die noch ausgestoßen werden können, um das 2°C-Ziel der Erderwärmung einzuhalten. Es gibt Prognosen, nach denen die avisierten Reduktionsmaßnahmen nicht ausreichen wer­den, sprich das Global Carbon Budget binnen weniger Jahrzehnte aufgebraucht sein wird. In diesem Fal­le würden die sog. negativen Emissionen greifen, d.h. der Atmosphäre müsste CO2 entnom­men werden. BECCS, Bioenergy with Carbon Capture & Storage, scheint hierbei eine der vielversprechendsten Methoden: Die Energieerzeugung würde massiv auf Biomasse umge­stellt. Da Pflanzen Photosynthese betreiben, würde somit der Atmosphäre CO2 entzogen. Gleichzeitig würde bei der Energieerzeugung aus Biomasse das freigesetzte CO2 gespeichert. Dies müsste selbstredend global in einem bisher ungekannten Maßstab geschehen.

Was lässt sich bis hierhin festhalten? Zunächst, dass die geschilderten Herausforderungen bei­leibe nicht die einzigen sind. Ferner, dass sie nur unter großen Anstrengungen und im Zusam­menspiel von Wirtschaft, Politik, Forschung und Gesellschaft zu meistern sind. Aber auch, dass es für die Herausforderungen schon heute technische und politische Lö­sungsansätze gibt. Ob die deutsche Energiewende und der globale Klimaschutz gelingen werden, wird sich zei­gen. Es liegt an uns allen, einen Beitrag hierzu zu leisten.

Michael Sabel (1988) hat Geschichte und Politikwissenschaft mit Schwerpunkt auf Energie­politik an den Universitäten Bonn und Kopenhagen studiert. Derzeit arbeitet er bei Deutsche Post DHL Group im Bereich Konzernkommunikation und Unternehmensverantwortung und promoviert über Energiepolitik im föderalen System.

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