GRENZENLOSER SPASS ODER BEGRENZTE FREUDE ?

Judith Uhrmeister erinnert in ihrem Karnevalswort daran, dass die Fähigkeit zu ausgelassener Freude Karneval und Kirche verbinden.

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Judith Uhrmeister

Grenzenloser Spaß oder begrenzte Freude?

Die Biene Maja an der Wursttheke; eine Herde Giraffen mitten in der Altstadt; der Räuber Hotzenplotz am Steuer einer Straßenbahn – das ist während der Karnevalssession im Rheinland völlig normal. Keiner wundert sich, wenn mitten im Alltag verkleidete Menschen ganz alltägliche Dinge tun. Im Gegenteil: Es fällt auf, wenn man es nicht tut. Karneval gehört dazu. Wenn man sich nicht in seiner eigenen Wohnung verbarrikadiert, dann kann man sich dem Karnevalstreiben nicht entziehen. Die Städte im Rheinland sind in Bewegung. Am 11.11. geht es los, und spätestens ab Altweiberdonnerstag gibt es kein Halten mehr. Bis Aschermittwoch besucht man Umzüge, Prunksitzungen und Karnevalsparties, und für alle, die arbeiten müssen, gibt es Karnevalssendungen in Funk und Fernsehen oder sogar hauseigen organisierte Geschäftsparties. Es darf mal so richtig ausgelassen gefeiert werden, egal wo: beim Bäcker, Friseur, in der Bahn, bei der Polizei, im Krankenhaus, einfach überall. Und alles sonst so Schwerwiegende wird gut kostümiert weggeschunkelt, abgeknutscht oder davon gewunken. Alaaf und Helau!

Ob man Karneval nun mag oder nicht, ich glaube, dass sich zwischen alten Herren mit beeindruckend langen Federn an den Hüten, betrunkenen Jugendlichen, Funkenmariechen, der mexikanischen Gastgruppe und bonbonsammelnden Kindern etwas Urchristliches beobachten lässt: die ausgelassene Freude – angesichts alternder, grauer Gemeinden und spaßbefreiten kirchlichen Morallehren erscheint dieser Gedanke zugegebenermaßen ungewohnt. Doch seit Jahrtausenden erzählen sich Gläubige von der Fröhlichkeit und dem Jubel, den Gott in ihnen auslöst, so zum Beispiel in Psalm 65 („Du machst fröhlich, was da lebt im Osten und Westen.“) oder in Jesaja 9 („Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.“). Gläubige empfinden das Handeln Gottes als Befreiung, die zum Jubel anstiftet.

Eine solche Befreiung ist zentral im Christentum: Christus ist in den Tod gegangen, aber er ist auch wieder zum Leben auferstanden. Und damit hat er eine Grenze durchbrochen, vor der Menschen verzagt und ohnmächtig stehen bleiben. Er schafft damit etwas, das die Grenzen aller menschlichen Möglichkeiten weit überschreitet. Denn die Geschichte von Jesus von Nazareth, dem Christus, endet nicht mit seinem grausamen Tod am Kreuz. Dort beginnt sie erst richtig. Sie beginnt in den frühen Morgenstunden seines dritten Todestages. Dann, wenn die Frauen, die seinen Leichnam salben wollen, das Grab leer finden. Dann, wenn einigen Menschen langsam klar wird, dass Jesus auferstanden ist; dass es Leben gibt nach dem Tod. Was genau in jenen Morgenstunden mit Jesus passiert ist, darüber streiten sich die Menschen seither, aber sicher ist: es hat eine freudige Massenbewegung ausgelöst. Alle, die dem Auferstandenen begegnet sind, werden angesteckt vom Fieber der frohen Botschaft: es geht weiter! Gott hat uns nicht verlassen. Der Tod ist nicht das Ende. Und so kommt erst im Angesicht des Todes christliche Freude auf. Wir Menschen können das nicht, den Tod besiegen. Wir stehen fassungslos vor den Gräbern unserer Lieben und am Ende liegen wie selbst in einem. Der Tod ist da und er ist immer noch endgültig. Das Böse ist da, und es ist immer noch gewaltig und tödlich. Und gerade deswegen zieht dieser eine Auferstandene die Aufmerksamkeit auf sich wie ein Sog, und wenn Menschen hinschauen, sagt er durch die Jahrhunderte: Im Tod ist Leben und im Leben ist Tod. Diese beiden Seiten kann man nur erleben, wenn man sich auf beides einlässt: auf Leben und Tod.

Erstaunlicherweise ist dieser vermeintliche Widerspruch auch im Karneval wiederzufinden und wird von den Narren zelebriert. Im Düsseldorfer Karneval gibt es die Figur des Hoppeditz. Er ist eine narrenartige Figur, die zu Beginn einer jeden Session feierlich auf dem Rathausplatz zum Leben erwacht und pünktlich zu Aschermittwoch unter Tränen der Narren wieder zu Grabe getragen wird. Den Narren ist bewusst, dass ihre Zeit begrenzt ist. Sie fiebern das ganze Jahr über auf die tollen Tage hin, weil dann alles möglich ist – endlich Cowboy oder Prinzessin sein, rote oder goldene Haare tragen, endlich die ganze Welt umarmen. Doch am Aschermittwoch ist wieder alles vorbei, dann holt der Alltag die Karnevalisten wieder ein. Der Karneval entfaltet sich vor dem Hintergrund des Alltags und lebt somit von ihm. In diesem Punkt sind sich Karneval und die christliche Religion sehr nah: beides sind Befreiungsbewegungen, die ihren Ausgangspunkt im tristen Alltag bzw. im tiefsten Leid haben.

Dass weder Religion noch Karneval Probleme endgültig lösen, zeigt schon die jährliche Wiederholung: Jedes Jahr feiern die Narren Karneval, jedes Jahr feiern Christen Ostern, doch jedes Jahr enden beide Feste. In dieser Hinsicht ist beides zwecklos und ohne nachweisbaren Nutzen, leistet aber doch etwas Unverzichtbares: Wir gehen aktiv mit unseren Grenzen um und umspielen sie; das bringt uns in Bewegung und eröffnet neue Horizonte.

Judith Uhrmeister (1982) ist Pfarrerin in Düsseldorf und irgendwie auch Hobbynärrin. Sie kam der Liebe wegen ins Rheinland und lernte dort in Köln und Düsseldorf die rheinischen Karnevalsfreuden kennen und schätzen. Nach dem Vikariat an der Citykirche in der Düsseldorfer Innenstadt ist sie momentan in Elternzeit und überlegt sich schon, als was ihre Kinder dieses Jahr zum Karnevalsumzug gehen.

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