WO STEHT DIE UKRAINE HEUTE ?

Gabriele Baumann beschreibt den tiefgreifenden Wandel, dem sich die Ukraine auf dem Weg in die ersehnte Europäische Union unterzieht.

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Gabriele Baumann

Wo steht die Ukraine heute?

3 Jahre nach dem Maidan

Die Ukraine kommt voran auf dem Weg der europäischen Assoziierung

Es ist bereits über drei Jahre her, als die Menschen in Kiew und anderen Städten der Ukraine zu Hunderttausenden auf die Straße gingen und die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU einforderten. Der Protest weitete sich in der Folge aus zu einer Bewegung gegen die autoritäre Herrschaft des damaligen Präsidenten und seine Nähe zu Russland. Er endete im Februar 2014 blutig, über 100 Menschen wurden damals von Scharfschützen erschossen. Die Ukrainer legen Wert darauf zu betonen, dass diese Menschen für den europäischen Weg des Landes gestorben sind.

Die Zustimmung der Menschen zu Europa hat seitdem nicht nachgelassen, auch wenn das sehnsüchtig erwartete grüne Licht aus Brüssel zur Visaliberalisierung noch immer auf sich warten lässt und die Verärgerung über den Aufschub groß ist. Denn die Werchowna Rada hat nach langen Debatten neben vielen anderen Punkten wie der Einführung einer elektronischen Datenbank zu Einkommen und Vermögen von Regierungsbeamten und Abgeordneten auch das innenpolitisch umstrittene Anti-Diskriminierungsgesetz verabschieden können. Kiew erlebte im Sommer sogar eine friedliche Gay-Pride mit 1000 Teilnehmern.

Eine Mehrheit der Ukrainer befürwortet bis heute die weitere Annäherung an die EU. Von der hat das Land in den vergangenen Jahren viel finanzielle und politische Unterstützung erhalten, über die Implementierung des Assoziierungsabkommens wird die Gesetzgebung schrittweise an die Rahmenbedingungen der EU angepasst. Ein mühsamer Prozess, der die Ukraine sicher noch die nächsten 10 Jahre beschäftigen wird, zumal die Widerstände von Lobbygruppen und noch intakten Seilschaften des alten Regimes nicht unerheblich sind. Aber seit 2014 steigen die Exporte in die EU insbesondere landwirtschaftlicher Produkte, der Handel mit Russland ist praktisch zusammengebrochen. Die Ukraine hat verstanden, dass sie sich anstrengen muss, um den neuen Herausforderungen zu begegnen. Russland lässt ihr heute keine andere Wahl.

Der Energiemarkt verändert sich nachhaltig

Das Bewusstsein für Energieeffizienz und den Einsatz alternativer Energiequellen ist so stark gestiegen, dass in diesen Wochen kaum ein Tag ohne eine Podiumsdiskussion zu dem Thema mit konkreten Handlungsempfehlungen für die Politik und die Praktiker in den Kommunen vergeht. Wärmedämmung von Gebäuden, Windenergie und Photovoltaik waren noch vor drei Jahren etwas für einige wenige Experten. Heute ist es politische Priorität, internationale Geber unterstützen diese Entwicklung maßgeblich.

Eine Folge davon ist, dass die Ukraine bereits seit einem Jahr kein Gas mehr auf direktem Weg aus Russland importiert, das Volumen an Gas, das über Revers aus Ungarn und der Slowakei zurückgeführt wird, beträgt gerade noch ein Viertel dessen, was Russland vor 3 Jahren lieferte. Und der Preis ist jetzt kein politischer mehr, sondern einer, der auf europäischen Marktpreisen beruht.

Mit dem 30. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl ist auch dieser Aspekt wieder in den Fokus geraten, im Dezember letzten Jahres konnte das „Confinement“, die Schutzhülle über dem 4. Reaktor des ehemaligen Kernkraftwerkes, installiert werden. Hier hat die EU über die EBRD kräftig finanziert. Auf Atomenergie will die Ukraine in den kommenden Jahren dennoch nicht verzichten. Zu wichtig ist es, unabhängig zu werden von russischen Kohlelieferungen zur Stromerzeugung, auch wenn das Uran wie die Kohle vielfach aus Russland kommt. Die wichtigsten Kohleminen der Ukraine aber liegen heute in den von pro-russischen Separatisten besetzten Gebieten im Osten des Landes.

Das Verhältnis zu Russland

Die Beziehungen zu Russland könnten kaum schlechter sein. Nach der Annexion der Krim und dem militärischen Eingreifen Russlands im Osten des Landes verteidigt sich die Ukraine gegen den mächtigen Nachbarn im Osten. Bereits 10.000 Opfer beklagt die Ukraine in diesem Krieg. Der Nachbar rüstet die Krim hoch zu einer Militärbasis im Schwarzen Meer und stationiert auf Dauer 55.000 Mann mit Militärgerät an seiner westlichen Grenze zur Ukraine.

Der Donbass ist für die leidende Bevölkerung ein rechtsfreier Raum, deren Anführer erhalten ihre Kommandos und Ressourcen aus Moskau. Die Minsker Verhandlungen sind sicher nicht ideal, aber sie sind noch immer die einzige Plattform, über die sich die Konfliktparteien verständigen können. Auch wenn der Kreml weiter meint, trotz eindeutiger Beweislage gegenüber der Öffentlichkeit behaupten zu müssen, man sei ja schließlich keine Konfliktpartei. Leider ist der Verhandlungsprozess in Minsk komplett ins Stocken geraten, auch die Hoffnungen des deutschen Außenministers als Vorsitzender der OSZE 2016, dass es noch bis Weihnachten zu einem Gefangenenaustausch zwischen beiden Seiten kommen könnte, haben sich nicht erfüllt. Für die Menschen, die teilweise seit langer Zeit unter menschenunwürdigen Bedingungen und Folter in den besetzten Gebieten festgehalten werden, wäre dies ein unschätzbares Geschenk gewesen.

Die militärischen und politischen Verhandlungen werden auch im kommenden Jahr weitergehen, die Ukraine möchte um jeden Preis einen eingefrorenen Konflikt vermeiden. Ähnlich gelagerte Beispiele wie Transnistrien, Südossetien und Abchasien sind ja nicht neu und haben die Konfliktlage in der Region nicht aufgelöst.

Innenpolitische Reformen werden langsam spürbar

Wenn wir von Transformationsländern sprechen, so bemühen wir häufig und sehr zu recht die Notwendigkeit eines mentalen Wandels in der Bevölkerung. Wie sich das in der Ukraine neben der technischen Umsetzung der Reformen nachweisen lässt, dafür steht beispielsweise der neue Umgang mit Energieressourcen. Erwähnen möchte ich hier auch noch den Abschied von einem zentral gelenkten Staat.

Im Zuge der Dezentralisierungsreform wandelt sich die Auffassung von einem Staat, in dem der Präsident des Landes als der Wohltäter eines jeden neuen Spielplatzes oder der pünktlichen Zahlung der Rente angesehen wurde, hin zu einem subsidiären Verständnis von Demokratie.

Eine neue Gesetzeslage mit erheblichen steuerlichen Neuerungen für die Kommunen sowie die Anfänge einer Gebietsreform haben dazu geführt, dass die Gemeinden jetzt nicht nur über mehr Ressourcen verfügen, sondern auch überlegen müssen, was sie mit den Geldern und neuen Zuständigkeiten sinnvoll anfangen. In vielen Teilen des Landes werden nun endlich Straßen und Schulen saniert.

Und wenn sich in der Kommune sichtbar etwas verändert, wollen auch die Bürger ihren Beitrag dazu leisten und mehr Eigenverantwortung übernehmen. Das Ehrenamt hat in diesen Zeiten Konjunktur. Dazu kommt noch, dass auf der kommunalen Ebene mittlerweile eine ganz neue Generation von Politikern angekommen ist, die Interesse am Austausch mit europäischen Institutionen haben und sich von dort Anregungen holen.

Und einen letzten Punkt möchte ich noch anführen: Die „Dekommunisierung“ wurde erst möglich durch den Maidan. Sie ermöglichte mit einer neuen Gesetzeslage die Öffnung der KGB-Archive, den Aufbau eines Instituts für nationales Gedächtnis sowie die konsequente Umbenennung von Ortschaften und Straßen. In der Ukraine gab es bis 1990 sogar mehr Lenin-Denkmäler als in Russland, obwohl das Land von der Fläche deutlich kleiner ist. Heute gibt es sie nur noch ganz vereinzelt. Und man wohnt nicht mehr auf der „Lenin“Straße und geht nicht mehr am Dserschinski-Denkmal vorbei zu seinem Arbeitsplatz auf der „Kommunistischen“ Straße. Auch das zeugt von einem, wenn auch nicht immer einfachen, aber tiefgreifenden Wandel in den Köpfen der Menschen, die diese Veränderung mittragen.

Gabriele Baumann (1963) ist Slawistin und seit 2012 Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew. Zuvor seit 1994 war in der Stiftung in verschiedenen Referenten- und Leitungsfunktionen tätig und leitete u.a. von 2000 – 2005 das Stiftungsbüro in St. Petersburg

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