WEIHNACHTSWORT 2015

Anja Sievers ist Pastorin im Arbeitsbereich „Kirche und Landwirtschaft“ und erinnert zum Weihnachtsfest an den Kontrast zwischen dem Duft von Plätzchen und Glühwein und dem Geruch des Misthaufens im Stall von Bethlehem.

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Anja Sievers

Weihnachtswort 2015

Plätzchen, Gans im Römertopf, Weihnachtsbaum, Kerzen, Glühwein und Orangen, Geborgenheit, das aufdringliche Parfüm von Tante Frieda und von angestrengter Harmonie – der Geruch von Weihnachten. Staubige, heiße Luft, Ernte, Planschbecken, ausgepustete Kerzen auf dem Kuchen, Aufregung, Vorfreude – so riechen meine (Kinder-)Geburtstage im August. Besondere Tage haben einen besonderen Geruch.

Misthaufen, ungeputzter Esel, nasses Fell – so hat ein Geburtstag vor 2000 Jahren gerochen. Nicht nach Kerzen oder gar sterilem Kreißsaal, nicht nach Baby und frischen Windeln.

Maria und Joseph sitzen nach einem beschwerlichen Weg zwischen diesem ungeputzten Esel und Kuhmist, schauen sich um und sollen hier die Geburt ihres ersten Kindes erleben. Zwischen den Geruch von Mist und Tier mischt sich der Gestank von Sorgen und Bedenken: „Wie sollen wir das schaffen? Wie kann das gehen?“ Ein paar Stunden später riecht es nicht mehr nur nach Mist, sondern vor allem nach Neugeborenem, nach Erleichterung, nach Dankbarkeit.

Bald schon stehen die ersten Besucher neben dem Kind. Nicht so wie bei uns an besonderen Tagen – festlich angezogen und in eine feine Note von Hugo Boss oder Chanel Nr. 5 gehüllt. Nein, die Leute, die Maria und Joseph besucht haben, riechen nach Einsamkeit – nach dem klammen Mantel der Einsamkeit. Nach Nacht, nach Erde und nach Schaf.

Die Hirten hockten Nacht für Nacht mit ihren Herden auf dem Feld. Und wer sich in der Dunkelheit rumtreibt, der ist verdächtig. Mit dem hat man als ehrbarer Bürger lieber nichts zu tun. Wer weiß, was die nachts alles so anstellen, wenn die Welt schläft und niemand guckt.

Das sind die ersten Besucher am Geburtstag des Gottessohnes: Ochs und Esel, vielleicht eine Katze, die sich um die Beine windet – Tiere, die ihre Hinterlassenschaften fallen lassen, wo sie gerade stehen. Und Hirten, die seit Tagen auf dem Feld lagerten, nach nasser Wolle und ungewaschenem Mensch riechend.

Das ist die Umgebung, in der Gottes Sohn zur Welt kommt.

Mühe, Sorge, Einsamkeit. So riecht es auch heute an vielen anderen Tagen im Jahr – den alltäglichen, den nicht besonderen Tagen, an denen weder Weihnachten noch Geburtstag ist. An den Tagen, an denen es nicht nach Gänsebraten, Harmonie und Geborgenheit riecht. Wie viele Tage gibt es doch, an denen es wie damals bei Maria und Joseph riecht? Wie viele Frauen bekommen derzeit unter ganz ähnlichen Bedingungen ihre Kinder? Auf Kriegsschiffen, in Auffanglagern, auf dem Weg in ein vermeintlich besseres Leben…

Hätte Gottes Sohn nicht in einem schönen Palast, auf feinstem Damast zur Welt kommen sollen – so wie Königskinder, an einem besonderen Tag, an dem es duftet und der vertraute Geruch von Geborgenheit in die Nase zieht?

Doch er kommt anders zur Welt – unerwartet und unerhört anders. Gott kommt in den Alltag. Gott ist zu den ganz gewöhnlichen Menschen gekommen; in die Tage, die nach Sorgen, Hektik und Einsamkeit riechen. Er selbst hat diesen Geruch angenommen, hat (An-)Teil-genommen an Sorgen, Angst und Einsamkeit.

Gott selbst, der teilnimmt an unserem Menschendasein und der Anteil nimmt an unserem je individuellen Leben.

Darum steckt auch und gerade in den alltäglichen Gerüchen, in den Gerüchen von Mühe und Sorge ein göttliches Versprechen. Schon im Stall von Bethlehem riecht es für die Gläubigen nach Ewigkeit, Erlösung und nach der Hoffnung auf Geborgenheit.

Und dieses Versprechen, das Versprechen des menschgewordenen Gottes, des Gottes der Teilnahme und der Anteilnahme bleibt in allem weltlichen Dunst bestehen. Weit über Plätzchen-, Festschmaus- und Tannengeruch hinaus gilt uns seine Zusage: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Anja Sievers (1984) hat Ev. Theologie, sowie Agrar- und Pferdewissenschaften studiert. Sie ist seit 2014 Pastorin in einer ländlichen Gemeinde im Kirchenkreis Verden und im Arbeitsbereich „Kirche und Landwirtschaft“ im Sprengel Stade. Anja Sievers ist verheiratet und Mutter einer Tochter. www.landwirtschaftundkirche.de

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