Monsignore Wilfried Schumacher beschreibt als Bonner Stadtdechant zu Beginn der Karnevalswoche wie Karneval und christlicher Glaube zusammengehören.
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Wilfried Schumacher
Karneval und Religion aus rheinischer Sicht
„Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von der Kelter Europas. Und jetzt stellen sie sich mal ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie eine Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mann, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haus Tradition begründet. – Und dann kam ein griechischer Arzt dazu; oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant -das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven , und der Gutenberg und der Matthias Grünewald, und – ach was, schau im Lexikon nach. Es waren die Besten mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum, weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein – das heißt vom Abendland. Das ist natürlicher Adel.“ So schrieb es Carl Zuckmayer in des „Teufels General“. Eine treffende Beschreibung des Rheinländers: in seiner Lebensart vermischt sich das italienische „Dolce vita“ ebenso wie das „savoir vivre“ des Franzosen, der Holzschuhtanz wird in ihren Herzen zu den Klängen des Wiener Walzers getanzt.
„Natürlicher Adel – vom Abendland“, sagt Zuckmayer, und damit meint er unsere christliche Tradition. 529 gründete Benedikt das Kloster Monte Cassino in Italien. „Ora et labora – bete und arbeite!“ Das war sein Erfolgsrezept. Damit haben die Mönche Europa kultiviert.
Zu dieser Kultur gehört auch der Karneval. Er ist nicht bütze, tanzen, jeck sein, sich verkleiden, weil es schön ist und man Spaß dran hat, sondern weil es Fastelovend ist, d.h. der Abend vor der Fastenzeit.
Diese ist nicht eingeführt worden, weil wir uns zu viel Winterspeck angefuttert haben und Diät halten müssen. Sondern weil sie uns vorbereitet auf ein großes Fest, auf Ostern. Das höchste Fest der Christen! An diesem Tag feiern wir, dass Gott seinen Sohn nicht im Tod gelassen hat, und dass der Tod nicht das letzte Wort im Leben hat. Welch ein Fest, denn vor dem Tod haben wir alle Angst. Ostern sagt: du brauchst keine Angst zu haben vor dem Tod, denn das Leben geht danach für Dich weiter, ewig, im Himmel, bei Gott.
Damit wir ein solches Fest, eine solche Botschaft richtig feiern können, heißt es vorher „fasten, verzichten“. Nur wenn ich merke, dass mir etwas fehlt, kann ich mich anschließend wieder daran freuen. Oder anders gesagt: wer jeden Tag Champagner trinkt, weiß nicht mehr, dass es etwas Besonderes ist!
Deshalb fasten wir und deshalb wird vorher noch einmal kräftig „op die Tromm gekloppt“. Wer nicht fastet, kann kaum richtig Karneval feiern. Schon Theresa von Avila sagt: „Wenn fasten, dann fasten, wenn Rebhuhn dann Rebhuhn“.
Übrigens auch der 11.11. ist ein Fastnachtsabend. Der letzte Tag vor der Fastenzeit, die es im Mittelalter vor Weihnachten gab und die bis Heiligabend dauerte.
Ursprünglich waren die jecken Tage auf die letzte Woche vor Aschermittwoch beschränkt. In vielen Sprachen wird Weiberfastnacht der „fette Donnerstag“ genannt. Es war der letzte Schlachttag vor der österlichen Fastenzeit, denn im Mittelalter galt der Donnerstag als allgemeiner Schlacht- und Backtag.
Inzwischen haben die „Berufsnarren“ das Treiben auf die gesamte Zeit zwischen 11.11. und Aschermittwoch ausgedehnt. Advent und Weihnachten werden allenfalls noch als unvermeidliche Störung der Session angesehen.
Kaum ist die Bescherung an Weihnachten vorbei, laden die Jecken ihre Porträts in Kostüm bei den sozialen Netzwerken hoch. „Alles hat seine Zeit“ ist meine stereotype Reaktion darauf. Dieses dauernde Herumfummeln am Kalender macht mir Sorge. Es bekommt uns Menschen nicht. Der Jahreslauf mit seinem Rhythmus hat schon seinen Sinn. Das Werden und Vergehen zu erleben ist etwas Existentielles für den Menschen, der allerdings „dank“ Tiefkühlware nicht mehr warten muss bis die Ernte reif ist. Er kann alles haben und er will auch alles haben.
Karneval und christlicher Glaube gehören zusammen – und unter den Christen sind die Katholiken eher dabei als die anderen Konfessionen. Vielleicht auch deshalb weil der katholische Glaube der „normale“ Glaube im Rheinland ist, wie der Kabarettist Konrad Beikircher zu sagen pflegt. Je mehr aber der Glaube verdunstet je mehr geht auch das Bewusstsein für die Zusammenhänge verloren.
Mit seiner Religion verbindet den Rheinländer, auch wenn er kein aktiver Katholiken(mehr) ist, eine fast verliebte Vertrautheit, die vielleicht dann und wann mal zu weit geht, aber niemals böse gemeint ist. Sein Humor relativiert alles; immer aber im Wissen um ein Letztes, Gültiges, Absolutes.
Und weil zum „normalen Glauben“ auch die Prozessionen gehören, liebt der Rheinländer die Prozessionen – die frommen an Fronleichnam und die lustigen an Rosenmontag. Es tut ihm gut, wenn der Weihrauch duftet, weiß gekleidete Mädchen fromme Lieder singen, Fahnen flattern, die Ornate der Geistlichen oder Uniformen der Karnevalisten Farbe ins Bild bringen, Bläser und Sänger sich zusammenfinden.
Alles, wat Oodem hät, soll dat metmaache, heißt es in einem Psalm. Ins Kölsche übersetzt:. Gott loben, heißt „mitmachen“ wie beim Fastelovend. Den Karnevalszug kann man nicht ansehen, man muß metmaache, ein Teil von ihm werden. Wir sollten wissen um die Zusammenhänge, wenn wir uns anschicken, Fastelovend zu feiern.
Monsignore Wilfried Schumacher (1949) hat kath. Theologie in Bonn, München und Köln studiert, wurde 1974 zum Priester geweiht und ist Stadtdechant in Bonn.