FRIEDHÖFE UNGETAUFT VERSTORBENER KINDER

René Böll befasst sich mit den „Cillinís“ in Irland, wo Kinder, die gestorben waren, bevor sie getauft wurden, außerhalb der Friedhöfe auf ungeweihtem Grund beerdigt wurden.

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René Böll

Cilliní auf Achill Island (Irland):
Friedhöfe ungetauft verstorbener Kinder

Die Geschichte Achill Islands ebenso wie die Topographie der Insel hält ein sozialgeschichtlich wie kulturhistorisch gleichermaßen bedeutsames Zeugnis bereit: die Friedhöfe der ungetauft verstorbenen Kinder, die sogenannten >Cillinís<. Die traditionelle Lehre der Kirche besagt(e), daß Kinder, die gestorben waren, bevor sie getauft wurden nicht auf einem gesegneten Friedhof beerdigt wurden durften, so wurden sie namenlos außerhalb der Friedhöfe auf ungeweihtem Grund beerdigt. Die Eltern glaubten, dass sie sie nie wiedersehen würden. das sie im Limbus Puerorum, dem Limbus der Kinder, seien, bestraft nach dem Tod, getrennt in alle Ewigkeit. Der Schmerz und die Trauer der Familien war und ist unendlich.

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Diese Cillinís finden sich an mehreren, zumeist bereits in der Vergangenheit als Gedenkorte dienenden Plätzen der Insel –sichtbar in ihrer steinernen Spur, und doch für den, der nicht weiß, worauf diese wie lose gestreut sich darbietenden Zeichen aus Stein verweisen, dem Erkennen entzogen. Im Sichtbaren gegebene Spuren auf etwas Abwesendes, das in ihnen dennoch präsent, anwesend ist; ein Zugleich von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, in dem Geschichte und Landschaft der Insel miteinander verwoben sind. Diese Cillinís liegen oft auf einer Grenze, quasi in einem Niemandsland in einem Nicht-Land. Oft an abgelegenen Plätzen, manchmal auch mitten auf einem privaten Feld, nicht weit von einer Siedlung. Begraben wurden dort auch unbekannte Seeleute, die angeschwemmt wurden und deren Konfession man ja nicht kannte und – in Ausnahmefällen – auch getaufte Kinder, deren Eltern ein normales Begräbnis nicht bezahlen konnten.

Erkennbar und doch nicht erkannt waren die Kinderfriedhöfe zunächst auch für mich, als ich 1955 zum ersten Mal nach Achill kam und dort – wie in vielen Jahren darauf – den Sommer verbrachte. Nachdem ich jedoch um die Existenz dieser Friedhöfe wußte – und dies geschah bald, wobei mir als Kind in den 1950er Jahren zunächst der kleine Friedhof auf den Klippen in Dookinella bekannt wurde -, übten sie eine nahezu magische Anziehung aus, eine Faszination, die bis heute noch nicht, Jahrzehnte später also, in ihrer Ausstrahlungskraft gemindert ist. Wenn ich auf einem Cillin bin, denke ich oft an meinen ältesten Bruder Christoph, der 1945 geboren wurde und starb, obwohl er auf einem christlichen Friedhof begraben wurde, einen Namen bekam und dessen Grab noch existiert. Ich weiß, dass sein Schicksal nicht mit dem der totgeboren Kinder Achills zu vergleichen ist und doch denke ich dort an ihn.

Für mich als Nicht-Christen, ist es sehr wichtig zu verstehen, was genau „Limbus Puerorum “ bedeutet, denn so wird der Nicht-Ort zwischen Himmel und Hölle bezeichnet, an dem sich die ungetauft gestorbenen Kinder aufhalten sollen – auch wenn das Konzept inzwischen zur Diskussion gestellt wird, so ist es doch meines Wissens nach noch gültig. Die Kinder sollten dort – auf ewig getrennt von ihren Eltern – bleiben, zwar nicht den Qualen der Hölle oder des Fegefeuers ausgesetzt, aber doch bestraft durch den Ausschluß von der Gottesschau und die ewige Trennung von ihren Familien. Ich las das umfangreiche, sehr detaillierte und ungeheuer informative Buch von Kaplan Dr. Johannes Maria Schwarz, Priester des Erzbistums Vaduz : Zwischen Limbus und Gottesschau – Das Schicksal ungetauft sterbender Kinder in der theologischen Diskussion des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein theologiegeschichtliches Panorama. dargestellt wird die Diskussion von den biblischen Grundlagen, über Altertum, Mittelalter und Neuzeit bis ins zwanzigste Jahrhundert, mit Texten u.a. aus dem 4. Jahrhundert, speziell von Augustinus, über Thomas Aquinas bis in die Jetztzeit. Die Diskussion hält an…

Den Cillinís von Achill Island als der Topographie und Geschichte der Insel untilgbar eingeprägte Signaturen möchte ich mich nun noch bereits vielen Jahren der Beschäftigung im Rahmen eines Projekts konkret und direkt zuwenden – in einem Projekt, das sich diesen als kulturgeschichtlichem Zeugnis in zwei wesentlichen Aspekten widmet: künstlerisch und dokumentarisch.

Mit Unterstützung der Einwohner Achill Islands sollen die mir inzwischen über 20 bekannten Kinderfriedhöfe zunächst dokumentiert und damit historisch gesichert werden. In einem weiteren Schritt möchte ich eine künstlerische Auseinandersetzung aufnehmen, deren Akzent insbesondere auf der Vermittlung und Deutung der Doppelsignatur der Cillinís als Ort und Spur des kulturellen Gedächtnisses liegen soll.

Es ist darüber hinaus geplant, beide Aspekte in einer Publikation zusammen zu führen. Im Rahmen dieser Publikation soll die Kombination von Dokumentation und bildender Kunst darüber hinaus ergänzt werden durch Texte in der Tradition des Haiku, die die visuelle Annäherung in der Dimension der Sprache übersetzen und weiterführen. Ich weiß, dass die Geschichte der Cillini sehr sensibel ist, wenn ich darüber arbeite, so versuche ich dies mit dem nötigen Respekt und der nötigen Rücksichtnahme zu tun. Und ich bin dankbar für alle Hinweise, die mir helfen, dies zu tun.

Ich werde in situ skizzieren, mit dem Silberstift zeichnen, fotografieren und in meinem Atelier Arbeiten in Aquarell, Öl und mit chinesischer Tusche anfertigen. Eine Ausstellung ist für Ende 2014/Anfang 2015 in Bonn geplant.

René Böll (1948) ist freier Maler in Köln und hat Malerei und Druckgraphik (speziell: Lithographie) in Köln und Wien studiert. Von 1975 bis 1988 war er Mitgründer und Verlagsleiter des Lamuv Verlages. Er arbeitete auch als Fotograph und als Übersetzer ( aus dem Spanischen), u.a. als Redakteur Gesamtausgabe der Briefe von Vincent van Gogh. Seit 1972 tritt er mit Ausstellungen seiner Werke hervor.

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