Peter Altmaier MdB fragt, was politisches Handeln aus christlicher Verantwortung für die Energiewende heisst.
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Peter Altmaier
Was heißt politisches Handeln aus christlicher Verantwortung für die Gestaltung der Energiewende?
Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen: Vor kurzem war ich mal wieder stundenlang im Auto unterwegs, von einem Termin zum nächsten, ein typischer Ministertag. Und es goss auch noch in Strömen. Um die Laune zu heben, bat ich meinen Fahrer, die nächste Autobahnraststätte anzusteuern. Und obwohl ich noch nicht so lange Bundesumweltminister bin, hat mich dort gleich eine nette ältere Mitarbeiterin erkannt und prompt gefragt: „Herr Minister, wie schaffen Sie das mit der Energiewende heute, wo keine Sonne scheint und kein Wind weht?“
Ich war verblüfft. Erstens, weil die Frage sehr berechtigt war. Vor allem aber darüber, dass sie überhaupt gestellt wurde. Noch vor kurzem hat sich ja kaum jemand für den Strom aus der Steckdose interessiert – woher er kam, wie er erzeugt wurde oder wer damit wie viel verdiente. Aber heute sind die Medien jeden Tag voll davon. Die Energiewende ist in aller Munde. Alle wissen, worum es geht: Um den Ausbau erneuerbarer Energien wie Windkraft, Solarenergie oder Biomasse, um neue Stromnetze und Elektroautos, um mehr Energieeffizienz überall dort, wo wir Energie verbrauchen, zu Hause, am Arbeitsplatz, auf Reisen.
Ich freue mich, dass die meisten Menschen in unserem Land die Energiewende unterstützen und als das erkennen, was sie ist: Eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, ein großes Generationenprojekt und das größte Infrastrukturprojekt seit dem Wiederaufbau unseres Landes nach dem Krieg. Aber was hat dieser Aufbruch in ein neues Energiezeitalter mit christlicher Verantwortung zu tun? Ich meine: Sehr viel! Mit der Energiewende gehen drei elementare Herausforderungen einher, die wir nur durch eine Politik in christlicher Verantwortung lösen können.
Erstens: Wir müssen wirtschaftliches Wachstum vom Verbrauch natürlicher Ressourcen entkoppeln. Sonst werden wir in einer Welt von bald 8 Milliarden Menschen unsere elementaren Lebensgrundlagen irreversibel beschädigen und unseren Nachkommen buchstäblich eine Wüste hinterlassen. Es führt kein Weg vorbei an einem Paradigmenwechsel, der das Wirtschaften des 21. Jahrhunderts grundlegend von dem des vergangenen Jahrhunderts unterscheidet. Die Wirtschaft der Zukunft muss und wird – im Zusammenspiel mit der digitalen Revolution – weitaus intelligenter und effizienter mit Rohstoffen und Ressourcen umgehen, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Die Energiewende ist Kern und zugleich Motor dieser Transformation.
Damit verbunden ist die zweite große Herausforderung politischen Handelns aus christlicher Verantwortung, denn nur mit einer Wirtschaftsweise, bei der Umweltschutz und Wachstum zwei Seiten einer Medaille sind, werden wir eine stabile und zugleich gerechte und humanitäre Weltordnung schaffen können. Unser christliches Menschenbild bedeutet, dass für uns jeder Mensch die gleiche Würde hat und dass diese Würde unbedingt zu schützen ist. Daher darf uns auch das Schicksal von Menschen an anderen Orten dieses Planeten nicht egal sein. Es ist eine Frage humanitärer Solidarität und christlicher Verantwortung, dass wir uns gerade als Industrieland für den weltweiten Klima- und Umweltschutz einsetzen, wie wir das jetzt auch wieder bei der UN-Konferenz in Doha tun. Dass eine stabile und gerechte Ordnung nicht nur eine Frage technologischen Fortschritts, sondern vor allem grundlegender ethischer Prinzipien ist, daran erinnert uns Martin Luther King eindringlich mit seiner Mahnung: „Wir haben gelernt, wie die Vögel zu fliegen, wie die Fische zu schwimmen; doch wir haben die einfache Kunst verlernt, wie Brüder zu leben.“ Das gilt nicht nur international, sondern auch für unsere Gesellschaft.
Die dritte große Aufgabe politischen Handelns aus christlicher Verantwortung liegt daher darin, durch die Verbindung von Ökonomie und Ökologie spürbar bessere Lebenschancen und damit auch mehr Lebensqualität für alle Menschen in unserem Land zu schaffen: Mit sauberer Energie, weniger Lärm, besserer Luft, gesünderer Ernährung, mit mehr Natur und Wasserflächen in unseren Städten, kurzum: in einer intakten Umwelt. Die Entwicklung geht längst in diese Richtung. Gerade in einer Gesellschaft im demografischen Wandel besinnen sich die Menschen immer mehr auf einen Wandel des Lebensstils: Weg vom Prinzip des „Immer mehr“, „Immer schneller“, „Immer weiter“, „Immer individueller“ hin zu einem Leitbild der Balance und des Ausgleichs: Zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Produktion und Konsum, zwischen individueller Selbstverwirklichung und gemeinwohlorientiertem Engagement.
Es ist kein Zufall, dass darum auch der Wert der Familie wieder stärker entdeckt wird, ebenso das Miteinander der Generationen und der Wunsch nach einer weniger egoistischen und rein profitorientierten Lebensweise. Nicht zuletzt die Erfahrung der schärfsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat uns immer stärker die Augen dafür geöffnet, dass eine nicht-nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweise nicht den Prinzipien christlicher Verantwortung entspricht.
Im Aufbruch in ein neues Energiezeitalter bündelt sich also viel mehr als ein rein technologisches Großprojekt. Es geht um genuin christliche Prinzipien, um Verantwortung vor der Schöpfung Gottes und Verantwortung gegenüber den nach uns folgenden Generationen. Politisch heißt das konkret, im Fall technischer Katastrophen wie in Fukushima nicht zur Tagesordnung überzugehen, sondern grundlegende Risiken neu zu bewerten und daraus die Konsequenz zu ziehen. Darum bleibt es richtig, definitiv aus der Kernenergie auszusteigen, und darum müssen wir auch dringend das Problem der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gesetzlich angehen. Energiepolitisch bedeutet das weiterhin, dass wir Versorgungssicherheit zu bezahlbaren Preisen für alle und Wettbewerbsfähigkeit für unsere Industrie sicherstellen. Darum müssen wir zum Beispiel das EEG so reformieren, dass Erneuerbare Energien sobald als möglich markt- und wettbewerbsfähig werden. Und das wird nur gelingen, wenn wir in Zukunftsfähigkeit investieren, indem wir Innovationen fördern und damit auch die Grundlagen für die Arbeitsplätze von morgen schaffen.
Die Verbindung von wirtschaftlicher Vernunft, ökologischer Verantwortung und sozialer Gerechtigkeit ist der Kompass für politisches Handeln aus christlicher Verantwortung. Diese Verbindung ist nicht umsonst immer das Markenzeichen der Politik der Union gewesen. Das muss auch in Zukunft so sein. Hier liegt die große politische Chance genuin christdemokratischer Politik im 21. Jahrhundert.
Peter Altmaier (1958) ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Er hat Rechtswissenschaft an der Universität des Saarlandes studiert, wo er auch bis 1990 wiss. Mitarbeiter war. 1990-1994 war Beamter der EU-Kommission. Von 2005-2009 war Peter Altmaier parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern und dann Erster Parl. Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit Mai 2012 ist er Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.