Marc Frings
In Stuttgart findet vom 25. bis 29. Mai der 102. Katholikentag statt. Auf ehren- und hauptamtlicher Ebene wird seit über zweieinhalb Jahren auf dieses konfessionelle Großereignis hingearbeitet. Traditionell ist der Katholikentag ein großes Fest des Glaubens, der Diskussion und der Kultur. Die Vokabel „Fest“ mag einem aus berechtigen Gründen nur schwer über die Lippen gehen. Das Leitwort der diesjährigen Ausgabe – „leben teilen“ – weist uns aber in die richtige Richtung: nach zwei Jahren Pandemie, Lockdown und Isolation wollen wir vorsichtig einen Schritt in die Normalität wagen: Begegnungen ermöglichen, Debatten führen, Kultur erleben.
Zudem wollen wir Impulse des 3. Ökumenischen Kirchentags aufgreifen, der im vergangenen Jahr ausschließlich „digital und dezentral“ stattfinden konnte. Deshalb freue ich mich besonders darüber, dass viele Initiativen anderer Konfessionen und des interreligiösen Dialogs Platz auf dem Katholikentag finden werden. Und ebenfalls teilen wollen wir unsere Ängste und Sorgen, aber auch unsere Antworten auf die großen Herausforderungen.
Ein Katholikentag ist immer auch der Spiegel seiner Zeit. Und unsere Zeit braucht unbedingt den öffentlichen Austausch, um über die vielen Krisen, die wir – individuell, als katholische Kirche und als Weltgemeinschaft – erleben, zu diskutieren: Corona schärft gesellschaftliche Verwerfungen und Konflikte, der russische Angriff auf die Ukraine stellt die Friedensordnung Europas in Frage und der unfassbare Missbrauchsskandal der katholischen Kirche bedarf weiterhin klarer Antworten und Positionierungen. Es ist auch ein Moment der Reflexion. So nehmen wir auch Themen in den Fokus, die durch Corona mehr Öffentlichkeit erfahren haben: Einsamkeit als gesellschaftliches Phänomen gehört gewiss genauso dazu wie häusliche Gewalt – zwei Beispiele für Themen, die in den 1.500 Veranstaltungen aufgegriffen werden.
Ein Katholikentag ist keine geschlossene Blase. Im Gegenteil suchen und ermöglichen wir den Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft, zwischen Jung und Alt, zwischen der katholischen Basis und jenen, die die Kirche vertreten. Deshalb ist es gut, dass viele Politikerinnen und Politiker aus Brüssel, Berlin und den Bundesländern zugesagt haben. Während sich Populismus und Querdenkertum an den Grundpfeilern der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung zu schaffen machen, beweisen wir, dass man auch unter Berücksichtigung demokratischer Spielregeln Debatten austragen kann.
Als Veranstalter ist das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in einer besonderen Verantwortung: Wir kommen mit unseren eigenen Überzeugungen nach Stuttgart. Kirchenpolitisch werden wir deutlich markieren, wie wichtig uns die Veränderungen sind, die derzeit auf dem Synodalen Weg beraten werden. Sämtliche Themen des Reformprozesses, der die systemischen Ursachen des Missbrauchs in der katholischen Kirche aufgreift, werden auf Podien und in Werkstätten diskutiert. Macht, Priesterverständnis, Sexualmoral und die Rolle der Frau sind die Themen, zu denen die Delegierten auf dem Synodalen Weg noch bis März 2023 beraten und entscheiden werden. Stuttgart bietet uns folglich eine gute Zwischenetappe, um der Synodalversammlung ein Signal der Ermutigung und konstruktiven Kritik zuzurufen. Wir stellen uns auf der Kirchenmeile den Fragen und Meinungen der Teilnehmenden. Aber es geht auch um die Rolle Deutschlands in der Welt: von Stuttgart aus wird eine Botschaft des Friedens und der Hoffnung in die Ukraine gesandt. Auf die Lage im Osten unseres Kontinents haben wir kurzfristig reagiert und weitere Veranstaltungen ins Programm aufgenommen.
Und schließlich erzeugen wir eine Sichtbarkeit für die katholische Zivilgesellschaft, die weiterhin – allen Krisen zum Trotz – für die Tat steht und dazu beiträgt, dass mit „Katholisch sein“ weiterhin auch ein positiver Impuls verbunden wird. Für mich gehört zu unserem diesjährigen Leitwort ein Ausrufezeichen: „leben teilen!“ ist ein Aufbruchssignal. Wir teilen Freude und Haltung, unterstreichen aber auch, dass nur durch die Zusammenarbeit die Welt ein besserer Ort wird: die Pandemie wird ohne Impfgerechtigkeit nicht besiegt, Armut ohne den Anspruch fairer und gerechter Lieferketten in einer globalisierten Welt nicht überwunden, die Demokratie ohne Zugang zu geteilten Informationen und Freiheiten nicht gestärkt.
Tickets für den Katholikentag gibt es als Dauer- und Tageskarten. Auf der Website des Katholikentags finden Sie Details zur Teilnahme in Stuttgart!
Marc Frings (1981) ist seit Januar 2020 Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken mit Sitz in Berlin. Er hat in Marburg und Lille Politikwissenschaft, Jura sowie Friedens- und Konfliktforschung studiert. Von 2010 bis 2019 hat Frings für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Jakarta, Berlin und Ramallah gearbeitet.