Lars Schäfers erläutert, warum Subsidiarität und Solidarität Fundament für eine gerechte Alterssicherung sein sollten.
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Lars Schäfers
Zur Ethik der Alterssicherung
Seit einiger Zeit wird wieder verstärkt über die Zukunft der Alterssicherung debattiert. Dass es dabei um besondere Herausforderungen geht, spiegeln insbesondere Prognosen zur zukünftigen Ausbreitung von Altersarmut.1 Im Folgenden sollen grundsätzliche Überlegungen zu einer Ethik der Alterssicherung auf Grundlage von Subsidiarität und Solidarität als den klassischen Sozialprinzipien der Katholischen Soziallehre und „Baugesetzlichkeiten entwicklungsoffener Gesellschaft“2 mit einschlägigen Gerechtigkeitsdimensionen verknüpft werden.
Subsidiarität in der Alterssicherung
Das Subsidiaritätsprinzip fokussiert zunächst auf den Einzelnen „in seiner Eigenverantwortung“3. Erst dann folgt die Hilfeleistung (subsidium) seitens der nächsthöheren Ebene bis hin zum Staat. So ist es etwa folgerichtig, dass der einzelne Arbeitnehmer durch seine Pflichtbeiträge zur selbstverwalteten gesetzlichen Rentenversicherung sowie durch zusätzliche private Vorsorge zunächst selbst zu seiner Alterssicherung beiträgt.
Subsidiarität hängt dabei eng mit der Leistungsgerechtigkeit zusammen, die mit Ungleichheit korrespondiert. In der Rentenversicherung gilt daher: Wer mehr einzahlt, erhält auch mehr Rente. Der Leistungsgerechtigkeit widerspricht jedoch das Abgleiten von immer mehr Menschen in den bedarfsgeprüften Grundsicherungsbezug trotz jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit und Einzahlung in die Rentenkasse.
Die Pflichtversicherung würde zunehmend ihre gesellschaftliche Akzeptanz und ihre sozialethische Grundlegung verlieren, wenn Versicherte, die ihr ganzes Erwerbsleben lang mit niedrigem Einkommen vorsorgen mussten, nicht besser dastehen, als diejenigen, die wenig oder gar nicht gearbeitet und vorgesorgt haben.4 Dass sich Leistung im Sinne des Äquivalenzprinzips lohnen muss, ist daher „ein wichtiges Kriterium für das Alterssicherungssystem insgesamt“5. Erst wenn eigene Anstrengungen nicht mehr ausreichen oder nicht mehr möglich sind – wie im Falle der Erwerbsminderung – sollte die Komponente des sozialen Ausgleichs greifen.
Solidarität in der Alterssicherung
Damit ist zugleich das solidarische Element im Rentensystem markiert. „Solidarität als sozialethisches Prinzip meint mehr als den bloßen Zusammenhalt aufgrund von gemeinsamen Interessen im Sinne einer ,Gruppensolidarität‘, sondern bezieht sich auf die wechselseitige Anerkennung, Anteilnahme und Unterstützung, die die Mitglieder einer menschlichen Gemeinschaft einander schulden.“6 Solidarität in der Rentenversicherung zeigt sich beispielsweise darin, dass Rentenansprüche ohne eigene Beitragszahlungen, wie im Falle der Zurechnungszeit bei der Erwerbsminderungsrente oder bei der Anrechnung von Erziehungszeiten im Rahmen der Mütterrente, erworben werden können.
Mit der sehr zentralen Generationengerechtigkeit eng verbunden ist das Solidaritätsprinzip indes wegen der Finanzierung der Renten der älteren durch die erwerbstätige Generation. Zur Generationengerechtigkeit gehört es daher, dass die Generation der Älteren ein hinreichendes Rentenniveau vorfindet, genauso wie die derzeit erwerbstätige mittlere Generation nicht übermäßig mit Beiträgen zur Finanzierung der aktuellen Renten belastet werden sollte. Es ist nicht zuletzt diese mittlere Generation, die zugleich auch die Erziehung und Ausbildung der nachwachsenden Generation stemmt, was bisher wenig Berücksichtigung findet.
Ein weiteres solidarisches Element wäre eine bisher nicht bestehende Mindestsicherung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung. Hier schließen auch zwei weitere Gerechtigkeitsdimensionen an: Verteilungsgerechtigkeit, die eng mit der Dimension der Bedarfsgerechtigkeit verbunden ist. Aus der Perspektive dieser beiden Gerechtigkeitsdimensionen werden auch Fragen nach der Qualität und Ausgestaltung der fürsorgebasierten Grundsicherung beleuchtet.
Die zentralen Bausteine für die nachhaltige Sicherung der Rente sowie zur Bekämpfung der Altersarmut sind: „Beitragssatz, Beitragsbasis, Altersgrenze, Bundeszuschuss, Rentenniveau, Aufwertung niedriger Renten und die private Vorsorge.“7 Wie auch immer die Politik in den nächsten Jahren an diesen Stellschrauben drehen wird – es gilt letztlich eine immer wieder neu auszutarierende Balance zwischen Subsidiarität und Solidarität herzustellen.
Lars Schäfers (1988), Mag. theol., ist Wissenschaftlicher Referent der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach und Wissenschaftliche Hilfskraft am Seminar für Christliche Gesellschaftslehre der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät.
1 Siehe exemplarisch etwa Bertelsmann Stiftung (Hg.): Entwicklung der Altersarmut bis 2036. Trends, Risikogruppen und Politikszenarien, 2017, PDF-Download: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Entwicklung_der_Altersarmut_bis_2036.pdf (zuletzt abgerufen am 17.09.2018).
2 Baumgartner, Alois/Korff, Wilhelm: Sozialprinzipien als ethische Baugesetzlichkeiten moderner Gesellschaft: Personalität, Solidarität und Subsidiarität, in: Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 1, Gütersloh 1999, 225-237, hier 226.
3 Eisel, Stephan: Das Subsidiaritätsprinzip, in: Thomas Sternberg u.a. (Hgg.): kreuz-und-quer.de Diskussionsforum zum politischen Handeln aus christlicher Verantwortung, PDF-Download: https://blogkreuzundquer.files.wordpress.com/2018/08/eisel-subsidiaritaet1.pdf (zuletzt abgerufen am 18.09.2018).
4 Vgl. Rat der EKD/Deutsche Bischofskonferenz: Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft. Initiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung, Bonn 2014, 40.
5 Generationengerechtigkeit, Solidarität und Eigenvorsorge – Sozialethische Anforderungen an eine Alterssicherung in der Lebens- und Arbeitswelt von morgen: Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom 18. November 2016, 11.
6 Küppers, Arnd: Die Ordnungsethik der katholischen Soziallehre (Kirche und Gesellschaft Nr. 436), Köln 2017, 13.
7 Geyer, Johannes: Stabile Rentenverunsicherung, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.): DIW Wochenbericht 18 (2018), PDF-Download: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.583564.de/18-18-3.pdf (zuletzt aufgerufen am 17.09.2018), 402.