Volker Kregel beschreibt die Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung und fordert mehr Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung.
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Volker Kregel
Schöne neue Arbeitswelt
Die Digitalisierung der Arbeitswelt gerät intensiver in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Das Bundesarbeitsministerium hat hierzu unter der Überschrift „ Arbeiten 4.0“ einen Prozess gestartet. Die Arbeits- und Sozialminister der Länder sprechen von einem „Zukunftsthema“, das die gesellschaftliche Debatte erreicht hat und zunehmend bestimmt. Der Sci-Fi Autor William Gibson sagt: „Die Zukunft ist schon da. Sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt“.
Digitalisierung steht für die Dominanz von Daten und Informationen im Rahmen der Computertechnologie. Die Datenverarbeitung und -weitergabe wird bedeutender für unser Leben. Der entscheidende Schritt ist die Vernetzung. Das alles ruft neue Geschäftsfelder und Beschäftigungsmöglichkeiten auf den Plan. Crowdwork oder Clickworker seien hier als Schlagwörter angeführt. Bestimmte Arbeitsplätze dürften u. a. durch Laptops ort- und zeitunabhängiger werden. Und computergestützte, kooperierende Kleinroboter können den Menschen „zur Hand gehen“.
Das Fortschreiten der Automatisierung ist jedoch nicht neu. Alles fließt. Nach der ersten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert fand ständig fließend in darauf folgenden Zeit bis heute in der Produktion die zunehmende Nutzung von Maschinen, bis hin zu Robotern, als Ersatz oder Ergänzung menschlicher Arbeitskraft statt. Ein Blick in die Werkshallen vermittelt ein Bild hierzu. Einher geht diese fortlaufende Entwicklung mit der computergestützten Steuerung. Doch nicht nur die Produktionsbedingungen haben sich geändert. Auch die Arbeitsbedingungen im Dienstleistungsgewerbe und im Öffentlichen Dienst haben sich bereits einschneidend verändert. Wer vor gut 25 Jahren in diesem Bereich seine Tätigkeit begann, fand Diktiergerät, Schreibmaschine und Festnetztelefon vor. Wer von einem Schriftstück mehr als ein Exemplar wünschte, musste einen Durchschlag fertigen oder zum Fotokopierer schreiten.
Nach und nach wurden „Bildschirmarbeitsplätze“ in den Büros eingerichtet. Auch die ersten Mobiltelefone in Größe und Schwere eines Ziegelsteins tauchten auf. Und heute? E – Mails bestimmen den Arbeitsalltag und harren teilweise bereits wenige Minuten nach dem Empfang ihrer Beantwortung. Befindet man sich außer Reichweite des Telefons auf dem Schreibtisch, wird die Erreichbarkeit per Handy erwartet. Nicht selten treffen diese Veränderungen zusammen mit dem Effekt der „Arbeitsverdichtung“ als Folge von Stelleneinsparungen und / oder Aufgabenzuwachs.
Selbstverständlich bietet „Arbeit 4.0“ neue Chancen. Monotone und belastende Arbeitsprozesse können den Beschäftigten abgenommen werden. Es eröffnen sich zusätzliche Märkte für Kreativität und durch Plattformen. Kommunikation kennt wahrhaftig „keine Grenzen“ mehr. Auch schafft eine Unabhängigkeit der Arbeit von Zeit und Ort zusätzliche Flexibilität. Ich könnte das Büro am frühen Nachmittag verlassen, mich zwischendurch Familie oder Hobby widmen, und mich am Abend wieder „einloggen“. Schöne neue Arbeitswelt?
Beim Thema Arbeitszeit stehen die Etappen „Am Samstag gehört der Papa mir“ sowie die 40-/30-Stunden-Woche in der öffentlichen Wahrnehmung für die letzten Jahrzehnte. Doch wie sieht das reale Arbeitszeit – Leben aus? Laut Statistischem Bundesamt ist der Anteil der Erwerbstätigen, die regelmäßig nachts arbeiten, auf rund 10 % angewachsen. Der Anteil der Erwerbstätigen, die abends in der Zeit zwischen 18.00 und 23.00 Uhr arbeiten, liegt bei nahezu 30 %. Ebenso hoch ist der Prozentsatz der Wochenendarbeiter. Die Hälfte davon arbeitet am Sonntag.
So ist schon bisher dem laufenden Strukturwandel in der Arbeitswelt das Spektrum der Belastungen von Beschäftigten gefolgt. Psychische Belastungen haben nun die Bedeutung, die früher den körperlichen Belastungen zukam. Sie gehören innzwischen zu den wesentlichen Ursachen für Gesundheitsgefährdungen in der Arbeitswelt. Laut Stressreport Deutschland geben etwa die Hälfte der Befragten an, häufig unter Termin- und Leistungsdruck zu arbeiten. Als weitere Belastung wird Multitasking genannt.
Psychische Belastungen bei der Arbeit führen zu Motivationsverlust sowie Sinken der Leistungsfähigkeit und können zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie Erkrankungen führen. So sind psychische Erkrankungen inzwischen neben Muskel-Skelett-Erkrankungen die häufigste und kostenintensivste Ursache von Arbeitsunfähigkeit (79 Mio. AU-Tage im Jahr). Und die durch psychische Erkrankungen verursachten Neuzugänge zur Frühinvalidität stiegen von 24 % im Jahr 2000 auf 43 % in 2015. Besonders deutlich zeigen sich diese Entwicklungen an Standorten mit herausgehobenem Dienstleistungssektor.
Arbeitsforschung und Arbeitsmedizin weisen nach, dass zu den Stressoren atypische Arbeitszeiten (Schichtarbeit, lange Arbeitszeiten, Wochenendarbeit) und arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit wie auch Rufbereitschaft gehören. Pausen, Abschalten-Können und auch Arbeitszeit-Souveränität hingegen zählen zu den positiven Ressourcen. Nicht zuletzt diese Erkenntnisse sollten nicht erst in der Zukunft, sondern bereits im Jetzt zur Geltung gelangen.
Die Arbeitgeber sollten auch im eigenen Interesse an nachhaltig gesunden Beschäftigten und deren Produktivität sich der psychischen Gesundheit im Betrieb widmen. Dabei ist es ein Gebot der Klugheit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Ermittlung psychischer Belastungen zu beteiligen. Sie wissen, wo sie der Schuh drückt und sie kennen Lösungen.
Nicht minder spannend als die Gesundheit in der Arbeitswelt ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund der fortschreitenden Vernetzung. Es werden in großer Zahl (neue) Fachkräfte benötigt, um die anspruchsvollen Herausforderungen zu bewältigen. Einfache und automatisierbare Tätigkeiten werden überflüssig. Der Bedarf an „Helfern“ sinkt drastisch. Doch auch neue Märkte für soziale Tätigkeiten entstehen. Alle Anstrengungen müssen auf qualifizierte Aus- und vor allem Weiterbildung gerichtet sein. Hier sind Politik und Wirtschaft gefordert.
Dr. Volker Kregel (1957) leitet als Senatsdirektor die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg; und ist Vorsitzender des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) sowie der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz (NAK). In den Jahren 2000 bis 2010 arbeitete er als kommunaler Dezernent im Rheinland, ab 2003 in Bonn, wo er 2007 Stadtdirektor wurde. Von 1990 bis zum Jahr 2000 war er im Bundesumweltministerium tätig.