Gerald Hagmann erkennt auch in unserer säkularen Zeit die weihnachtliche Sehnsucht nach heiler Welt.
Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.
Gerald Hagmann
Ein Sehnsuchtsfest – Zu Weihnachten 2017
„Gottes Ja und Gottes Nein zur Geschichte, wie es in der Menschwerdung und Kreuzigung Jesu Christi vernommen wird, bringt in jeden geschichtlichen Augenblick eine unendliche nicht aufzuhebende Spannung.“ So schreibt Dietrich Bonhoeffer in seiner Ethik (Bonhoeffer, Dietrich, Ethik, DBW Band 6, Seite 94 f). Weihnachten und Karfreitag werden aufeinander bezogen. Das irritiert – auf den ersten Blick.
Die Adventszeit ist schon lange keine Bußzeit mehr. Allenfalls im kirchlichen Kalender. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus: Weihnachtsmärkte, Adventsfeiern, Betriebsessen, Plätzchen, Glühwein, das Fest der Geschenke und seine Vorbereitung – all das prägt den Dezember. Und es versetzt mich in positives, ja fast ungläubiges Staunen, welch große Rolle das christliche Fest in der säkularen Wirklichkeit einnimmt. Die (Vor-)Freude über Weihnachten nimmt breiten Raum ein – schon Wochen vor dem Advent. Und diese Freude hat ihren Grund natürlich auch in der christlich motivierten frohen Botschaft, dass Menschen in Kälte und Dunkelheit mit Wärme, Liebe und Frieden beschenkt werden.
Die Lebenswirklichkeit von Dietrich Bonhoeffer unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der gegenwärtigen. Sein biblisches Verständnis von Weihnachten führt ihn zu der Erkenntnis, dass Gottes Ja zur Welt nicht ohne sein Nein zur Welt zu denken ist. Dass Krippe und Kreuz aufeinander bezogen sind.
Jenseits aller sich permanent verschiebenden Lebenswirklichkeiten regt mich der weihnachtliche Gedanke Bonhoeffers an, dass Gott der Welt Liebe und Frieden schenken will, indem er in die Zeitlichkeit einsteigt. Gott entscheidet sich in seiner Unendlichkeit für die Zeitlichkeit. Das beginnende weltliche Leben des weihnachtlichen Gottessohnes ist begrenzt in der Passion und erfährt überlebensgroß eine Kontinuität im Leben der Nachfahren Jesu Christi – der Christinnen und Christen. Wir setzen Endlichkeit und Begrenztheit fort. Und genau die macht unsere weihnachtliche Sehnsucht aus. Die Endlichkeit der Welt manifestiert sich nicht nur in der Endlichkeit unseres Lebens, sondern auch etwa im Unfrieden, den wir täglich erleben – im Kleinen und im Großen. In der Ungerechtigkeit der Verteilung von Wohlstand. Der unermessliche Reichtum weniger Industrienationen steht in einem so krassen Gegensatz zu der schrecklichen Armut vieler Länder.
Die Endlichkeit der Welt zeigt sich im manchmal so schwierigen Umgang von Menschen miteinander – in der (inter-)nationalen Politik genauso wie im Privaten, vor allem in der Familie; in den kleinen und großen Kriegen in der ganzen Welt – in Geschichte und Gegenwart. Sie manifestiert sich in der Angst – auch vor den im 21. Jahrhundert erstarkenden totalitären Systemen. All das mag die weihnachtliche Sehnsucht nach heiler Welt bestärken. Eine Sehnsucht, die so stark ist, dass sie auch in der Gegenwart in aller Säkularisierung mitunter christliche Formen annimmt. Es ist eine Sehnsucht nach Liebe, Gemeinschaft, Frieden und körperlichem Wohlergehen – und wenn es nur durch kulinarische Genüsse geschieht.
Dass Weihnachten ein vielschichtiges Sehnsuchtsfest ist, wird für mich in besonders schönen Worten in einem pfingstlich-adventlichen Text ausgedrückt: In der adventlichen Pfingstsequenz aus der Lateinischen Messe – aus dem 9. Jahrhundert – die zugleich die adventliche Erwartung des weihnachtlichen Kommens Gottes in die Welt assoziiert, in einer freien Übersetzung nach Huub Oosterhuis.
„Hierher, Atem, zünd mich an,
schick aus deiner fernsten Ferne
Wellen Lichts.
Komm Armeleutvater
komm oberster Mundschenk
komm Herzensjäger.
Bester Tränentrockner
liebster Seelengast
mein Freund mein Schatten
Einmal ausruhen
für Grübler und Geschundene
du, Atempause den Verkrampften.
Unerträglich schönes Licht
Überschüttete den Abgrund
meines Herzens, du Vertrauter.
Gott bist du und ohne dich
ist alles Nacht und Nebel,
Qual und Schuld,
du aber machst rein.
Meine Blüte welkt – gib Wasser,
salbe meine Wunden
Steif steh ich da, Eintritt verboten.
gefroren. Tau mich sorgsam auf.
Such mich Verirrten.
Ja sag ich dir, nein tu ich dir.
Vergilt den Zweifel mit Freundschaft
siebenmal tausendmal.
Nichts bin ich ohne dich.
Tot will ich zu dir hin.
Und ich werde lachen.“
Veni sancte spiritus, aus dem 9. Jahrhundert, frei übersetzt von Huub Osterhuis. (Aus: Lammert, Norbert / Felger, Andreas. Credo. Texte und Bilder zum Glaubensbekenntnis, Asslar 2013, Seite 42f.).
Dr. Gerald Hagmann (1973) hat ev. Theologie in Münster und Bonn und studiert und ist Gemeindepfarrer im Kirchenkreis Bochum. Er ist theologischer Mitarbeiter der Initiative „Ökumene jetzt“, Sachverständiges Mitglied der Liturgischen Konferenz (Evangelische Kirche in Deutschland), Gottesdienstcoach (Evangelische Kirche von Westfalen), stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bochum und Mitglied der Redaktion von kreuz-und-quer.de