Klaus Mertes antwortet auf die Kommentare zu seinem Artikel „Ökumene der Märtyrer“.
Danke für alle Hinweise zu meinem Beitrag “Ökumene der Märtyrer”, die mir in der Sache durchaus bewusst sind und deren Gewicht ich anerkenne. Ich stelle nur ein anderes Gewicht daneben, nämlich die auch theologisch bedeutsame und weiterführende Einheit im Martyrium sowie die geistlichen und theologischen Erkenntnisse der Männer und Frauen des Widerstandes, die sie auch thematisch über die Ausnahmesituation hinauisführten, in der sie standen. Sie kennen sicherlich die Äußerungen von Delp und anderen zum Thema Ökumene, und die Leidenschaft, die darin mitschwingt.
Es hat immer wieder in der Kirchengeschichte Situationen gegeben, in denen Spaltungen dadurch überwunden wurden, dass aus Begegnung etwas Neues entstanden ist – ich rede nicht von “Kompromissen”, zumal sich dieser Begriff für mich zu sehr mit der Vorstellung von Verhandlungstischen verbindet – als ob dort das entscheidende geleistet werden könnte! Vielmehr folgen eventuelle “Kompromisse”, wo sie der Sache nach möglich sind, Ereignissen, in denen das Trennende schon überwunden worden ist. Manche Kompromisse erscheinen überhaupt erst als möglich, wenn sich vorher etwas ereignet hat. Kürzlich las ich ein schönes Beispiel: “Als in Rom im Jahr 217 ein neuer Bischof gewählt werden musste, sprach alles für den gebildeten und verdienten Hippolyt. Dennoch wurde ein freigelassener Sklave namens Callixtus gewählt, der vielleicht nicht einmal lesen und schreiben konnte und, wie sich bald heraustellte, ein weiches Herz für die reumütigen Sünder hatte und auch keine Einwände gegen nicht standesgemäße Eheschließungen zwischen adligen Römerinnen und armen Sklaven. Hippolyt ließ sich daraufhin von seinen Anhängern zum Gegenbischof wählen, bezichtigte den Callixtus der Irrlehre und führte so eine innerrömische Kirchenspaltung herbei. Diese hielt auch unter Urban, dem Nachfolger des Callixtus, an. Auf Urban folgte Pontianus und im Jahr 235 eine Christenrazzia in Rom. Kaiser Maxentius Thrax deportierte Pontianus und Hippolyt in die Bergwerke Sardiniens, wo sich beide, Papst und Gegenpapst, denselben Torturen ausgesetzt, im Angesicht des Todes miteinander versöhnten. Der wiedergewonnenen Einheit unter einem neuen Bischof stand nichts mehr im Weg. Beide wurden am 13.8.235 in Rom beigesetzt und als Martyrer in das Martyrologium der Kirche aufgenommen.“ (vgl. Entschluss 52/1997/5, S.7)
Darum geht es mir: Es gibt Erfahrungen, die es unmöglich machen, sich mit dem Hinweis auf bestehende Unterschiede, die hier gar nicht geleugnet werden sollen, mit der Spaltung abzufinden. Und das richtig-falsch-Modell (“wir sind im richtigen Glauben, die anderen im nicht ganz so richtigen Glauben”) hilft dann auch nicht weiter. Wahrheit ist kein Besitz, auf dem man sich ausruhen kann. Gerne würde ich den Versöhungsgesprächen zwischen Hippolyt und Pontianus in den Bergwerken lauschen, und gerne würde ich den Martyrern des letzten Jahrhunderts lauschen, wie sie entdeckten, dass viel weniger sie trennt, als sie vorher gemeint hatten. Und solche Gespräche finden auch heute an ganz vielen Orten statt. Das hat dann irgendwann auch Gewicht für die ganze Kirche. Das ist meine Hoffnung.