HERAUSFORDERUNG FÜR DIE MITTE

Stephan Eisel analysiert die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt und warnt davor, die Rolle der Opposition der AfD zu überlassen.

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Stephan Eisel

Die Landtagswahlen vom März 2016:
Herausforderung für die Mitte

In unserer Mediengesellschaft sind Landtagswahlen immer mehr momentane Stimmungsbilder, bei denen Landespolitik als der ausschlaggebende Entscheidungsgrund in den Hintergrund tritt. Vor fünf Jahren dominierte im Frühjahr 2011 bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Im März 2016 stand in diesen Bundesländern die Flüchtlingsfrage im Vordergrund. Wiederum spielten landesspezifische Themen eine nachrangige Rolle. Die Analyse der drei Landtagswahlergebnisse darf dies nicht ausblenden:

  1. Deutliche Steigerung der Wahlbeteiligung

Erfreulich ist, dass die Wahlbeteiligung bei allen drei Landtagswahlen jeweils um ca. zehn Prozent angestiegen ist. Dies ist ein weiterer Beleg  dafür, dass die immer wieder verbreitete Behauptung, Wahlbeteiligungen gingen ständig zurück, falsch ist. Sie unterliegen Wellenbewegungen: Wenn Wähler merken, dass ihre Stimme einen Unterschied macht, gehen sie zur Urne. Das haben die Landtagswahlen am 13. März erneut bestätigt. Die Wahlbeteiligung stieg dort auf das Niveau der letzten Bundestagswahl. Umso schwerer wiegen die Ergebnisse.

  1. Ministerpräsidenten bestätigt, Regierungen abgewählt

Bei allen drei Landtagswahlen haben die Parteien gewonnen, die den Ministerpräsidenten stellen: In Baden-Württemberg die Grünen mit Wilfried Kretschmann (30,3 Prozent / + 6,1 Prozent), in Rheinland Pfalz die SPD mit Malu Dreyer (36,2 Prozent / + 0,5 Prozent) und in Sachsen-Anhalt die CDU mit Reiner Haselhoff (29,8 Prozent / – 2,7 Prozent). In unsicheren Zeiten – und als solche empfinden viele Wähler die Flüchtlingsbewegung – werden bekannte Gesichter bevorzugt. Zugleich haben aber in allen drei Fällen die jeweiligen Regierungen ihre Mehrheit verloren: Rotgrün in Baden-Württemberg mit – 4,3 Prozent und in Rheinland-Pfalz mit – 9,6 Prozent und CDU/SPD in Sachsen-Anhalt mit – 13,6 Prozent.

  1. Demokratische Parteien mit schweren Einbrüchen

Für die CDU ist das Ergebnis in Baden-Württemberg katastrophal (- 12 Prozent), in Rheinland-Pfalz enttäuschend (- 3,4 Prozent) und in Sachsen-Anhalt hinnehmbar (- 2,7 Prozent). Insbesondere kann die Union angesichts des Einbruchs in ihrem einstigen Stammland Baden-Württemberg nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Dort ist die CDU in zehn Jahren von 44 auf 27 Prozent abgestürzt. Gedankenspiele, nach dem Verlust von fast einem Drittel der Stimmen bei dieser Wahl, eine Landesregierung ohne den Wahlsieger Kretschmann zu bilden, fügen der CDU weiteren Schaden zu. Nur wer eine Niederlage akzeptiert, kann den Wiederaufbau erfolgreich beginnen.

Trotz ihres Erfolgs in Rheinland-Pfalz ist das Ergebnis für die SPD desaströs. Die CDU behauptet in der Niederlage überall Platz 2, die SPD stürzt hingegen auf Platz 4 hinter die AfD ab: In den Flächenländern Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt hat sie sich von einem schon bisher nierdrigen Niveau auf nur noch 12,7 bzw. 10,9 Prozent der Stimmen halbiert.

Ähnliches gilt für die Grünen: Der Erfolg in Baden-Württemberg überdeckt den Einbruch in Rheinland-Pfalz mit einem Verlust von 10,1 Prozent auf nur noch 5,3 Prozent und den weiteren Verlust auf bereits niedrigem Niveau in Sachsen-Anhalt (5,2 Prozent / – 1,9 Prozent). Die Fünf-Prozent-Hürde ist für die Grünen wieder ein Thema.

Erfolgreicher schnitt die FDP ab und zog in Baden-Württemberg (8,3 Prozent / + 3 Prozent) und Rheinland-Pfalz (6,2 Prozent / + 2 Prozent) wieder in den Landtag ein. In Sachsen-Anhalt scheiterte sie knapp (4,9 Prozent / + 1,1 Prozent). Es sollte aber nicht übersehen werden, dass die Ergebnisse mit einer Oppostionsstrategie gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung erzielt wurden. Der politische Weg der FDP bleibt offen.

  1. Schockierende Erfolge für die AfD

Die AfD hat sich mit ihrer dumpfen ausländerfeindlichen und anti-europäischen Demagogie als Protestpartei etabliert und überall zweistellige Ergebnisse erzielt: In Rheinland-Pfalz 12,6 Prozent, in Baden-Württemberg 15,1 Prozent und in Sachsen-Anhalt sogar 24,2 Prozent. Ausserdem eroberte sie 17 Direktmandate (15 in Sachsen-Anhalt, zwei in Baden-Württemberg). Die AfD ist jetzt in der Hälfte aller Landesparlamente vertreten. Das sind erschreckende Zahlen.

Von den ca. 1,2 Mio AfD-Wählern bei den drei Landtagswahlen kommen ca. 390.000 aus dem bisherigen Nichtwählerbereich und ca. 250.000 haben zuletzt andere kleinere Protestparteien gewählt. Die CDU hat rund 270.000 ihrer bisherigen Wähler an die AfD abgegeben, die SPD etwa 150.000, die Grünen ca. 80.000, die Linke ca. 65.000 und die FDP etwa 35.000. Keine Partei kann sich von der Verantwortung für die Erfolge für AfD freisprechen.

Am Rande sei übrigens noch erwähnt, dass der Versuch der Ausweitung in den Westen für die Linke mit 2,9 Prozent in Baden-Württemberg und 2,8 Prozent in Rheinland-Pfalz erneut und vermutlich endgültig gescheitert ist. Auch das schwache Ergebnis in Sachsen-Anhalt (16,3 Prozent / – 7,4 (Prozent) zeigt die Probleme der Partei.

  1. Herausforderung für die Mitte

Eine der Konsequenzen der AfD-Erfolge ist die drastische Einschränkung der Möglichkeiten demokratischer Parteien zur Mehrheitsbildung. Eine (vermeintlich) grosse Koalition aus CDU und SPD ist nur noch in Rheinland-Pfalz mehrheitsfähig. In Sachsen-Anhalt bleibt nur die Option einer Koalition aus CDU, SPD und Grünen. In Baden-Württemberg besteht nur die Alternative von Grün-Schwarz oder ein Bündnis von Grünen, SPD und FDP, denn eine Regierungsbildung aus CDU, SPD und FDP unter Ausblendung des Wahlsiegs von Wilfried Kretschmann ist politisch nicht vermittelbar.

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr besteht darin, dass sich die AfD gegenüber all diesen Regierungskoalitionen als bestimmende Oppositionskraft gerieren kann. Hier liegt die entscheidende Herausforderung für die politische Mitte: Die demokratischen Parteien müssen bei aller prinzipiellen Bündnisfähigkeit miteinander auch die Kraft haben, sich als Alternativen mit unterschiedlichem Profil zu präsentieren. Je mehr die Unterscheidbarkeit demokratischer Alternativen auf der Strecke bleibt, desto eher können sich demagogische Populisten als Alternative darstellen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich für die CDU in Baden-Württenberg und Rheinland-Pfalz die konkrete Frage, ob nicht schon aus demokratiepolitischen Gründen die Verantwortung für eine starke Oppoition der Rolle als Juniorpartner in einer Regierung vorzuziehen ist.

 

Dr. Stephan Eisel (1955) war als Mitglied des Deutschen Bundestages bis 2009 Mitglied im Euro­paauschuss und u. a. 1983- 1992 zunächst als Redenschreiber und dann als stv. Leiter des Kanzlerbü­ros Mitarbeiter von Helmut Kohl. Seit 2010 ist er in der Konrad-Adenauer-Stif­tung Projektleiter für „Internet und Demokratie“ so­wie „Bürgerbeteiligung“. Er ist verant­wortlicher Redak­teur des Blogs für politisches Handeln aus christlicher Verantwortung kreuz-und -quer.­de

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