„Damit alle eins sind“

Dr. Thomas Greiner

Letzten Donnerstag haben wir Christi Himmelfahrt gefeiert. Wir feiern da einen Abschied, und wir alle kennen das: Abschiede sind nie leicht. Christus hat diese Welt verlassen. Er ist für uns nicht mehr sichtbar; wir können ihn nicht anfassen, wie mein Namenspatron es konnte; wir können auch nicht mit ihm sprechen, wie Maria Magdalena es konnte. Wir können nur der Verheißung vertrauen, dass er dennoch bei uns bleibt – in seinem Geist. An Christus glauben heißt: An den Geist glauben, an das Geistige in der Welt; und nicht nur an das Materielle zu glauben; dass das ganze Sein der Welt durchdrungen ist von seinem Geist. Das sagt er uns an Christi Himmelfahrt und Pfingsten: dass wir nicht in der Leere und Einsamkeit bleiben, nicht allein gelassen und auf das Nichts zugehen, das Vergehen von allem.

Wir leben in der Osterzeit; immer noch, nicht nur 50 Tage – einmal im Jahr. Wir leben in der Osterzeit – unser ganzes Leben. Denn Ostern ist schon geschehen: Es hat schon begonnen, dass alles gut wird. Das verheißt uns Christus an Himmelfahrt und Pfingsten, und darauf können wir unser ganzes Leben bauen.

Und dann hören wir diese Stelle im Johannesevangelium, wo Jesus am Abend vor seinem Leiden für uns betet – auf dem Weg zum Ölberg: das sog. „Hohepriesterliche Gebet“; übrigens ein Ausdruck, der ursprünglich von einem Protestanten stammt, nicht von einem Katholiken (David Chyträus, 1530-1600). Das ganze 17. Kapitel des Johannesevangeliums ist dieses Gebet Jesu zu seinem Vater – für sich selbst, für die Jünger und für uns, die wir heute noch auf ihn bauen. Immer am Sonntag nach Christi Himmelfahrt hören wir in katholischen Gottesdiensten einen Abschnitt aus diesem 17. Kapitel, und in diesem Jahr hörten wir, wie Jesus darum betet: „Alle sollen eins sein“ (Joh 17,21).

Vor genau 30 Jahren veröffentlichte Papst Johannes Paul II. eine Enzyklika mit dem Titel: „Ut unum sint (Damit alle eins seien).“ Ich finde, nicht jede Enzyklika ist automatisch ein Meilenstein. Diese aber schon. Johannes Paul II. gab ihr den Untertitel: „Über den Einsatz für die Ökumene“. Nicht einfach nur über „Ökumene“ allgemein wollte er also etwas sagen, sondern ganz klipp und klar: Über den „EINSATZ für …“, also, dass es gar nicht anders geht als ökumenisch. Im lateinischen Original der Enzyklika können wir diese Überschrift sogar so lesen: „Über die Pflicht zur Ökumene“. Leider ist dieser programmatische Text ein wenig in Vergessenheit geraten, so wie die Ökumene überhaupt, finde ich.

Natürlich gehen wir freundschaftlich und nachbarschaftlich mit unseren Glaubensschwestern und –brüdern um, mit den orthodoxen wie den evangelischen. Wir feiern Gottesdienste gemeinsam; engagieren uns gemeinsam ehrenamtlich; manche von uns sind in der anderen Gemeinde im Chor. Es gibt unzählige Beispiele.

Und Gott sei Dank sind die Zeiten vorbei, wo wir uns bekriegten oder glauben, den anderen bekehren zu müssen. Wir Katholiken haben auch – Gott sei Dank – aufgegeben, dass Ökumene eigentlich „Rückkehr-Ökumene“ heißen würde, dass also die anderen endlich zurückkehren müssten, damit es wieder Einheit geben könne. Diese Einstellung wurde explizit mit dem II. Vatikanischen Konzil verworfen. Heute verstehen wir Ökumene als „Einheit in Vielfalt“. Aber leben wir auch so? Oder leben wir vielleicht nur nebeneinanderher? Interessieren wir uns wirklich für die Anderen? Und vor allem: Betrachten wir uns als Einheit?

Allein zu sagen: „die Anderen; wir und die“, allein das eigentlich wäre eigentlich schon un-ökumenisch und nicht im Geist dieses Gebets Jesu. Natürlich brauchen wir Menschen Gruppenidentitäten – Gewohnheiten – Vertrautes; und das Vertraute definiert uns. Aber als Christen dürfen wir eben nicht stehen bleiben allein bei dem, was wir kennen und gewohnt sind. Christus betet hier nicht um Uniformität, also, dass alles gleich ist.

Johannes Paul II. hat damals gesagt: Wir müssen die unterschiedlichen Formen des Gebets, der Liturgie, der Lebensgestaltung kennen und anerkennen; denn alle sind sie Gebet im Geist Christi und alle bekennen sich zu ihm im Bekenntnis von Nicäa, dessen 1700jähriges Jubiläum wir in diesem Jahr feiern (vgl. Ut unum sint, 9 ff.). Selbstverständlich betont auch Johannes Paul II. noch, dass „die Gemeinschaft der Teilkirchen mit der Kirche von Rom und die Gemeinschaft ihrer Bischöfe mit dem Bischof von Rom ein grundlegendes Erfordernis“ (ebd. 97) für die Einheit sei. Und selbstverständlich herrscht auch heute noch kein völliges Einverständnis in allen Fragen des Amtsverständnisses oder auch des Verständnisses einzelner Sakramente.

Aber es lässt sich nicht bestreiten: Wir sind Schwestern und Brüder, weil wir in der Taufe zugesagt bekommen, Gottes geliebte Kinder zu sein – und zu bleiben. Alle!

Christus betet nicht um Uniformität. Er betet darum, dass alle eins seien, nicht gleich seien. Eine Einheit – eine untrennbare Verbundenheit! Das ist Ökumene. Das Wissen um diese Verbundenheit, die nicht zu trennen ist, außer durch Zerstörung. Und warum betet er so? „Damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast. … Wie ich in dir bin, so sollen sie alle in uns sein.“ (Joh 17,23 und 21) Nur durch dieses gemeinsame Bekenntnis: Dass Christus wirklich der Sohn des Vaters ist, der Retter, der Erlöser, wie wir glauben, und dass wir alle in die Liebe des Vaters zum Sohn mithineingenommen sind, nur so sind wir eins, und nur so erkennt auch die Welt, wer Christus wirklich ist.

Indem wir in der Liebe sind, also wissen, dass wir alle mithineingenommen sind in die Liebe des Vaters zum Sohn, „vor der Grundlegung der Welt“ (Joh 17,24), und dies auch zeigen, nur so können wir der Welt glaubhaft machen, dass Jesus wirklich Mensch geworden ist, um uns aus der Macht der Angst um uns selbst zu befreien.

Dass uns das gelingt, auch im Alltag, vor allem aber im Umgang mit unseren Schwestern und Brüdern, dass wir ein Zeichen der Hoffnung in dieser Welt sind, das wünsche ich uns – auch wenn in dieser Welt so vieles schiefzugehen scheint. Dass wir Zeichen der Hoffnung sind, denn Ostern ist schon geschehen. Es hat schon begonnen, dass alles gut wird.


Thomas Greiner

Dr. Thomas Greiner (*1964) ist Ministerialdirigent im Bundesbildungsministerium. Neben diesem Zivilberuf ist er katholischer Diakon im Erzbistum Berlin und in der Pfarrei St. Franziskus Reinickendorf-Nord als Ständiger Diakon eingesetzt (diakonthomas.de).

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