KARNEVAL UND CORONA

Wolfgang Oelsner beleuchtet die Frage, ob Fastnacht, Fasnet, Fasching und Karneval im Corona-Jahr noch ein Fest der „verkehrten Welt“ sind.

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Wolfgang Oelsner

Fastnacht, Fasnet, Fasching, Karneval im Corona-Jahr –
ist es noch ein Fest der „verkehrten Welt“?

„Ihr seid mir schöne Narren! Ihr propagiert das ‚Fest der verkehrten Welt‘ – und kuscht vor der realen. Der Obrigkeit wollt Ihr den Spiegel vorhalten? Lachhaft! Der spiegelt allenfalls Euren vorauseilenden Gehorsam. Schon bevor die da oben es befahlen, strichen Eure Vereine und Zünfte Sitzungen, Bälle, Umzüge. Von wegen Narrenfreiheit!“

Des Teufels Advokat haut den Karnevalsfreunden in diesen Tagen einiges um die Ohren. Und er wäre kein perfider Teufelskerl, wenn er sie nicht mit ihren eigenen Ansprüchen schlüge. Das Privileg, die Welt auf den Kopf zu stellen, hat das Narrenfest 2021 jedenfalls klaglos preisgegeben.

Auf den Kopf gestellt wird die Welt derweil von anderen. Die sonst so wirbelige Gesellschaft propagiert den Rückzug: Distanz statt Nähe. Selbst ihr goldenes Konsumkalb holt sie vom Podest und sperrt es in den Keller. „Lockdown“.

Und die organisierten Narren? Protestieren sie? Ach was! Sie stellen sich an die Spitze der Forderungen aus Politik und Wissenschaft. „Bliev zohuss!“ („Bleibt zu Hause!“) appellierte das älteste Kölner Traditionskorps, die Roten Funken, per Spruchband und ließ die Botschaft von einem Werbezeppelin zum Sessionsauftakt über der Stadt kreisen. Im seltenen Schulterschluss flehten Karnevalskomitee, Stadtverwaltung und Gastronomie: bitte kein Wein, kein Weib und um Himmels willen kein Gesang!

Die, die sich so gerne im Veräppeln der Obrigkeit gefallen und die Lust am Tabubruch feiern, erweisen sich im Winter 20/ 21 als alles andere denn Querdenker. Sehen wir da eine „verkehrte Welt“ der anderen Art? Oder ist das Dialektik?

Dialektik könnte uns tatsächlich helfen, Karneval in Zeiten von Corona zu verstehen. Denn das Narrenfest ist antithetisch angelegt. Sein Zusammenfall in der Nacht zum Aschermittwoch bestimmt den Höhepunkt. Daher die Namensgebung: Fastnacht, Fasnet, Fastelovend , Fasching („Fast-Schank“). Oder auf „Kirchenlatein“ „carnis levare“, Wegnahme des Fleisches.

Historisch und etymologisch ist Karneval als Schwellenfest der vor-österlichen Fastenzeit im christlichen Jahreskreis verortet. Neben dem ökonomischen Aspekt der Verwertung verderblicher, in der Fastenzeit verbotener Lebensmittel, war der Brauchkomplex moraltheologisch aufgeladen. Unter Verweis auf das augustinische Zweistaatenmodell polarisierte die Kirche: Dem auf die Narrenfigur projizierten sündig ausschweifenden, irdischen Dasein („civitas terrena“) stellte sie mit der gottgefälligen Fastenzeit das himmlische Reich Gottes („civitas dei“) gegenüber. Seit Sebastian Brants Schrift „Das Narrenschiff“ (1494) war die Intention dialektisch angelegt: Narrheit wurde demonstriert, um sie zu überwinden.

Säkulare Gesellschaften interpretieren den Brauch zeitgemäßer im sozialpsychologischen Kontext. In der Fastnacht holt der Mensch Lustvolles hervor, auch Unvernünftiges, Kindliches, gar Kindisches. Manches davon mussten wir auf unserem Weg zu Kulturbürgern wegsperren. Das närrische Spiel öffnet ihm wieder eine Tür. Das ist nicht ungefährlich. Denn im Kollektiv lassen wir so manchen Impuls von der Kette der Alltagsdisziplin los.

Allerdings ist es ein kontrollierter Kontrollverlust. Der Brauchkomplex Karneval/ Fastnacht ritualisiert das Geschehen – und domestiziert es damit. Er bietet dem Spiel für Erwachsene nicht nur die Bühne, sondern fordert auch das Einhalten von Spielregeln. Innerhalb derer dürfen wir die Komplexität der realen Welt ignorieren und ungeniert ihre Vereinfachung beschwören, gerne auch die eigene Sicht. Und aus der Kindheit erhalten wir noch mal das Zauberstäbchen für tausendundeins Identitäten zurück. „Sei, wer du willst!“, heißt der Verwandlungsspruch, mit dem ein großer Kostümfilialist den Rollenwechsel bewirbt.

Im Idealfall genießen wir das Spielen mit der Regression. Spielen dehnt unseren Entfaltungsraum. Und zugleich ahnen wir, dass mit Spielen allein auf Dauer kein Staat zu machen ist.  Es hat schon seine Ordnung, wenn der Chirurg im OP-Saal keinen Clownskittel trägt und die Statik von Autobahnbrücken nicht im Bierzelt berechnet wird.

Fastnachtsnarren sind keine Ganzjahresnarren. Ihr Spiel ist zeitlich begrenzt und ohne Absicht, dem realen Leben zu schaden. Das metaphorische „Stirb und werde“ in den Stunden zum Aschermittwoch lehrt sie jährlich, wovon der Text der Prediger seit Jahrtausenden kündet: „Alles hat seine Zeit“. „Alles hät sing Zick“ heißt die mundartliche Variante im Lied der „Bläck Fööss“.

Auch die Simplifizierung der Welt hat ihre Zeit. Narren beißen sich im realen Leben nicht dran fest. Karneval heißt nicht Querdenken, sondern Perspektivwechsel. Der gilt der Dualität des Lebens. Etwa unseren zwiespältigen Sehnsüchten: Selbstoptimierung hier, Vergemeinschaftung dort, mal sich heimatlich verwurzeln, mal dem Drang nach Ortswechsel nachgeben. Narrenbräuche sind eine Übung, Ambivalentes zu integrieren. Und auf das Wesentliche zu schauen.

Unzählige Vereine beweisen in diesen Tagen, dass Nähe auch auf Distanz möglich ist. Die großen Treffen sind abgesagt, aber Kontakt wird auf vielfältige Weise gehalten. Zwar sind Streamformate, Zoom-Schaltungen und noch so liebevoll gepackte karnevalistische „Care-Pakete“ (Konfetti, Pappnase, Orden, Liederheft u. v. m.) kein Ersatz für eine Feier in Präsenz. Aber sie sind Platzhalter, Zeichen von Verbundenheit.

Anders als die „Eintagsfliege“ Event sind Bräuche nicht vom aktuellen Zeitgeschehen abhängig. Ihre Rituale gehen über den Tag hinaus. Ihre Dekaden überdauernde Kontinuität bezeugen eine Option auf Zukunft. Noch immer folgte auf einen Aschermittwoch ein Elfter im Elften.

Das Narren-Bashing des Teufelsadvokaten ist wohlfeil und läuft ins Leere. Differenzierter beurteilt der Direktor der Medizinsoziologie an der Uni Köln, Professor Holger Pfaff, die Absage närrischer Veranstaltungen zugunsten gesellschaftlicher Solidarität. „Ja, das war für Köln ein schwerer Schritt“, sagt er im Interview (Kölner Stadt-Anzeiger 27.1.2021). Und seine Kommentierung sei hier exemplarisch für den organisierten Karneval insgesamt zitiert: „Die Mentalität dieser Stadt, Frohsinn und Vernunft zugleich, ist bemerkenswert.“

Wolfgang Oelsner (1949) ist Pädagoge und Jugendlichenpsychotherapeut sowie langjähriger Leiter der Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln. Er hat zahlreiche Publikationen zu pädagogisch-psychologischen Themen und zum Karneval veröffentlicht und ist Kulturpreisträger der Deutschen Fastnacht.

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