MEINE BEGEGNUNGEN MIT CORONA

Heinz Neubauer schildert tagebuchartig seine Erfahrungen mit der COVID19 -Quarantäne.

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Heinz Neubauer

Meine Begegnungen mit Corona – COVID19

Aus Vor- und mit Einsicht haben wir rund um den Globus begonnen, uns an ‚das neue Normal – das Leben in Coronazeiten‘ zu gewöhnen. Heute wissen wir, dass das Infektionsgeschehen im November 2019 im chinesischen Wuhan begann. Für mich persönlich hat es – noch völlig ohne Zusammenhang – wenig später begonnen. Im März 2020 sollte ich als Reserveoffizier der Bundeswehr als Gastdozent an das Baltic Defense College in Tartu (Estland) wieder in der Generalstabsausbildung unterstützen. Wie der Virus Covid19 dann diese Zeit dann für mich beeinflusste, habe ich in einem kurzen Tagebuch festgehalten:

13.März 2020
Estland erklärt wegen Covid19 nach 27 bestätigten Infektionen den ‚state of emergency (Notstand)‘ bis Mai 2020. Meine gebuchte Dienstreise der Bundeswehr wird folge dessen storniert und stattdessen wird mein Dienstantritt beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr Geltow/Potsdam angeordnet.

23.März 2020
Dienstantritt als Oberst und Abteilungsleiter Logistik/Schutzaufgaben. Im Rahmen der Übung ist die Ablösung des (hauptamtlichen) Abteilungsleiters vorgesehen ab 25.März bis Gründonnerstag 9.April 2020 einschließlich. – Am späten Abend wird dieser Kamerad wegen Kontakt mit einem positiv getesteten Soldaten am 19.und 20.März als Kontaktperson Ersten Grades K1 „in die häusliche Quarantäne“ verfügt. Also beginnt meine Aufgabe früher.

24.März 2020
Morgens erste Teilnahme als Abteilungsleiter an der täglichen Befehlshaberlage. Soweit alles aus den Vorjahren vertraut; aber was ist anders ? Das Kommando hat seit Beginn März bereits viele Maßnahmen ergriffen:

  • Wir tagen nicht im früher üblichen engen Besprechungsraum, sondern „aufgelockert“ in einer der Operationszentralen, bestehend aus (Bildschirm-)Arbeitsplätzen mit zwei Monitoren in sechs gestuften Reihen, Abstand mindestens 2m zum nächsten Teilnehmer nach rechts und links, vorne und hinten, 25 Teilnehmer auf 1.000 qm .
  • Wir grüßen uns mit nur militärischen Gruß um nahen Kontakt und das morgendliche Händeschütteln zu vermeiden.
  • Der Chef des Stabes erteilt vorab dem Abteilungsleiter ‚Joint Medicine‘ das Wort, der zur aktuellen Lage aus Sicht des Sanitätsdienstes orientiert. Dieser berichtet darüber, dass es einen ersten Angehörigen der Flugbereitschaft aus Köln gibt, der nach dem Besuch des „Kappenabends“ in Gangelt (Kreis Heinsberg) am 15.Februar einschlägige Symptome entwickelt habe und im Bundeswehr-Krankenhaus Koblenz auf der Isolierstation behandelt werde.
  • Strikt empfohlen wird uns die Abstandskontrolle an Gebäudeeingängen, „Raucherzonen“ und beim Besuch der Speisesäle (hier vor allem Disziplin bei der versetzten Sitzordnung „ohne direktes Gegenüber“).

Routinemäßig werden nach dieser Ansage in kurzen Vorträgen die Einsatzgebiete und dortige Herausforderungen abgehandelt, erste Überlegungen zur Anpassung der langfristig terminierten Kontingentwechsel (Personalwechsel in den Einsatzgebieten) werden abgefragt bzw. durch weiter Arbeitsaufträge der Kommandoführung justiert.

In meiner Abteilung arbeiten bereits ein Drittel aller Angehörigen von der eigenen Wohnung aus; weitere geschützte Rechner und weitere VPN-Zugänge werden beantragt. In jedem Zweierbüro arbeitet nur ein Soldat und – auch dank der kalten, aber sonnigen Witterung – wird dieses stets gut gelüftet, um Aerosole („Tröpfchen“) durch Luftbewegung rasch niederzuschlagen. Hauptaufgabe für mich ist es nun, die anwesenden bzw. die abwesenden, von Zuhause arbeitenden Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen im Zusammenspiel der Funktionen zu managen. Dabei handelt es sich z.B. um Disposition des strategischen Transportraums nach neuen Prioritäten, Sicherstellung des laufenden Feldpostbetriebs, Überwachung und Verfügungen zu nach Datum ablaufenden Munitionsbeständen, Steuerung der laufenden Bauvorhaben in den Feldlagern und an den Flughäfen in Afghanistan, Mali und Jordanien.

25.März 2020
Weitere Fälle K1 (direkte Kontaktperson mit einem Infizierten) im Kommando werden bekannt gegeben, von vier Generalen/Admiralen in der Kommandospitze ist nur einer physisch im Dienst; die Befehlshaberlage tagt mit vielen Oberstleutnants, weil eben die Kommandoführung und die etatmäßigen Abteilungsleiter daheim „in häuslicher Quarantäne“ dienen. Alle Besuche aus Deutschland in die Einsatzgebiete bis auf weiteres abgesagt.

Im litauischen Rukla (NATO battle group ‚enhanced Forward Presence‘ Litauen) hat sich der erste niederländische Kamerad infiziert (und damit die ganze international besetzte S4 Stabsabteilung Logistik zu Kontaktpersonen K1 gemacht). Folge ist Notbetrieb in der Kaserne Rukla und auf dem Truppenübungsplatz im Pabrade. Aus Deutschland und Kroatien wird dorthin zusätzliches medizinisches Fachpersonal in Marsch gesetzt. Die Host Nation Litauen stellt umgehend die ersten 50 Corona-Testkits zur Verfügung. Weitere 200 werden im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz bestellt.

In den beiden Abteilungen Medizin und Logistik im Potsdamer Kommando werden nun alle geplanten Transporte überprüft: Status Sanitäts-, Schutz- und Unterkunftsmaterial zum Aufbau von Isolierstationen in Zelten. Mobile Beatmungsgeräte werden an den Flughäfen im Inland bereitgestellt. Anmeldung von ‚diplomatic clearances‘ für den Lufttransport von Gefahrstoffen sind notwendig, weil medizinischer Alkohol und weitere Reagenzien nur nach erfolgter Überfluggenehmigungen „reisen dürfen“. Ziel ist es, in den nächsten Wochen Vorsorge vor Ort zu treffen, die Reichweiten von dezentral gemischten Desinfektionslösungen nach WHO-Standard zu erhöhen; die (Gast-)länder in Asien und Afrika brauchen nun alles für den Bedarf der eigenen Bevölkerung. Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ wird einschlägig vorbereitet, er soll am 1. April in Kiel ablegen, um im östlichen Mittelmeer die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ bei der Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2) abzulösen (Seeraumüberwachung in der Ägäis).

27.März 2020
Mit einer Transportmaschine der ‚Koninklijke Luchtmacht‘ werden der erkrankte niederländische Soldat sowie vier weitere, inzwischen erkrankte deutsche Soldaten aus Litauen in die Heimatländer geflogen. Nach improvisierten Regelungen vor Ort in Rukla ist die S4-Abteilung nach mehreren negativen Tests wieder eingeschränkt arbeitsfähig. Die dortige Eigenversorgung der Truppe mit Lebensmitteln, Betriebsstoffen und (‚prepaid‘) Telefonkarten läuft in enger Zusammenarbeit mit den litauischen Behörden wieder.

31.März 2020
Abends erreicht mich der Chef des Stabes – mein Admiral und Vorgesetzter – am Telefon, um mir mitzuteilen, dass ein neuer Abteilungsleiter, der am 26.März erstmalig an der täglichen Lagebesprechung teilgenommen hatte, nun positiv getestet worden sei. Damit bin ich ab sofort selbst „Kontaktperson 1“ mit allen Folgen. In den Abendnachrichten im RBB-Fernsehen wird über die Schließung des Emil-von-Bergmann-Klinikums in Potsdam berichtet, nachdem dort die gesamte Geriatrie, 69 Patienten und Personal, infiziert sind. Die Notaufnahmen muss nun ein kleineres Krankenhaus in Potsdam stemmen. – Mich erreicht abends der Leiter des Sanitätszentrums Potsdam am Telefon in meiner Unterkunft. Nach kurzer Beratung entsteht der Plan, meine Heimreise nach Heidelberg im privaten PKW am morgigen Tage anzutreten (ohne besondere Stopps) und die Übergabe meiner Quarantäne-Überwachung an das Gesundheitsamt Heidelberg zu veranlassen.

1.April 2020
Nachmittags erreicht mich nach unauffälliger Fahrt nach Heidelberg erneut das Bundeswehr-Sanitätszentrum Potsdam und bestätigt meine erfolgte Übergabe an das Gesundheitsamt Rhein-Neckar/Heidelberg. Am frühen Abend erhalte ich dann von einer patenten Mitarbeiterin einen Beratungsanruf aus dem zivilen Gesundheitsamt, die Ankündigung einer Quarantäneverfügung per Post sowie per e-mail einen persönlichen link. – 20 Minuten später kann ich diesen link öffnen, die Verhaltensmaßregeln für meine K1-Quarantäne lesen und erstmalig eine elektronische Meldung zur Quarantäneüberwachung absetzen. Das Studium der Unterlagen ergibt, der Inhalt sieht genauso aus wie die Maßregeln der Bundeswehr – dem Robert-Koch-Institut (RKI)sei Dank. Alles bruchfrei und professionell!

2.April 2020
Morgens melde ich wieder elektronisch beim Amt und übermittele wie gefordert meine gemessene Körpertemperatur, meine gezählte Atemfrequenz sowie „keine weitere Auffälligkeiten“, welche auf Symptome im Zusammenhang mit COVID19 hinweisen könnten. Der Quarantäne-Alltag wird nun bestimmt durch viele Telefonate, Lektüre und als Einzelner Gang durch unseren blühenden Garten. Ich vermeide jeden Kontakt mit meiner Frau, um sie nicht anzustecken. – Im Treppenhaus vor der Gästewohnung steht der Campingtisch, auf dem meine Frau die fertigen Mahlzeiten (und die Tageszeitung) bereitstellt und mich dann über WhatsApp über die Lieferung informiert. Das sorgfältig gespülte Geschirr gelangt später auf umgekehrtem Weg zurück, Kontaktvermeidung eben.

9.April 2020
Abends erfolgt meine letzte Meldung an das Gesundheitsamt Heidelberg: Quarantäne-Zeitraum ohne Auffälligkeiten überstanden und deshalb keinen weiteren Anruf aus dem Amt, weil meine Daten über die zurückliegenden acht Tage maschinell verarbeitet worden sind. Meine Quarantäne ist aufgehoben.

 

Ostern 2020 darf ich wieder mit meiner Frau ‚zusammen feiern‘, die geöffnete und geschmückte evangelische Kreuzkirche in Heidelberg-Wieblingen aufsuchen, zum stillen Innehalten an die Auferstehung und an die vielen helfenden Hände in dieser bewegten Zeit. – Am Osterdienstag bescheinigt mir der Truppenarzt im Sanitätszentrum Bruchsal schließlich das unauffällige Ende meiner Heranziehung zum Reservedienst am Gründonnerstag.

 

Zwei persönliche Anmerkungen zu meiner Quarantäne-Erfahrung zum Schluss:
Erstens Dank an alle sorgsam Handelnden, die mich betreuten, meine Frau vorneweg.
Zweitens: Aus meiner Sicht eine gute, fast schon perfekte Abwicklung der verfügten Quarantäne, die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr Potsdam, Gesundheitsamt Heidelberg und Bundeswehr Bruchsal war beispielhaft.

 

Dr. Heinz Neubauer (*1957) ist Wirtschaftsingenieur und arbeitet als Projektmanager ad interim im Dienstleistungsbereich. Im 44. Dienstjahr als Reservist dient(e) als ‚gespiegelter‘ Abteilungsleiter J4 im Einsatzführungskommando Geltow.

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