„Priester mit Familie und Beruf“

In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung plädierte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode für „andere priesterliche Lebensformen“ neben dem Zölibitat, mehr Frauen in Leitungsfunktionen und Diakoninnen und äußerte Verständnis für Ungeduld bei der Ausarbeitung des Missbrauchskandals. Wie dokumentieren das vollständige Interview.

Wortlaut des Interviews des Osnabrückers Bischofs Franz-Josef Bode mit der Neuen Osnabrücker Zeitung am 4. Mai 2019

„Kirche ist bis in ihren Grund erschüttert“, stellten Sie in Ihrer Osterbotschaft fest. Den Fragen, der Verzweiflung und der Enttäuschung der betroffenen Gemeinden mit aufgedeckten Missbrauchsfällen im Bistum Osnabrück stellten sich bislang Teams aus der Bistumsleitung. Nun stehen die exakten Einzelbesuchstermine fest und vermitteln den Eindruck, jetzt kommt der „Chef“. Warum erst jetzt?

Zunächst hängt das mit meiner langen, schweren Krankheit zusammen. Auf Anraten der Ärzte habe ich mich noch bis März bei bestimmten Terminen zurückgehalten. Entscheidend ist aber das Konzept, nach dem wir vorgehen. Expertinnen und Experten aus der Bistumsleitung verschaffen sich zu- nächst einen Überblick. Die sich daraus ergebenden Grundfragen gehen dann an mich. Ich war von Anfang an gewillt, in die Gemeinden zu gehen. Aber es ist eben üblich, Aufgaben auch von de- nen ausführen zu lassen, die in einem abgestimmten Vor- gehen dafür vorgesehen sind. Jetzt ist der Zeitpunkt gut, dass ich mit Gottes- dienst, einordnender Predigt und Gespräch in den Gemeinden unterwegs bin.

Ende 1995 wurden Sie Bischof von Osnabrück und etwa ein Jahr später erstmals mit einem zeitlich zurückliegenden Missbrauchsthema im Bistum konfrontiert, dem Fall Merzen. Die Öffentlichkeit sucht gerne Verantwortlichkeiten. Wie empfinden Sie den Spagat zwischen dem Reagieren, dem Aufarbeiten dieser „Altlasten“ und dem von Ihnen auf den Weg gebrachten Bündel von Maßnahmen, dem Missbrauch einen Riegel vorzuschieben?

Ich bin sehr dankbar, dass wir inzwischen eine ganze Reihe von differenzierten Maßnahmen ergriffen ha- ben. Aber auch sie sind keine Garantie gegen möglichen Missbrauch. Dennoch ist die heutige Situation eine ganz andere als damals. Seiner- zeit war es wie in vielen Teilen der Gesellschaft so, dass sich einerseits von Miss- brauch betroffene Menschen zwar äußerten, aber auf keinen Fall Öffentlichkeit oder gar ein Gerichtsverfahren wollten. Auf der anderen Seite standen die Täter, die ihre Taten herunterspielten oder nicht zugeben wollten. Beides ist geschehen. Wir haben im Fall Merzen die Versetzung des Priesters in den Ruhestand mit einem Auftrag zur Altenseelsorge erwirkt, dies aber nicht nachgehalten. Heute wäre so ein Verlauf nicht mehr möglich.

Nehmen Sie zum Thema Missbrauch – auch als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz – seit der jüngsten Bischofskonferenz in Lingen mit vielen Absichtserklärungen irgendwelche Veränderungen im Alltag wahr?

Ja, wir haben in Lingen einen sehr großen Schritt getan und uns bei einem Studientag mit systemischen Fragen beschäftigt, etwa der der Lebensform der Priester, der Frage nach der Sexualmoral und dem Thema Klerikalismus. Damit setzen wir Bischöfe uns konkret auseinander. Ich selbst koordiniere die drei Themenfelder Verteilung von Macht, priesterliche Lebensformen sowie Sexualmoral. Die konstituierende Sitzung des entsprechenden Forums hat am 3. Mai 2019 stattgefunden. Es folgt dazu eine Fachtagung im Herbst.

Mit Ihrer Person untrennbar verbunden ist eine liturgisch intensive Geste: Als öffentliches Reuebekenntnis legten Sie sich im November 2010 im Osnabrücker Dom während ei- nes Gottesdienstes vor dem Altar auf den Boden, verharrten dort einige Minuten. Das Bild besitzt heute noch eine extreme Strahlkraft, illustrierte noch im Februar die Titelseite der „Zeit“. Doch viele zweifeln an den öffentlich geäußerten Reuebekenntnissen seitens der Kirchenoberen. Sie wollen schnelle Ergebnisse sehen. Bestrafung der Täter, Entlassungen …

Reuebekenntnisse können immer nur in einem unmittelbaren, ganz engen zeitlichen Zusammenhang gemacht werden. Nur dann entfalten sie ihre Wirkung. Es kostet aber Zeit, wenn man etwas grundsätzlicher an die Fragen herangehen will. Ich verstehe die Ungeduld der Menschen. Angesichts der Komplexität der Vorgänge, des Umgangs mit Tätern und dem betroffenen Umfeld benötigt die Aufarbeitung oft mehr Zeit als gemeinhin angenommen. Ich finde es in dem Zusammen- hang sehr schwierig, dass wir im kirchlichen Prozess- und Strafrecht so sehr viel nach Rom geben müssen. Das verlängert jede kirchen- rechtliche Aufarbeitung, weil man da für die höchst umfangreiche Ebene der Weltkirche zuständig ist. Es braucht unbedingt mehr Befugnisse auf Ebene der Bischofskonferenzen, wie auch die Fälle hier im Bistum zeigen.

„Feuerteufel“ bei der Feuerwehr, Straftäter in den Reihen der Polizei – diese Alltagsphänomene sind bekannt und werden als individuelles menschliches Fehlverhalten wahrgenommen. Niemand kommt aber auf die Idee, deshalb diese Institutionen infrage zu stellen. Ganz anders bei der Kirche. Jeder Skandal scheint wie ein weiterer Sargnagel zu wirken. Selbst überzeugte Katholiken treten aus – als Zeichen gegen eine Amtskirche, die sich nur quälend langsam bewegt …

Die Kirche stellt oft höchste moralische Anforderungen. Und wenn dann in Kirche selbst – auch von Einzelnen – so falsch gehandelt wird, wenn verschwiegen wird, dann ist diese Empörung verständlich. Hinzu kommt, dass sich in der Gemeinschaft der Kirche in den letzten Jahren eine Menge von Fragen aus der Vergangenheit aufgestaut haben. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass die kirchlichen Amtsträger sie nicht eigentlich zu einer freien Entscheidung, zu einer Gewissensentscheidung führen, sondern sich eher ihres Lebens bemächtigen, dann ist das ein Hintergrund, der jetzt noch einmal in aller Deutlichkeit aufbricht. Vieles gehört zusammen.

Nach der Rückkehr aus Ihrer langen Krankheit steckten Sie Ende 2018 Ihre Ziele als Bischof ab: ein eher stärkeres Wirken auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz, das gleichzeitig ein Delegieren von Aufgaben innerhalb des Bistums bedingt. Bleibt das dabei?

Ich habe das immer noch vor und bringe mich bei der Frage des synodalen Wegs, den die Bischöfe beschlossen haben, stark ein. Aber die anstehenden Besuche in den Gemeinden zeigen auch, wie notwendig bei be- stimmten Situationen meine Präsenz vor Ort ist. Ich glaube, dass wir im Bistum ein gutes Miteinander entwickelt haben. Die Mitarbeiter geben mir die Informationen und die Möglichkeiten, bei Bedarf zu handeln.

In den 27 katholischen deutschen Bistümern besitzen die jeweiligen Oberhirten gewisse Entscheidungsspielräume, die sie sehr unterschiedlich nutzen. Hier haben Sie in den Augen vieler eine Vorreiterrolle übernommen, zählen eher zum „progressiven Lager“, und das sicherlich nicht wegen Ihrer Blogs, mit denen Sie oft sehr persönliche Botschaften aussenden. Dazu drei Fragen: Dauerthema Sexualmoral. Angesichts der politischen Realität der „Ehe für alle“ forderten Sie Anfang 2018 eine höhere Wertschätzung für homo- sexuelle Paare, regten ein Nachdenken über die Segnung solcher Paare an. Wie hat sich dieser Vorstoß entwickelt?

Es gab dazu im vergangenen Jahr – auch auf meine Initiative hin – eine Fachtagung in Hamburg. Das Nachdenken geht weiter. Wir können nicht wirklich zu einer liturgischen Feier kommen, wenn die Bewertung dessen, was Menschen in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft leben, von der Kirche nur negativ gesehen wird. Dann ist die Frage des Segens schwierig. Deshalb sind wir in Gesprächen, wie eine der Wirklichkeit entsprechende Bewertung und die pastorale Begleitung sich auch in liturgischen Formen zeigen können …

Konkret: Können homosexuelle Paare, die sich der katholischen Kirche verbunden fühlen, mit Ihrem Einverständnis gesegnet werden?

Im Moment ist das noch nicht möglich. Es geschieht manchmal, dass bei den privaten Feiern auch Geistliche einen Segen sprechen. Das wird sicherlich vorkommen.

Das Dauerthema zölibatäre Lebensformen von Priestern hat im Bistum eine neue Brisanz erhalten. Nach 40 Jahren als katholischer Geistlicher bat im Februar 2019 unmittelbar nach seiner Verabschiedung in den Ruhestand ein höchst anerkannter Meppener Geistlicher um seine inzwischen erfolgte Entpflichtung. Der Mann lebt jetzt mit einer verheirateten Frau aus dem Emsland, zusammen. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Meiner Meinung nach müssen wir die Verbindung von Zölibat und Priestertum bedenken. Ich kann mir vorstellen, dass es auch Priester mit Familie und Beruf gibt, ähnlich wie unsere Diakone, von denen einige verheiratet und berufstätig sind. Als „Priester mit Zivilberuf “ könnten sie die Eucharistie feiern und die entsprechenden priesterlichen Dienste verrichten. Das wird dem Papst wahrscheinlich von lateinamerikanischen Bischöfen bei der Amazonien-Synode im Oktober vorgeschlagen werden. Wir werden, wenn wir ordentlich Eucharistie feiern wollen, immer Priester brauchen. Das geht aber nicht nur allein über den bisherigen Weg. Der Zölibat soll seinen hohen, angemessenen Wert behalten, aber er sollte durch andere priesterliche Lebensformen ergänzt werden.

Angesichts des Priestermangels übernimmt im Bistum zum 1. Dezember erstmals eine Frau die Leitung einer Pfarrei in Bad Iburg, unterstützt von einem externen „moderierenden Priester“. Sie bleibt aber im Status einer hauptamtlichen Laiin, also einer pastoralen Mitarbeiterin, die nicht zum Priester geweiht wurde. Ist das schon die Lösung einer Zukunftsfrage oder nur ein Zwischenschritt? Was ist mit weiblichen Diakonen?

Bei der Bischofskonferenz fahren wir in der zuständigen Frauenkommission einen zweigleisigen Weg. Einmal sollen Frauen in Mitverantwortung und hohe Leitungspositionen gebracht werden. Ziel sind 30 Prozent bis zum Jahr 2023. Das Denken innerhalb einer Gruppe verändert sich immer erst, wenn mindestens ein Drittel „andere“ dabei sind, wenn also nicht nur Priester oder Männer die Entscheidungen fällen. Das zweite Gleis führt über die Frage nach dem Diakoninnenamt, das es in der Kirche in einer bestimmten Form schon gegeben hat. Das wäre auch eine Anerkennung, Wertschätzung und Statusveränderung von Frauen in der Kirche, die heute in sehr großer Zahl karitativ und diakonisch tätig sind.

Die Überschrift eines Artikels „Bischof Bode für mehr Frauen in Leitungsfunktionen und als Diakoninnen“ würde also stimmen?

Ja.

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