Dirk Bingener erinnert als neuer Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) daran, dass jede Generation neue Fragen stellt und darauf neue Antworten findet, und fordert dass man in den Jugendverbänden nicht über die Jugend spricht, sondern dass Kinder und Jugendliche für sich sprechen
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Dirk Bingener
Jugend und Kirche – passt das?
Seit 32 Jahren klingelt jedes Jahr am 27. Juni, an meinem Geburtstag, das Telefon und am anderen Ende der Leitung ist „der Bruder“ dran. Selbst 79 Jahre alt und ehemaliger Pastor meiner Heimatpfarrei im Siegerland. Alle nennen ihn nicht mit seinem richtigen Namen sondern eben nur „Bruder“. Er selbst bezeichnet sich mittlerweile als Opa des neu gegründeten Seelsorgebereichs und fährt mit dieser neuen Rolle ganz gut. Der Bruder gehört zu den wunderbar unaufgeregten Pastören, die es wohl nur im Paderborner Erzbistum gibt.
Nicht nur, aber auch wegen dieses Mannes, bin ich selbst Priester geworden. Er ist so etwas wie ein Vorbild für mich. Ich bin heute ganz anders Priester, seit einigen Wochen nun Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Aber die Erinnerung an die Zeit als Kind und Jugendlicher in der kirchlichen Jugendarbeit hilft mir, den Blick auf Wesentliches zu lenken. Und um es vorwegzunehmen: Auf die Frage so vieler, wie es die Kirche denn nun mit der Jugend hält: Selbstverständlich gehören Jugend und Kirche zusammen. Es stellt sich nur die Frage, wie das gelingen kann.
Es mag banal klingen, aber die 17 Jugendverbände und –organisationen im BDKJ mit ihren 660.000 Mitgliedern stehen Jahr für Jahr vor großen Herausforderungen, die im Kleinen bestanden werden wollen. Denn beispielsweise muss jedes Jahr jeder neue Wölfling in der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) neu lernen, wie man eine Jurte aufbaut, oder jede neue Leiterin bei der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) muss in der Gruppenleiterschulung neu lernen, was es zu bedenken gibt, wenn man eine Aktion für die Kinder und Jugendliche plant. Und jeder neue Hauptamtliche muss lernen, dass man in den Jugendverbänden nicht über die Jugend spricht, sondern dass Kinder und Jugendliche für sich sprechen, eigene Vertreterinnen und Vertreter wählen, ihr Recht wahrnehmen, dass jede Generation neue Fragen stellt und darauf neue Antworten findet.
Jugend und Kirche – Zeit und Vorbilder
Für all dies braucht es Zeit und Kontinuität. Nicht umsonst fordern wir nach all der zeitlichen Verdichtung der letzten Jahre endlich wieder mehr Freiräume in Schule, Ausbildung und Studium. Und neben aller Berechtigung von projekthaftem Arbeiten braucht es Kontinuität und damit Struktur. Eine längerfristige Bindung prägt eben anders, besonders da, wo es um Haltungen, um Werte, ja um Beheimatung geht.
Darüberhinaus weisen die Jugendverbände zu Recht darauf hin, wie viel ehrenamtliches Engagement in ihren Reihen steckt und wie sehr die Ausbildung Ehrenamtlicher und deren Wertschätzung im Mittelpunkt ihrer Bemühungen stehen. Ehrenamt braucht aber eben auch Hauptamt. Wir müssen daher Wege finden, wie sich die Akttraktivität kirchlicher Berufe wieder steigern lässt- Studium und Ausbildung von Pastoral- und Gemeindereferent/-innen und von Priestern gilt es praxistauglich zu verändern. Junge Menschen brauchen Perspektiven, um sich einen Beruf in der Kirche vorstellen zu können. Wer nimmt sich in der Kirche dieser Fragen eigentlich systematisch an? Der BDKJ wäre jedenfalls dabei, denn hier liegt ein Schlüssel zu der Frage, ob Jugend und Kirche zusammenfinden.
Jugend und Kirche – Werte und Authentizität
Junge Menschen haben einen tiefen Sensus für das Thema Gerechtigkeit. Also dafür, ob es in unserer Welt gerecht zugeht. Wo es darum geht, ungerechte Verhältnisse aufzudecken und neue Wege zu finden, da ist theologisch gesprochen, die prophetische Kraft der Jugend gefragt und im politischen Handeln der Jugendverbände sichtbar. Mit dem Handlungsprinzip U28 (kurz für „Unter 28-Jährige“), das politisches Handeln danach beurteilt, ob Entscheidungen der Politik dazu dienen, allen heute und in Zukunft lebenden Kindern und Jugendlichen gleiche, gute Lebens- und Teilhabechancen zu ermöglichen, bietet sich dem BDKJ ein guter Maßstab, um für die Interessen von Kindern und Jugendlichen in allen Politikbereichen einzutreten. Dass dieses Handlungsprinzip nicht an Ländergrenzen halt macht, liegt auf der Hand und bezieht aktuell das Schicksal insbesondere junger Geflüchteter mit ein.
Vor allem aber muss auch die Kirche Menschen gerecht werden. Aus Sicht junger Leute ist es nicht mehr hinnehmbar, dass man homosexuellen Menschen sagt, wir akzeptieren dich, deine Partnerschaft aber nicht. Genauso wie es nicht mehr hinnehmbar ist, dass Frauen von Leitung in der Kirche ausgeschlossen sind. Was spricht dagegen, bundesweit die Hälfte aller Leitungsstellen in den Ordinariaten der Bistümer mit Frauen zu besetzen? Wird die Kirche also ein authentischer Ort sein, in der sich junge Christinnen und Christen für ihre Werte einsetzen können?
Jugend und Kirche – Orte und Veränderung
Mit der vor wenigen Wochen verabschiedeten „Theologie der Verbände“[1] hat sich der BDKJ seiner Grundlagen und seiner Verortung in der Kirche vergewissert und deutlich gemacht, dass Jugendverbände Kirche sind, in denen junge Menschen ihre Sendung, ihr Apostolat auf ihre Art und Weise leben. Sie tun dies, wie es für sie attraktiv ist und mit den Prinzipien, die ihnen sinnvoll erscheinen: Lebendigem Glauben, Lebensweltbezug, Partizipation, Selbstorganisation, Demokratie, Freiwilligkeit und Ehrenamtlichkeit.
So sind sie in und außerhalb territorialer Strukturen Gemeinde. Was aber heißt es für das verbandliche Leben, wenn der Jugendverband, anders als früher, der einzige Ort ist, an dem Jugendliche Gemeinde und damit Kirche erleben? Oder auf der anderen Seite: Wie können sich Jugendverbände in die sich veränderten Strukturen der Kirche vor Ort einbringen, um so ihre Solidarität und ihr Interesse für den konkreten Sozialraum deutlich zu machen? Wenn der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki von der Erneuerung der Kirche spricht und an kleine christliche Gemeinschaften denkt, dann fallen mir jedenfalls sofort unsere Jugendverbandsgruppen ein, als konkrete Orte, den Glauben auf moderne Art und Weise in heutiger Zeit zu leben.
Eine Vielzahl von weiteren Fragen stehen an: Wird es beispielsweise gelingen, sich noch mehr für benachteiligte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu öffnen? Wie können Jugendverbände Milieugrenzen überwinden, um so sich von Neuen und Neuem verändern zu lassen? Eins ist jedenfalls sicher: In der Bearbeitung dieser Fragen und damit der Veränderung liegt die Chance hin zu einer Kirche, die wieder wachsen kann, die Zukunft hat, weil Jugend in ihr einen Ort hat.
Dirk Bingener (1972) wurde im April 2015 zum neuen Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) gewählt. Zuvor er Diözesanpräses des BDKJ Köln. Er studierte Theologie in Bonn und München und wurde 2000 zum Priester geweiht.
[1] Der Diskussionsbeitrag „Theologie der Verbände. Der Anteil der Verbände an der Sendung der Kirche“ steht unter http://www.bdkj.de/bdkjde/themen/theologie-der-verbaende.html zum Download bereit. Dort kann die Broschüre ebenfalls gedruckt bezogen werden