WEIHNACHTSWORT 2012

Klaus Mertes SJ teilt seine Gedanken zur Geburt Jesu.

Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.

Klaus Mertes SJ

Gedanken zu Weihnachten

1

Zu den tiefen Erfahrungen vieler Menschen aller Zeiten gehört der Anblick des Sternenhimmels. Mitten in der Nacht unter dem Sternenhimmel liegen, über die Größe des Weltraums nachdenken, die Entfernung der Sterne berechnen, die Kleinheit des Menschen in Raum und Zeit spüren.

Die Nacht ist auch die Zeit des Schlafes. Sie ist die Zeit, in der das Tagewerk aufhört. Auch die elektrischen Lichter in der Stadt vermögen die Dunkelheit nicht zu vertreiben.

Die Nacht steht auch für die Erfahrung des Finsternis, des Todes, der Blindheit. Vor der Stille der Nacht fürchtet sich, wer nicht schlafen kann, wer immer reden muss oder Unterhaltung braucht. Die Nacht steht für das Undurchdringliche, das Undurchschaubare, das, was wir nicht im Griff haben.

Die Nacht ist etwas Geheimnisvolles. Charles de Foucauld, der französische Marokko-Erforscher, schrieb 1883 noch in seiner atheistischen Phase, ergriffen vom Anblick des Sternenhimmels in der Wüste: „Der Mond steht mitten in einem völlig wolkenlosen Himmel und verbreitet mildes Licht. Die Luft ist lau und von keinem Windhauch bewegt. In der tiefen Ruhe, mitten in der zauberhaften Natur, erinnere ich mich an mein erstes Lager in der Sahara. In der Sammlung solcher Nächte begreift man den Glauben der Muslime an eine geheimnisvolle Nacht Leila el Kadr, in der der Himmel sich öffnet, die Engel auf die Erde hernieder schweben, das Meerwasser süß wird und die ganze unbelebte Natur sich neigt, um ihren Schöpfer anzubeten.“

Nebenbei: Der Anblick eines betenden Muslimen löste Foucauld´s Bekehrung zum Christen aus – ein Beispiel dafür, dass Religionen einander auch anders begegnen können als in form eines „Kampfes der Kulturen“.

2

Die Vorstellung, dass sich der Himmel in der Nacht, gerade und ausgerechnet in der Nacht öffnet, ist eine gemeinsame Vorstellung vieler Menschen und Völker. Engel steigen nächtens vom Himmel herab, dem Propheten wird der heilige Text diktiert.

Noch ein Zitat, diesmal aus der Bibel: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron.“ (Weish 18,14-15)

Damit komme ich zum nächsten weihnachtlichen Stichwort: Das Wort. In der Nacht wird ein Wort gesprochen. Das Wort, das in der christlichen Weihnacht gesprochen wird, ist aber eigentlich gar kein Wort, sondern ein lebendiger Mensch, ein Kind. Das ist eine erstaunliche Aussage. Man muss sie ganz ernst nehmen, wenn man sie verstehen will. Gott spricht nicht durch Worte, sondern durch einen Menschen, einen wehrlosen, unmündigen Menschen, verletzbar, zart, lebendig.

Man kann dieser Nacht und ihrem Wort schnell das Geheimnisvolle nehmen, indem man es erklärt: „Na klar,  iss doch klar, was gemeint ist: Gott wird Mensch, um uns dadurch etwas zu sagen.“ Aber das ist zu einfach. Es ist nicht in Ordnung, wenn Menschen für eine Lehre, einen Lehrinhalt instrumentalisiert werden.

Das „um zu“ ist schon das Problem; dass das alles an Weihnachten geschieht, „um zu …“ Mit dem „um zu“ ist das Ereignis schon entwertet. Es steht nur noch im Dienst einer Botschaft, einer message, einer abstrakten Aussage. Die könnte man auch einfacher haben.

Ein Kind zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht da ist, um zu … um mir etwas zu sagen, um mir irgendetwas einzureden, um mir etwas beizubringen. Ein Kind denkt gar nicht an „um zu“. Ein Kind ist einfach da. Und wenn es denn stimmt, dass Gott ein Kind wird, dann geht es eben um mehr als darum, dass er uns durch das Kind etwas sagen will. Er ist ein Kind, ein Mensch. Er will uns nichts sagen, sondern zuerst einmal da sein.

Und dadurch sagt Gott etwas.

Mehr als durch unser Sprechen sagen wir etwas über uns durch das, was wir sind. Das klingt abstrakt, ist aber ganz einfach zu verstehen:

Wenn ein Mensch weint, dann tut er es nicht, um uns damit etwas zu sagen. Es gibt natürlich auch Menschen, die weinen, um uns damit etwas zu sagen; aber das mindert die Glaubwürdigkeit ihres Weinens. Aber wenn er wirklich weint, dann deswegen, weil er trauert. Und mit dieser Trauer spricht er oder sie zu uns, absichtslos, und sagt uns etwas.

Wenn ein Mensch bewusstlos am Wegesrande liegt, dann will er uns damit nichts sagen; er sieht uns ja nicht einmal mehr und kann auch gar nicht sprechen; aber er spricht uns mit seiner Ohnmacht an; wir beugen uns hin, nehmen ihn auf unsere Schultern und tragen ihn zum nächsten Arzt.

So ähnlich ist es mit Weihnachten. Gott spricht durch das, was er ist, nicht durch absichtsvolle Worte. Wir sind angesprochen durch das, was wir sehen. Es ist also Hinsehen angesagt, wenn wir ermessen wollen, was da gesagt ist. Sprechen durch Sein ist eine viel tiefere Art des Sprechens als unser normales Alltagessprechen, so notwendig es im Alltag sein mag. In der Weihnacht spricht der Schöpfer durch das, was er ist – nicht durch Worte.

3

Noch ein weihnachtliches Motiv: Licht. Jeder Mensch hat eine Ausstrahlung – er sagt etwas von sich, bevor er oder sie den Mund auftut. Es gibt Menschen, die betreten den Raum, und es wird still. Andere gibt es, in deren Nähe man sofort Schuldgefühle bekommt. Andere machen Angst, andere sind wichtig für unsere Partys, weil sie gute Stimmung bringen – einfach durch die Art, wie sie da sind.

Die Ausstrahlung des Kindes der Weihnacht würde ich mit dem Wort „Fest“ beschreiben. Das Kind von Bethlehem strahlt Feststimung aus. Die Engel singen Gloria, die Hirten und die Weisen kommen und huldigen.

Es gibt einige, die sich durch dieses Fest sehr gestört, ja bedroht fühlen. Das wird sich im Leben Jesu fortsetzen. Überall wo er auftritt, werden Feste gefeiert. Es sind bewegende Feste, auf denen sich etwas tut. Die Menschen verändern sich, ihr Selbstbild, ihre Haltung gegenüber dem Leben. Seine Gegner spüren das genau und machen ihm deswegen Vorwürfe, unter anderen den, er sei ein „Fresser und Säufer“.

Gerade diese üble Nachrede enthält eine verlässliche Aussage über die Ausstrahlung Jesu. Er lässt sich sogar schließlich am Abend vor dem Tod nicht das Fest nehmen und feiert das letzte Abendmahl, in dem er seinen Tod als Fest des Lebens deutet. Die Nacht des Todes kann diese Ausstrahlung nicht mehr zum Erlöschen bringen.

Damit sind wir wieder beim Anfang angelangt, bei der Nacht. Die Nacht enthält ein Geheimnis, gerade unsere tiefste Nacht, die der Verzweiflung, des Sterbens, des Todes. In dieser Finsternis erstrahlt ein Licht, das stärker ist als der helle Tag unseres Alltags.

Gott spricht zur Welt durch das, was er ist – ein Mensch aus Fleisch und Blut, das Kind von Bethlehem, Jesus von Nazareth. Und dadurch – vor allem dadurch – kommt Bewegung in die Welt.

 

Klaus Mertes SJ (1954) ist Kollegsdirektor kam Kolleg St. Blasien. Er hat Slawisitik und Klass. Philologie in Bonn studiert und 1977 in den Jesuitenorden eingetreten. Anschließend studierte er Philosphie und kath. Theologie in München und Frankfurt a. M. und wurde 1986 zum Priester geweiht. Nach dem 2. Staatsexamen für Kath. Religion und Latein war er Lehrer an der St. Ansgar-Schule in Hamburg und am Canisius-Kolleg in Berlin, dessen er Rektor er 2000-2011 war. Klaus Mertes ist Mitglied im Zentralkommitte der dt. Katholiken und im Kuratorium Stiftung 20. Juli 1944

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