ÖKUMENE JETZT – WER WIR SIND UND WAS WIR WOLLEN

Norbert Lammert erläutert den Hintergrund der Initiative ÖKUMENE JETZT und die Motive der Erstunterzeichner.

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Norbert Lammert

Ökumene jetzt
Wer wir sind und was wir wollen 

Im Oktober dieses Jahres erinnern wir an den 50. Jahrestag der Eröffnung des zweiten vatikanischen Konzils. Dabei befinden wir uns längst in der oft genannten „Luther-Dekade“, in der wir den 500. Jahrestag der Reformation und die Bedeutung dieses Ereignisses für unser Land würdigen wollen. Zwei herausragende Ereignisse der Kirchengeschichte, mit nachhaltigen Folgen für Deutschland und weit darüber hinaus. Nicht nur für engagierte Christen sind dies hinreichende Anlässe, um sich mit der Frage zu beschäftigen, warum es überhaupt zur Trennung der Kirchen gekommen ist und ob es heute noch überzeugende, gar zwingende Gründe für die Aufrechterhaltung dieser Trennung gibt. 

Diese Fragen verbinden die Initiatoren des Aufrufes mit dem Titel „Ökumene jetzt: ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“, der Anfang September 2012 in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Als engagierte Christen beider Konfessionen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Sport und anderen gesellschaftlichen Bereichen sehen wir uns – trotz unterschiedlicher Berufe, Temperamente und Interessen – in der Pflicht, gemeinsam an der Debatte über die Zukunft unserer Kirche zu beteiligen. Viele engagierte Katholiken wie Protestanten registrieren mit Ernüchterung und Enttäuschung den als unzureichend empfundenen Fortschritt in der Ökumene. Wir glauben, dass die Zeit längst gekommen ist, für eine Veränderung zu sorgen. Ein Prozess, der im Übrigen vor Ort an der Basis viel stärker vorangetrieben wird, als die Kirchen ihn amtlich zur Kenntnis nehmen. 

Wir wollen nicht, dass nach den bevorstehenden Jubiläumsfeiern mit grandiosen Ausstellungen, hoch interessanten Symposien und vielen neuen Publikationen alles so bleibt, wie es vorher war. Dies ist das Anliegen unserer Initiative, die kein Verein und keine Organisation ist, sondern ein Zusammenschluss überzeugter Christen, die jeweils als Privatpersonen ihre Wahrnehmungen, ihre Erwartungen und ihre Hoffnungen auf diesem gemeinsamen Wege zum Ausdruck bringen wollen. Mit unserem Aufruf von dreiundzwanzig Erstunterzeichnern, katholischen wie auch evangelischen Gläubigen, wollen wir daran erinnern, dass „die Unterschiede“, die es zweifellos gibt, „die Aufrechterhaltung der Trennung nicht rechtfertigen“. 

Dass dies nicht nur möglich ist, sondern größtenteils der gelebten Realität entspricht, konnte in anschaulicher Weise die Vorstellung unserer Initiative im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz Anfang September zeigen. Thomas de Maizière, der derzeitige Bundesminister der Verteidigung, machte darauf aufmerksam, dass „je weiter unten, desto mehr das Gemeinsame, umso weiter oben, je mehr das Trennende betont wird.“ Daran knüpfte auch Eckhard Nagel an, der bei der Vorstellung der Initiative wiederholt daran erinnerte, dass beim zweiten Ökumenischen Kirchentag, an dem er als Evangelischer Präsident teilgenommen habe, beide Kirchenleitungen Fortschritte in einer Reihe von praktischen pastoralen Fragen zugesagt und in Aussicht gestellt haben, auf deren Umsetzung indes immer noch gewartet werde. Für Wolfgang Thierse, Bundestagsvizepräsident, ist der Aufruf als „Ausdruck unserer Ungeduld mit dem Zustand der ökumenischen Bemühungen“ zu verstehen. 

Besonders beeindruckend war die Bemerkung von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, dem früheren Präsidenten des Evangelischen Kirchentags, der als Erstunterzeichner des Aufrufes die Initiative als „einen neuen Sonnenaufgang“ bezeichnete. „Was aufhören muss, ist das dogmatische Schwert“, betonte bei dieser Gelegenheit Antje Vollmer, die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin. Auch wenn die Kirchen sich in den äußeren Formen wie auch im Verständnis mancher theologischer Inhalte voneinander unterscheiden, dürfe dies die Christen nicht länger daran hindern, gemeinsam die Kommunion oder das Abendmahl zu empfangen. Hans Maier, der langjährige Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, bemerkte in diesem Zusammenhang, dass es ihm „wichtig wäre, dass die Evangelischen ihre Katholizität entdecken und die Katholiken ihr evangelisches Potenzial“. 

Unser Appell richtet sich daher an beide Konfessionen, insbesondere aber an all diejenigen, denen die Zugehörigkeit zu ihrer Kirche und die Verbindung mit dem christlichen Glauben nicht nur ein zufälliges Merkmal, sondern ein persönliches Anliegen ist. Und er richtet sich sowohl an die Kirchenleitungen als auch an die Gemeinden, um die Ökumene gemeinsam weiter voranzutreiben. Insofern ist der Aufruf als eine Einladung zu verstehen, sich nicht nur an einer Initiative, sondern in erster Linie auch an einer Auseinandersetzung zu beteiligen, die wir für überfällig und notwendig halten. 

Deshalb bieten wir die Möglichkeit an, durch die eigene Unterschrift über die Webseite der Initiative den Aufruf persönlich zu unterstützen (www.oekumene-jetzt.de). Parallel dazu steht auch im Internet ein öffentliches Diskussionsforum zur Verfügung (www.kreuz-und-quer.de), in dem wir Stellungnahmen, Kritik und selbstverständlich auch Einwände, Hinweise, Erfahrungen wie auch konkrete Beispiele für gelebte Ökumene sammeln und vermitteln wollen, um auf diese Weise einen Anschub für weitere Veränderungen zu leisten. 

Die vielen Reaktionen, mehr als sechstausend Unterschriften innerhalb einer Woche, darunter auch bereits zahlreiche Unterstützer, die sich über die verschiedenen Medien zu Wort gemeldet haben, sind ein deutliches Indiz dafür, dass der gemeinsame Aufruf, den wir als eine Einladung zu einem Dialog über die heutige Lage der Kirchen verstehen, genau die breite Debatte innerhalb und außerhalb der Kirchen eröffnet hat, die wir gewünscht und auch erbeten haben. 

„Ökumene jetzt: ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“: Die Auseinandersetzung über die damit verbundenen Fragen und möglichen Antworten ist zweifellos erlaubt und auch überfällig. Und wenn wir uns mit dieser Frage nicht auseinandersetzen, in einem Jahr, in dem wir an 50 Jahre zweites vatikanischen Konzils zurückdenken und in einer Zeit, in der wir uns mitten in der „Luther-Dekade“ auf dem sicheren Weg in ein 500-jähriges „Jubiläum“ der Kirchenspaltung befinden, bleibt zu fragen, wann eigentlich sonst, wenn nicht jetzt. Und wer soll sich eigentlich sonst damit befassen, wenn nicht wir, die sich mit unseren jeweiligen Kirchen verbunden fühlen. 

Norbert Lammert gehört seit 1980  dem Deutschen Bundestag an und ist seit 2005 dessen Präsident. Von 1989 – 1998 war er Parlamentarischer Staatsekretär in den Bundesministerien für Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr und danach bis 2002 kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 2002 wurde er Vizepräsident des Deutschen Bundestages, seit 2001 ist er stv. Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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