DAS GEHEIMNIS DER ROTEN NASE

Eckart von Hirschhausen widmet sich in seinem Karnevalswort 2018 der kleinsten Maske der Welt und beschreibt die heilende Kraft des Humors.

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Eckart von Hirschhausen

Das Geheimnis der roten Nase

Sie ist die kleinste Maske der Welt. Sie passt in jede Hosentasche.  Und in jedes Gesicht.  Die rote Nase.  Ein kleines Requisit macht einen großen Unterschied. Das perfekte Design. Die rote Nase ist in ihrer ein­fachsten Form die einfachste Form: eine Kugel mit einem Schlitz. One size fits all. Unisex. Uni­versell. De­sign ist Kunst, die sich nützlich macht. Und mit der Nase darf man sich selber eine Form ge­ben, die unnütz sein lässt. Wenn ein Clown nicht scheitert, macht er etwas falsch.

Die Nase rückt etwas gerade. Gerade weil sie rund ist. Wer sie auf hat, nimmt sich selber auf den Arm. Und das ist ganz schön schwer, allein schon wegen der Schwerkraft. Manche können noch nicht mal ihre eigenen Mundwinkel heben, wegen der Erdanziehung. Das wirkt wenig anziehend. Dann doch lieber die Nase anzie­hen. Eine rote Nase verändert die Welt. Zumindest unsere Sicht darauf. Was nicht daran liegt, dass sie uns die Sicht versperrt. Ich habe mich einmal informiert, dass man sogar beim Autofahren ganz offiziell eine rote Nase aufhaben darf, solange sie nicht die Sicht versperrt. Aktenzeichen auf Anfrage.

Die rote Nase stammt aus der Commedia dell Arte. Der Clown war der Bauerntölpel, dem durch Sonne und Suff die Nase gerötet war. Sein Gegenspieler, der feine weiße Clown, blieb im Schatten und bleich. Der dumme rote August rebelliert. Der Weißclown korrigiert. Trieb gegen Kontrolle, Kind gegen Eltern, Leben gegen Tod. Ein altes Spiel. Und deshalb ist die Nase so ein tiefes Symbol und wirkt, ob im Zirkus oder im Krankenzimmer, beim Papst wie im Flüchtlingsheim, bei Jung und Alt, früher und im Moment. Das Leben ist schön. Nicht immer. Und auch nicht für alle. Aber es wird nicht besser, wenn wir verges­sen, dass wir Teil dieser Welt sind. Und uns verändern können.

Ich habe die rote Nase für mich entdeckt, als ich mich fragte, ob man Humor trainieren kann, als Hal­tung. Als Berliner und Protestant hab ich es ja echt nicht so mit Karneval und „aufgesetztem“ Lachen. Deshalb braucht es für mich immer noch jedes Mal ein bisschen Überwindung, mich zum Horst zu ma­chen. Aber es wird mit jedem Mal leichter! Kleiner Tipp: die Nase nicht vor die Nasenlöcher platzieren, sondern auf den Nasenrücken, dann bekommt man besser Luft. Der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können. Und die rote Nase ist rund, um uns an diese große Freiheit zu erinnern. Ge­rade wenn man die echte Nase echt voll hat.

Man kann über die Widersprüche des Lebens verrückt werden, verzweifeln oder man kann darüber la­chen. Was die Widersprüche nicht aufhebt. Aber man macht weniger Aufhebens darum. Dabei hilft un­gemein die­ser kleine rote Ball, aus Gummi oder Schaumstoff. Ohne Worte. Die Nase aufzusetzen ist al­bern. Aber wir hören nicht auf zu spielen, weil wir älter werden. Wir werden alt, weil wir aufhören zu spielen. Es ist ein magischer Moment der Verwandlung, die Nase aufzusetzen. Man macht sich ein Stück lächerlich. Das hilft einem selber – und anderen.

Mit meiner Stiftung HUMOR HILFT HEILEN bin ich angetreten, um heilsame Stimmung in ein kran­kes Gesundheitssystem zu bringen. Wir finanzieren Clowns auf Kinderstationen, in der Altenpflege und der Pal­liativmedizin. Wir pflegen Pflegekräfte mit Workshops zu Persönlichkeitsbildung, Stressabbau und authen­tischem Kontakt. Und wir untersuchen ernsthaft, warum Lachen die beste Medizin ist. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Clowns Kindern und Eltern die Angst vor einer Operation nehmen können, was sich sogar am Anstieg des Vertrauenshormons Oxytocin messen lässt. Über 10.000 Pflegekräften haben wir in Workshops für Teams und in Pflegeschulen bereits daran erinnert, dass „personalisierte“ Medizin, nicht nur Medika­mente braucht, sondern auch Persönlichkeiten, die um die Kraft von Zuwen­dung und Berührung wissen – um nicht zu sagen: um die Kraft von Glaube, Liebe und Hoffnung. Mich wundert, warum konfessionelle Häuser nicht klarer sich auf ihren Mehrwert besinnen, der nicht in der gleichen Ökonomisierung bestehen kann, wie bei den profitorientierten Anbietern. Wenn es eine frohe Botschaft im Christentum gibt, sollte man das den Mitarbeitern anmerken. Und dann dürfen alle, die den Erlöser bekennen, auch ein bisschen er­löster gucken!

Als ich eins unserer Team auf die Palliativstation begleitete, stand ich plötzlich vor einem bettlägerigen Mann, kaum älter als ich, der mit einer schweren Krebserkrankung um seine begrenzte Lebenszeit wuss­te. Ich erzählte ihm einen Witz: „Ein Mann springt mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug, zieht die Leine, nichts passiert. Er zieht die zweite Leine für den Rettungsschirm – wieder passiert nichts. Unge­bremst rauscht er dem Erdboden entgegen und denkt bei sich: „Das war´s jetzt“. Da plötzlich fliegt ihm von der Erde ein anderer Mann entgegen. Der Fallschirmspringer denkt bei sich: „Spinn ich jetzt – oder ist das mei­ne Rettung“. Er ruft dem anderen zu: „Reparieren Sie Fallschirme?“ Der andere ruft zurück: „Nee, Gaslei­tungen!“ Der Mann im Bett vor mir musste herzhaft lachen. Er verstand sofort die tiefere Dimension dieser Geschicht­e: Wir sind alle im freien Fall begriffen. Und dennoch gibt es Momente einer existentiellen Be­gegnung, in denen die Kategorien von Raum und Zeit aufgehoben sind. Humor, Musik und eine angst­freie, achtsame Form der Begegnung erleichtern diese Begegnungen. Und wenn es so etwas wie ein ewi­ges Leben gibt, dann hat es schon begonnen – sonst wäre es ja nicht ewig.

Die Heilkraft des Humors in den Alltag zu bringen, möge allen, die diesen Text lesen, auch außerhalb der Karnevalszeit gelingen. Dabei kann Ihnen eine rote Nase durch das Jahr helfen (wenn Sie keine pas­sende haben, finden Sie die und viele Infos über meine Stiftung auf www.humor-hilft-heilen.de)

Stress ist Stimmungskiller Nummer eins, und lange vor dem Burnout oder Herzinfarkt verliere ich die Freu­de und die Fähigkeit zum Mitgefühl. Beispiel Straßenverkehr. Auf der Bühne empfehle ich im Rah­men mei­nes medizinischen Kabaretts „Endlich!“ meinem Livepublikum immer, eine rote Nase im Hand­schuhfach des Autos zu deponieren. Denn bevor man durch die Scheibe fliegt, geht man durch die De­cke. Und da braucht es einen emotionalen Airbag. Du stehst im Stau. Du kannst nichts an der Situation ändern. Nur dei­ne Haltung. Nase aufsetzen. Anfänger gucken rechts und links. Profis gucken stur gera­deaus und stellen sich nur vor, wie blöd die anderen gucken!  Es funktioniert, probieren Sie es aus!

Neulich erzählte mir eine Zuschauerin, dass sie eine Nase ins Auto gelegt hatte und sich tierisch darüber aufregte. Sie wollte die Nase endlich mal ausprobieren, und merkte dadurch erst, wie lange sie OHNE Stau fährt. Endlich stockender Verkehr, ihre Chance. Sie setzt sich die Nase auf, schaut rechts und links –und entdeckt zwei Autos weiter noch jemanden mit einer roten Nase. Es werden immer mehr.  Eine an­dere Zu­schauerin schrieb, dass ihr der Motor an einer Ampel absoff. Der Wagen sprang einfach nicht wieder an. Der Typ hinter hier kam nicht vorbei und hupte und hupte. Geübte müssen die Nase nicht im Gesicht haben, es reicht, wenn man sie im Hinterkopf hat. Aggression nicht mit Gegenaggression beant­worten, sondern mit mentalem Judo. Die Frau stieg aus, ging zu dem Typen hin und beugte sich zu ihm nachdem er die Scheibe heruntergelassen hatte, und säuselte mit ihrer zartesten Stimme: „Sie als Mann verstehen sicher viel mehr von Autos als ich. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mein Auto zu starten? Ich hupe gerne in der Zwi­schenzeit für Sie weiter!“

Dr. Eckart von Hirschhausen (1967) studierte Medizin und Wissenschaftsjournalismus in Berlin, London und Heidelberg. Seit über 20 Jahren ist er als Komiker, Autor und Moderator in den Medien und auf allen großen Bühnen Deutschlands unterwegs. Hinter den Kulissen engagiert sich Eckart von Hirschhausen mit seiner Stiftung HUMOR HILFT HEILEN für mehr gesundes Lachen im Krankenhaus und bei Forschungs- und Schulprojekten.

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