„Wir vergeben und bitten um Vergebung“

Dr. Christoph Braß

Kurz vor dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, am 18. November 1965, erhielt die Deutsche Bischofskonferenz einen langen Brief von den polnischen Bischöfen. Deutschland hatte das benachbarte Land im Zweiten Weltkrieg furchtbar verwüstet. Bis zu sechs Millionen Polen wurden von der deutschen Besatzungsmacht umgebracht. Etwa die Hälfte davon waren Juden. Mehrere Tausend polnische Priester und fünf Bischöfe ließen ihr Leben in deutschen Vernichtungslagern.

Als gegen Ende des Krieges die Rote Armee nach Polen vorstieß, wendete sich das Blatt: Nun flüchten viele Deutsche vor allem aus Schlesien und anderen Teilen Polens nach Westen. Auch da gab es sehr viele Tote und unermessliches Leid. Nach dem Krieg waren die Gräben auf beiden Seiten tief. Außerdem regierte in Polen die kommunistische Partei, die eine Annäherung an Westdeutschland unbedingt verhindern wollte.

Auch vor diesen Hintergrund war der Schritt der polnischen Bischöfe mutig. Sie schrieben damals an die deutschen Bischöfe einen sehr langen Brief. Auf den ersten Blick war es eine Einladung an deutschen Amtsträger, zum 1000. Jahrestag der Christianisierung Polens zu kommen, den die polnische Kirche im Jahr darauf beging. Der Brief beschreibt die wechselvolle Geschichte des polnischen Volkes – von Hedwig von Schlesien, die aus Bayern stammte und den Deutschen wie den Polen heilig ist, bis zum Zweiten Weltkrieg, der mit dem brutalen deutschen Angriff auf Polen begann und mit der von der Sowjetunion betriebenen Westverschiebung Polens endete. Der Schlüsselsatz des Briefes lautet: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“

Am 5. Dezember 1965 antworteten die Deutschen Bischöfe. Wörtlich schrieben sie: „Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volke angetan worden. Wir wissen, dass wir Folgen des Krieges tragen müssen, die auch für unser Land schwer sind. Wir verstehen, dass die Zeit der deutschen Besatzung eine brennende Wunde hinterlassen hat, die auch bei gutem Willen nur schwer heilt.“ Wenige Zeilen weiter heißt es: „Wir sind dankbar, dass Sie neben dem unermesslichen Leid des polnischen Volkes auch des harten Loses der Millionen vertriebener Deutscher und Flüchtlinge gedenken.“ … „Christliche Liebe versucht, sich jeweils in die Sorgen und Nöte des anderen hineinzuversetzen und so Spannungen und Grenzen zu überwinden. Sie will den Ungeist des Hasses, der Feindschaft und des Revanchismus ausmerzen.“

Beide Briefe sind in Rom geschrieben worden.

Heute kann man sagen, dass dieser Briefwechsel ein wichtiger Schritt für die deutsch-polnische Aussöhnung war. Im folgenden Jahr nahm eine deutsche Delegation an der Feier des 1000. Jahrestages der Christianisierung Polens in Tschenstochau teil. Zwei Jahre später waren Christen aus Polen beim Katholikentag in Essen zu Gast. Als in Polen 1981 das Kriegsrecht verhängt wurde, um die Demokratiebewegung und die Gewerkschaft „Solidarność“ zu zerschlagen, kam es in der Bundesrepublik zu spontanen „Paket-Aktionen“. Allein im ersten Halbjahr 1982 wurden 4,5 Millionen Pakete über den eisernen Vorhang nach Polen befördert. Jenseits der bitter benötigten materiellen Hilfe war das ein starkes Zeichen der Verbundenheit zwischen den einstmals verfeindeten Völkern.

Die rechtskonservative polnische PiS-Partei forderte jetzt Reparationen von Deutschland – vermutlich aus eher innenpolitischen Gründen. Die Rede ist von 1,3 Billionen Euro. Dass die polnische Regierung in der Vergangenheit mehrfach auf Reparationsforderungen an Deutschland verzichtet hat, interessiert die PiS-Partei wenig. Aber man kann Ungleiches nicht aufrechnen, sondern nur demütig um wechselseitige Verzeihung bitten. Das wussten schon die polnischen Bischöfe von 60 Jahren.


Hier geht es zu den beiden Dokumenten: https://web.archive.org/web/20160608081051/http://enominepatris.com/deutschtum/geschichte/hirtenbrief.htm


Dr. Christoph Braß

Dr. Christoph Braß, Jahrgang 1967, ist einer der Redakteure von „kreuz-und-quer.de“ und war längere Zeit Vizepräsident des ZdK. Er war Abteilungsleiter Inland unter Bundespräsident Gauck.

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