Berührungsängste?

Dr. Christoph Braß

Zwischen der Union und den Kirchen hat es kurz vor der Bundestagswahl Irritationen gegeben. Friedrich Merz drang sehr deutlich auf eine schärfere Asylgesetzgebung und entsprechende Maßnahmen an den Grenzen. Nicht allen hat das gefallen. Auch die Kirchen widersprachen zum Teil dieser Lösung. In der politischen Kultur ist das eigentlich nichts Ungewöhnliches: Einer macht einen Vorschlag – und eine andere Gruppe kritisiert das oder weist darauf hin, dass das aus bestimmten Gründen nicht gehen kann. Eigentlich. Wenn die Kirchen ins Spiel kommen, ist das dennoch irgendwie anders. Zumindest bei der Union.

In der Literatur wird immer wieder fast reflexhaft die besondere Beziehung der CDU zu den christlichen Kirchen betont. Das „C“ als „Himmelsanker“ lautete die Überschrift eines Aufsatzes in der voluminösen Studie, die die Konrad-Adenauer-Stiftung zum 75. Geburtstag der CDU veröffentlichte. [1] Das ist schon fast poetisch. Aber ist das wirklich immer noch so? Einerseits bleibt in der CDU-Programmatik Gott auch in der Gegenwart auf sehr diskrete Weise präsent. Er ist ein Angebot, das sich nicht nur an die Christen richtet, sondern zum Beispiel auch an Muslime und Juden. Zugleich gelingt es der Partei, auch die wachsende Zahl derjenigen nicht vor den Kopf zu stoßen, die sich zwar von der diesseitsorientierten Programmatik der CDU angesprochen fühlen, in deren Lebensentwurf aber bei der Frage nach Gott eher eine Lehrstelle besteht. Man kann mit guten Gewissen in der CDU sein, ohne an Gott zu glauben. Die Union buchstabiert Gott nicht aus. Das ist vielleicht eines der Erfolgsrezepte der Union.

Wie schnitten CDU und CSU bezogen auf ihre Hauptwählergruppen bei der letzten Bundestagswahl ab? Die Union kam bekanntlich auf 28,5% der Stimmen und wurde wieder die stärkste Partei im Deutschen Bundestag. Die „Ampel“ wurde abgewählt. Zugleich war dies das zweitschlechteste Abschneiden in der Geschichte der Union. Die übrigen Ergebnisse: AfD 20,8%, SPD 16,4%, Grüne 11,6%, Linke 8,8%, FDP 4,3%.

Wenn man nur die Katholiken betrachtet, wählten sie zu 39% die Union. [2] Das sind über 10% mehr, als der Gesamtdurchschnitt der Wählerinnen und Wähler. Wenn die Katholiken alleine die Wahl zu entscheiden gehabt hätten, wären die Ergebnisse – abgesehen von der Union – wie folgt: AfD 18% (2% Prozent unter dem Gesamtergebnis), SPD 15% (1,4% unter dem Gesamtergebnis), Linke: 5% (3,8% unter dem Gesamtergebnis). Die Grünen wären bei 11% gelandet und die FDP bei 5%. Bei beiden gibt es keine erheblichen Veränderungen zum Gesamtergebnis.

Die protestantischen Wähler wählten dagegen „nur“ zu 29% die Union. Das ist ungefähr vergleichbar mit dem Bevölkerungsdurchschnitt, aber zugleich um 10%-Punkte niedriger als bei den Katholiken. Weitere Ergebnisse bei den Protestanten: SPD 20% (3,6% höher als der Bevölkerungsdurchschnitt), die AfD kam ebenfalls auf 20% (etwa das Gesamtergebnis), Linke 7% (1,8% schlechter als das Gesamtergebnis). Die Grünen und die FDP lagen auch hier dem Gesamtergebnis relativ nahe.

Und wenn nur konfessionslose Wählerinnen und Wähler abgestimmt hätten, wäre die AfD mit 24% der Stimmen die stärkste Partei im deutschen Bundestag geworden (3,2% über dem Gesamtergebnis). Die Union erhielte 22% (6,5% weniger als das Gesamtergebnis). SPD 14% (2,4% weniger als das Gesamtergebnis). Die Grünen würden sich auf 14% verbessern (Gesamtergebnis: 11,6%), die Linke sogar auf 12% steigern (Gesamtergebnis: 8,8%) und die BSW würde bei 6% der Stimmen liegen. Man könnte also sagen, dass – wenn es nur auf die konfessionslosen Wählerinnen und Wähler ankäme – der Bundestag noch viel gespaltener wäre, als er ohnehin ist: Einerseits eine  starke Zunahme bei der AfD und auf der gegenüberliegenden Seite ein Erstarken der Linken und beim BSW. Dagegen fielen die Union und auch die SPD deutlich zurück. Die Zunahme bei den Grünen würde die Zunahme bei den Rändern nicht ausgleichen.

Gerade heute kann man mit Recht sagen, dass die Kirchen und ihre Mitglieder wichtig sind gegen die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft. Natürlich gab es in der Geschichte der Union immer wieder deutliche Stimmen, das Christliche zu relativieren. Prof. Kurt Biedenkopf plädierte bereits um 1970 für eine Neuaufstellung der Partei und eine vorsichtige Distanz zum „C“: „Die christlichen Bekenntnisse sind keine wirksame Grundlage politischer Integration mehr.“ [3] Auch Kardinal Meisner schlug 30 Jahre später aus anderen Gründen in die gleiche Kerbe: Er plädierte für die Streichung des „C“ im Parteinamen, da unter anderem die Scheidung und Wiederverheiratung der evangelischen Kanzleramtskandidatin Angela Merkel nicht mit der christlichen Botschaft zu vereinbaren sei. [4] Nochmals 20 Jahre später stellte auch der Mainzer Historiker und CDU-Mitglied Prof. Andreas Rödder ebenfalls das „C“ im Parteinamen zur Disposition. Er befürchtete, dass es eine zu hohe Barriere für Nichtchristen bilden könnte. Nach einigen Debatten konnte er sich mit dieser Meinung allerdings nicht durchsetzen.

Das „C“ ist offenbar auch heute immer noch mehr als eine bloße Wertezuschreibung für die Union. Wie stark das Christliche akzentuiert sein sollte, darüber streiten sich auch die Geister in der Union. In den 1950er Jahren konnte man davon ausgehen, dass die Hälfte der Katholiken den Sonntagsgottesdienst besucht. Heute kommen wir auf 6,2% bei den Katholiken; [5] bei den evangelischen Mitchristen dürfte diese Zahl noch deutlich geringer sein. Obwohl die Kirchenbesuchszahl in beiden Konfessionen massiv schwindet und es – aus verschiedenen Gründen – seit Jahren zahlreiche Kirchenaustritte gibt, hält sich offenbar ein vages Verständnis von „Christlichkeit“ im vorpolitischen Raum. Die Union wäre gut beraten, dies nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Das heißt nicht, dass es in allen Punkten immer Konsens geben kann. Aber auch der Widerstreit der Meinungen ist ein urdemokratisches Prinzip.


[1] Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. Herausgegeben von Norbert Lammert. München 2020. Darin: Antonius Liedhegener: Das „C“ als „Himmelsanker“ oder: Warum die CDU der Säkularisierung trotzt. S. 421-468.
[2] Die nachstehenden Zahlen sind entnommen aus: https://www.sonntagsblatt.de/artikel/glaube/mehr-cdu-weniger-afd-so-haben-christinnen-bei-der-bundestagswahl-gewaehlt (03.04.2025)
[3] Liedhegener: S. 450.
[4] Siehe: https://www.domradio.de/artikel/kirchenbeauftragter-der-union-teilt-meisners-position-nicht-0
[5] Deutsche Bischofskonferenz, Statistische Daten 2023, https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2024/2024-110a-Kirchenstatistik-2023.pdf

 


Dr. Christoph Braß, Jahrgang 1967, ist einer der Redakteure von „kreuz-und-quer.de“ und war längere Zeit Vizepräsident des ZdK. Er war Abteilungsleiter Inland unter Bundespräsident Gauck.

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