Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr
Deutschland ist bei der Fußballweltmeisterschaft ausgeschieden. War es Pech oder mangelhafte Vorbereitung? – Das müssen andere entscheiden. Jedenfalls hat man den Eindruck, dass hierzulande die Frage, wie es Katar mit den Menschrechten hält, kaum noch jemanden interessiert. Das ist einerseits schade – und zugleich irgendwie typisch. Der Ball ist rund…
Im Vorfeld der Weltmeisterschaft haben manche Initiativen und sogar Fans dazu aufgefordert, die Spiele in Katar nicht anzuschauen. Und tatsächlich hielten sich einige daran. Katar, das Austragungsland, kleiner als Hessen, ein Emirat, das durch Gas und Öl reich geworden ist, hält von Menschenrechten wenig. Die Katarer wollten sich für den erwarteten Ansturm von Fans, Funktionären und Fernsehanstalten nicht die Hände schmutzig machen. Arbeitsmigranten aus Bangladesch und Nepal, Indien und vielen afrikanischen Staaten haben sich bei 50 Grad in der glühenden Sonne buchstäblich totgeschuftet. Sie haben hitzegeschützte Stadien und klimatisierte Hotelanlagen für das Fußballweltereignis errichtet.
Angekündigte Reformen, mit der der internationale Fußball einen Hauch von Rechtsschutz ins Land bringen sollte, werden bislang kaum umgesetzt. Menschenrechtsorganisationen berichten seit Jahren von Folter und willkürlicher Verhaftung. Die Diskriminierung von Frauen durch ein überliefertes System männlicher Vormundschaft bleibt dagegen oft im Schatten der Aufmerksamkeit, trotz vereinzelter Fortschritte.
Zudem führt Russland Krieg gegen die Ukraine und dreht den westlichen Unterstützerstaaten den Gashahn zu. Bei der Suche nach Alternativen für russisches Gas und Öl wird unsere Politik auf einmal großzügig.
Der Emir des Golfstaates, Tamim bin Hamad al Thani, hat immer wieder darauf verwiesen, dass die Fremden die Kultur seines Landes zu achten hätten – als ginge es um ein paar Kleiderordnungen und nicht um Freiheitsrechte oder gar um Menschenwürde, die keine Hierarchien kennt. „Der Sport darf nicht moralisiert werden“ ist ein anderer Einwand, der auch von deutschen Sportfunktionären oft zu hören ist. Sie zeigen sich nachdenklich und reden mittlerweile sogar von einem Hilfsfonds, der die Baustellenopfer und ihre Familien unterstützt.
In der Tat werden dem Fußball oft viele Themen aufgelastet, die zwar auf der Tribüne immer wieder zum Ausdruck kommen, aber ihre Wurzeln woanders haben: Rassismus, Antisemitismus, Frauenverachtung entstehen keineswegs in Nordkurven. Sie sind schon da und können im Fußball vielleicht leichter kollektiv ausgelebt werden.
Dagegen steht aber auf der anderen Seite wieder die Frage, was die Substanz einer Fußballweltmeisterschaft jenseits des Spiels eigentlich ausmacht: Die gigantische Geldmaschine des internationalen Fußballs, die nicht nur den Sport, sondern die Begeisterung der Fans und die Hochleistungssportler längst rücksichtslos kommerzialisiert, hat die sportliche Dimension des Sports selbst unterworfen. Da ist von Korruption und einer fast totalitären Organisation des Fußballs noch gar nicht die Rede.
Sportereignisse bringen in den Austragungsländern die Freiheit voran: Dieser Glaubenssatz ist fürs erste leider widerlegt. China und Russland, Olympia in Peking und Olympia in Sotschi – fast zynisch wirkt dieses Argument angesichts der Entwicklungen innerhalb dieser beiden Länder. Innerhalb von Monaten wurden in Russland Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Wissenschaftsfreiheit mehr oder weniger abgeschafft und aus der Feier der Völkerfreundschaft bei den Spielen wurde ein hässlicher Krieg, der sich nicht nur gegen die Ukraine richtet.
Neben der Boykottbewegung, die aus der Zivilgesellschaft kommt, braucht es aber auch eine Debatte über nachhaltige Veränderungen: Sponsorenschaft könnte etwa künftig an ethische und menschenrechtliche Mindeststandards gebunden werden. Die Finanzierung internationaler Sportereignisse durch deutsche und internationale Firmen müsste geächtet werden, wenn diese Standards nicht eingehalten werden. Das ist keine Moralisierung des Sports, sondern die tatkräftige Erinnerung an die Standards, die man sich selbst einmal gegeben hat.
Wer sich mit den ethischen Fragen rund um die Weltmeisterschaft beschäftigt, stellt fest, dass die hässliche Seite der Globalisierung in Katar nur einen symbolischen Ort findet. Eigentlich wollte man über Fußball reden – und landet zum Beispiel bei Lieferketten. Plötzlich werden Zusammenhänge sichtbar, die die eigene Verantwortung nicht kleiner werden lassen. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen. Und nach dem frühen Ausscheiden unserer „Elf“ haben wir jetzt dafür tatsächlich Zeit…
Der vorstehende Beitrag ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung eines Artikels, die vor einiger Zeit bei „Christ & Welt“ erschienen ist. Link: https://www.zeit.de/2022/44/wm-katar-2022-fussball-fifa-kritik
Dr. Petra Bahr ist evangelische Regionalbischöfin in Hannover und Mitglied des Deutschen Ethikrats. Von 2014 bis 2017 leitete sie in der Konrad Adenauer Stiftung die Hauptabteilung Politik und Beratung. (Foto: Jens Schulze, Sprengel Hannover)