KIPPA,KREUZ UND INTEGRATION

Christina Albrecht-Eisel kritisiert das Fehlen grundlegender Informationen über Christentum, Judentum und Religionsfreiheit in den offiziellen Curricula für Integrationskurse.

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Christina Albrecht-Eisel
Kippa, Kreuz und Integration

Die undifferenzierte Kritik breiter Teile unserer Gesellschaft an Israel mit ihren teilweise rassistischen antisemitischen Anwürfen wirft immer wieder ein Schlaglicht auf gravierende Defizite im Bereich einer werteorientierten politischen Bildung in unserem Land. Den Scheinwerfer dabei nur auf antisemitische Demonstrationen einer radikalisierten Minderheit unter den Geflüchteten und Migranten in unserem Land zu richten, um damit von Defiziten innerhalb der deutschen Gesellschaft abzulenken, wäre unangemessen. Rechtsextremismus und Antisemitismus sind ebenso wie Verrohung und ein zunehmender Mangel an Empathie im Umgang miteinander leider auch Bestandteil von Teilen unserer deutschen Gesellschaft.

Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass es bei Teilen der Zuwanderer insbesondere aus dem Nahen und Mittleren Osten zumindest unterschwellig antijüdische Vorbehalte gibt – diese Vorurteile ebenso wie antizionistische Ressentiments sind ihnen von klein auf anerzogen worden. Antizionismus ist obligatorischer Bestandteil der Bildung in vielen Heimatländern der Migranten und Geflüchteten aus dem Nahen und mittleren Osten und Teil des dortigen Curriculums im Bereich Staatsbürgerkunde. Gespräche mit Teilnehmern der für Zuwanderer in Deutschland obligatorischen Deutschkurse, den sog. Integrationskursen, machen dies sehr deutlich: Betont wird dabei von der überwiegenden Mehrzahl der Teilnehmer stets, sie hätten nichts gegen Juden generell und hätten in ihren Heimatstädten, z.B. Aleppo, stets friedlich sowohl mit ihren jüdischen als auch christlichen Nachbarn zusammengelebt.

Deutlich wird ein zumindest unterschwelliger Antisemitismus aber spätestens im abschließenden Modul der Integrationskurse „Leben in Deutschland“ mit Basisinformationen über Gesellschaft, Politik und Geschichte Deutschlands. Kommt das Gespräch im Unterricht in diesem Zusammenhang beispielsweise auf das Existenzrecht Israels als Teil der historischen Verantwortung Deutschlands, stößt man als Lehrender zunächst meist auf betretenes Schweigen und im weiteren Verlauf teils auf Unverständnis, oft auch auf unverhohlene Ablehnung.

Das ausführliche Gespräch mit den Teilnehmern darüber zu suchen und dabei Informationsdefizite bzw. Falschinformationen über Judentum und Israel zu beheben und Vorurteile abzubauen, wäre unbedingt nötig. Ebenso wäre es natürlich unabdingbar, die Teilnehmer dieser Kurse über jüdisches Leben in Deutschland heute zu informieren. Das Curriculum des Moduls „Leben in Deutschland“ des Bundesamtes für Migration (BAMF) sieht aber eine derartige Unterrichtseinheit überhaupt nicht vor:

In den Modulen des Deutschunterrichts, die diesem Abschlussmodul vorausgehen, finden sich zwar die Begriffe Kirche, Moschee, Ramadan, Zuckerfest, Opferfest  sowie die christlichen Feiertage Weihnachten und Ostern – samt Weihnachtsbaum und Osterhase in den Texten der Lektionen bzw. im obligatorischen Lernwortschatz. Das Wort „Synagoge“ hingegen findet sich in den vom BAMF für die Integrationskurse vorgesehenen Deutschlehrbüchern über den gesamten Verlauf des Deutschunterrichts (immerhin bis zu 12 Module a 1200 Stunden!) nicht. Auch den Begriff „Kippa“ sucht man in den Unterrichtsmaterialien zur Integration vergebens. Dabei wäre gerade die Thematisierung dieser Begriffe im Rahmen eines kulturellen Integrationsprozesses angesichts der Anfeindungen, denen unsere jüdischen Mitbürger auch von Teilen der muslimischen Zuwanderer im Alltag leider häufig ausgesetzt sind, unabdingbar.

Erst im Abschlussmodul der Integrationskurse „Leben in Deutschland“ mit politischen Basisinformationen wird zumindest der Begriff „Synagoge“ in Zusammenhang mit einer Kurzinformation über die Reichspogromnacht erst-und letztmalig genannt. Grundinformationen über das Judentum und kulturelles jüdisches Leben generell (wie z.B. Feiertage im jüdischen Festtags- und Jahreszyklus wie Jom  Kippur, Chanukkah etc.) fehlen. Selbst der Begriff Pessah – auf dem ja immerhin unser christliches Osterfest fußt – kommt nicht vor.

Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass didaktische und methodische Hinweise zum Thema „Judentum und jüdisches Leben in Deutschland“ in den BAMF-Schulungsseminaren, deren Besuch für Lehrkräfte in Integrationskursen als Qualifikation obligatorisch ist, nicht gegeben werden. Die fehlende Qualifizierung von Lehrkräften in Integrationskursen seitens des BAMF beim Lerninhalt „Religiöse Toleranz“ als Basis unserer jüdisch-christlichen Wertegemeinschaft geht aber noch darüber hinaus: Auch grundsätzliche Inhalte zum Christentum, seinen Symbolen und Feiertagen kommen nicht vor.

Es findet sich zwar immerhin das Wort „Kirche“ im Lernwortschatz, den Begriff „Kreuz“ sucht man hingegen im gesamten Curriculum des Deutschunterrichts über alle 12 Module vergebens. Die in Integrationskursen einzusetzenden Lehrbücher benennen als Symbole für das Osterfest nicht etwa das Kreuz, geschweige denn den Zusammenhang zwischen Ostern und Pessah. Erwähnt werden lediglich Osterhase und Ostereier als konstituierende kulturelle Inhalte des höchsten christlichen Festes – nebst einem „Backrezept für den Osterzopf“ als Lerninhalt …

Diese inhaltsmäßige Verkürzung wie auch die Nichtbenennung des Wortes „Kreuz“ gilt offenbar als probates Mittel zur Vermeidung eventueller Konflikte mit Muslimen in den Sprachkursen, denn schon die reine kulturelle Sachinformation über Kreuz und Auferstehung als Kerninhalt der Religion „Christentum“ rührt an ein muslimisches Kerntabu schlechthin. Die daraufhin ausbrechende Empörung unter den orthodoxen Muslimen in Sprachkursen zu kanalisieren, ist konfliktreich und mühevoll – buchstäblich „ein Kreuz mit dem Kreuz“! 

Aber man darf diesem Konflikt nicht aus dem Weg gehen. Die Intention, quasi durch „Totschweigen“ von Kernbegiffen aus dem jüdisch-christlichen Kulturkreis Konflikte mit den muslimischen Teilnehmern der Integrationskurse zu verhindern und ihnen die Zumutung des Lernhalts „Toleranz“ in Form der Auseinandersetzung mit konträren Glaubensinhalten zu ersparen, hat gravierende Folgen, nicht zuletzt auch für einen andauernden Kursfrieden unter den Teilnehmern: Unter ihnen finden sich nämlich auch bekennende Christen, so etwa Kopten aus Ägypten, Aramäer und syrisch-orthodoxe Christen aus dem Irak und Syrien ebenso wie orthodoxe Christen aus Eritrea. Oftmals sind sie zunächst traumatisiert ob der erlittenen religiösen Verfolgung in ihren Heimatländern und selbst noch in manchen Flüchtlingsunterkünften in Deutschland.

Als Ausdruck ihrer Freiheit in ihrer neuen Heimat Deutschland tragen sie oftmals Holzkreuze um den Hals und trauen sich nach einiger Zeit sogar, sie offen über dem Kragen zu zeigen – gelebte Religionsfreiheit in unserer Gesellschaft. Das stößt bei ihren muslimischen Kurskollegen allerdings meist auf Befremden. Spätestens dann müsste im Kursgespräch das Gespräch auf religiöse Toleranz als Prinzip unserer Gesellschaft kommen. Dies ist erforderlich, um nicht nur die Frage zu beantworten, „wie denn das Ding da um den Hals“ auf Deutsch heiße, sondern auch zu erklären, was es symbolisch und kulturell für deren Träger bedeutet.

Das Benennen religiöser Symbole und Begriffe aus dem christlich-jüdischen Kulturkreis und deren Erklärung im Curriculum des Deutschunterrichts gäbe Gelegenheit, religiöse Toleranz und Respekt für Andersgläubige zu thematisieren, zu vermitteln und gegebenenfalls auch einzufordern. Für eine derartige Vermittlung bedürfen die betreffenden Lehrkräfte neben einer entsprechenden didaktischen Qualifikation unabdingbar auch des Wissens um die entsprechenden religiösen Inhalte – und sei es auch nur als Basis für die selbstbewusste Vermittlung der jüdisch-christlichen Kultur, auf der wir selbst in einer teils postchristlichen und säkularen Gesellschaft fußen.

Wenn wie geschehen, Lehrkräfte „Fronleichnam“ lediglich als Datum für einen kursfreien Feiertag als „Frohnleichnam“ an die Tafelschreiben, und die daraus resultierende Frage der Teilnehmer nach der Bedeutung dieses Feiertages nicht beantworten können („Warum ist die Leiche von Jesus froh?!“)  ist das nicht nur ein Ausweis kultureller Inkompetenz. Derartige Defizite führen auch dazu, dass Lehrkräfte in Integrationskursen als kulturelle Brücken im Integrationsprozess nicht ernstgenommen werden. Respekt setzt neben Vertrauen in die kulturelle Kompetenz des Gegenübers auch das Wissen um dessen kulturelle Inhalte voraus.

Zur Informationsvermittlung über Religion und Kultur des jeweils anderen gehört im Sinne einer gelungenen Integration beim Thema „Freiheit der Religionsausübung“ auch der Aspekt, dass diese immer sozial eingebunden und von daher auch beschränkt sein kann. Wenn manche muslimische Teilnehmer in Integrationskursen als Ausweis ihrer Dominanz gegenüber den Andersgläubigen im Kurs dazu tendieren, jeden Satz, den sie an die Tafel schreiben oder sprechen, mit „Bismillah!“ (Im Namen Gottes) zu kommentieren, kann es durchaus vorkommen, dass andere Kursteilnehmer – selbst muslimische – darauf mehr als reserviert reagieren. Sie bitten dann darum, das Wort „Allah“ im Kurs nicht mehr ständig  zu nennen. Dem Zwang, sich ständig auf Gott zu berufen, seien sie unter den Taliban oder als Yeziden unter dem IS gerade entkommen. Sie könnten und wollten bei den Gräueltaten, die sie erlebt hätten, nicht mehr an die Existenz Gottes glauben. Auch dieser Haltung gilt es, mit Respekt zu begegnen und zu verdeutlichen, dass die Freiheit des religiösen Bekenntnisses in unserem Grundgesetz auch das Recht beinhaltet, die Existenz Gottes abzustreiten.

Ein weiterer, damit verknüpfter Aspekt bedarf ebenfalls der Thematisierung im Verlauf des sprachlichen und kulturellen Integrationsprozesses: Nicht umsonst findet sich in der Präambel unseres Grundgesetzes – konträr zum Staats-und Gesellschaftsverständnis der Heimatländer der muslimischen Zuwanderer – nicht etwa der Terminus „Im Namen Gottes!“. Dem Geist unseres Grundgesetzes gemäß findet sich dort vielmehr die Formulierung „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Diesen Unterschied zu vermitteln ist schwierig und konfliktreich, denn auch unser an dieser Norm orientiertes Staatsverständnis mit seiner tragenden Säule der Bekenntnisfreiheit rührt an muslimische Tabus. Ohne die Bereitschaft, dies nicht lediglich zähneknirschend zu ertragen, sondern vielmehr positiv aufzunehmen und zu gestalten, ist aber ein friedliches und gedeihliches gesellschaftliches Miteinander letztlich nicht möglich. 

Anfeindungen gegenüber Nichtmuslimen und deren Beschimpfung als „Ungläubige“ oder „dreckige Juden“ sind diskriminierend und rassistisch. In Integrationskursen, die in ihrem letzten Modul aus guten Gründen auch grundlegende Informationen über unsere Verfassung und Historie beinhalteten, sollte nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es im Sinne des gesellschaftlichen Friedens und toleranten Zusammenlebens Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen. Diese Klarstellung muss von Anfang an in gebotener Deutlichkeit erfolgen und eben nicht erst im letzten Modul der Integrationskurse. Sie müsste sich vielmehr über den gesamten Prozess der sprachlichen Integration erstrecken und ihre Fortsetzung auch im Rahmen der anschließenden beruflichen Integration in den vom BAMF neu eingerichteten „Berufsförderkursen“ zum weiteren Ausbau des Spracherwerbs finden.

Damit der Integrationsprozess gelingt, bedarf es dringlich einer qualifizierteren kulturellen Schulung der betreffenden Lehrkräfte in Integrationskursen durch das BAMF und auch einer entsprechenden Überarbeitung der kulturellen Inhalte der dort eingesetzten Unterrichtsbücher. 

Christina Albrecht-Eisel (1958) ist freiberufliche Diplom-Übersetzerin für Türkisch und Indonesisch und seit vielen Jahren als Lehrerin mit den einschlägigen Qualifikationen in Sprach- und Integrations­kursen für Migranten und Geflüchtete tätig.

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