Gerda Hasselfeldt wirbt als Präsidentin des Deutschen Roten Kreuz für ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement und ein soziales Jahr.
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Gerda Hasselfeldt
Ehrenamt macht glücklich
Häufig ist davon die Rede, dass die meisten Menschen angeblich immer nur an sich selbst denken und Deutschland von Egoisten geprägt sei. Diese negative Einschätzung deckt sich jedoch nicht mit meinen Erfahrungen als Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass in Deutschland die Bereitschaft, sich über alle Altersgruppen hinweg ehrenamtlich zu engagieren, sehr groß ist. Vor allem auf lokaler Ebene bildeten sich bundesweit viele Initiativen in der Nachbarschaftshilfe, um Risikogruppen in der Quarantäne mit Lebensmitteln oder Medikamenten zu versorgen. Auch zahlreiche Ehrenamtliche des DRK waren und sind während der Corona-Pandemie sehr engagiert, um anderen Menschen zu helfen. Das reicht von der direkten Nachbarschaftshilfe bis hin zu Betreuungsangeboten für Menschen in Quarantäne per Telefon oder der Unterstützung in Corona-Teststationen.
Grundsätzlich machen wir beim Deutschen Roten Kreuz seit Jahren die erfreuliche Erfahrung, dass die Zahl der Ehrenamtlichen steigt. Bundesweit sind derzeit mehr als 443.000 ehrenamtliche Helfer beim DRK engagiert. Das ist der höchste Stand seit fast 20 Jahren. Viele machen freiwillig bei der Wasserwacht, der Bergwacht, den Bereitschaften, dem Sanitätsdienst, dem Jugendrotkreuz, den Freiwilligendiensten im In- und Ausland oder bei der Begleitung von Demenzkranken, der Integration von Flüchtlingen oder in anderen Bereichen der Wohlfahrts- und Sozialarbeit mit. Die Möglichkeiten beim Deutschen Roten Kreuz sind also breit gefächert. Bei der Bergwacht, die in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert, gibt es sogar Wartelisten – hier sind die Anforderungen an qualifizierte Bergretter außerdem extrem hoch.
Von den 443.300 aktiven Mitgliedern im DRK gehören allein rund 139.100 dem Jugendrotkreuz an. Es gibt jedoch nicht nur viele junge Menschen, sondern auch zahlreiche rüstige Senioren, die ihre Erfahrungen einbringen wollen. Wir sind also eine Gesellschaft, in der Hilfsbereitschaft durchaus vorhanden ist – und dies nicht nur kurzfristig und auf ein bestimmtes Projekt bezogen.
Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen für das Gemeinwohl engagieren: Sie wollen etwas Gutes tun, das Sinn stiftet, das Gemeinschaftsgefühl weckt und das eigene Selbstbewusstsein stärkt. Darüber hinaus schafft ehrenamtliches Engagement soziale Kompetenzen und macht viele ganz einfach glücklich. Für den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft ist ehrenamtliches Engagement jedenfalls extrem wichtig.
Dazu zählt auch die Tätigkeit in den Freiwilligendiensten. Das DRK bietet allein im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) 12.000 Plätze an – mehr als jeder andere Wohlfahrtsverband. Hinzu kommen rund 3.000 Plätze beim Bundesfreiwilligendienst (BFD). Die Tätigkeit im FSJ und im BFD ist für viele vor allem nach der Schulausbildung die erste Erfahrung von gesellschaftlichem Engagement und führt vielfach anschließend zu ehrenamtlicher Tätigkeit oder zu einer Ausbildung im sozialen oder im gesundheitlichen Bereich, in dem noch auf Jahre hinaus ein großer Personalmangel herrscht. Deshalb ist es wichtig, freiwilliges und ehrenamtliches Engagement attraktiver zu machen. Dazu gehören zum Beispiel ein höheres, bundesweit einheitliches Taschengeld, vergünstigte oder kostenlose Tickets in Bahnverkehr und ÖPNV in allen Bundesländern sowie eine höhere Anrechnung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch an die Anerkennung bei Studienplatzvergabe und Ausbildungen ist zu denken. Diskussionswürdig ist außerdem ein Rechtsanspruch auf einen Platz im Freiwilligendienst. Denn in manchen Regionen gibt es mehr Bewerber als Plätze.
Unter soziologischen Aspekten ist das freiwillige Engagement in Deutschland allerdings sehr ungleich verteilt. Immer noch unterrepräsentiert sind zum Beispiel Menschen mit geringerer formaler Bildung, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen. Um Barrieren abzubauen und das Recht auf Engagement für jeden zu ermöglichen, müssen wir Wege finden, dies zu ermöglichen.
Gerade in Ausnahmesituationen, wie derzeit durch Covid-19, wird deutlich, wie wichtig die soziale und gesundheitliche Infrastruktur in Deutschland ist. Dabei geht es nicht nur um die angemessene finanzielle Ausstattung der Träger, sondern auch um adäquates Personal. Nachwuchsgewinnung ist daher für viele Träger von existenzieller Bedeutung. Die Freiwilligendienste bieten hierfür eine gute Chance, junge Menschen an soziale und gesundheitliche Berufe heranzuführen und sie für Krisen- und Katastrophensituationen einsatzfähig zu machen.
Um jungen Menschen die grundsätzliche Bedeutung von gesellschaftlichem Engagement näher zu bringen, wird auch wieder über ein Pflichtjahr nachgedacht. Ein solches Pflichtjahr würde ermöglichen, in Krisenfällen wie der Corona-Pandemie Personal rekrutieren zu können. Allerdings braucht es dazu noch grundlegende Diskussionen. So gibt es dabei zum Beispiel auch erhebliche verfassungs- und völkerrechtliche Bedenken.
Alles in allem müssen wir jungen wie älteren Menschen noch stärker als bisher das Gefühl geben, dass sich gesellschaftliches Engagement in Deutschland lohnt. Vielleicht kommen wir eines Tages so weit, dass jemand, der kein soziales Jahr gemacht hat, ein Defizit verspürt.
Gerda Hasselfeldt (1950) war von 1989 bis 1991 Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie von 1991 bis 1992 Bundesgesundheitsministerin. Von 2005 bis 2011 bekleidete sie das Amt der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, dem sie von 1987 bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 angehörte. Zuletzt war die Diplom-Volkswirtin Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Seit Dezember 2017 ist sie Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes.