FÜR EINE EUROPAARMEE ALS ZIEL

Stephan Eisel plädiert für eine gemeinsame europäische Armee als eigenständige  europäische Institution, die nicht auf dem Prinzip nationaler Abordnungen basiert.

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Stephan Eisel

Für eine Europaarmee als Ziel

Die europäische Sicherheitspolitik steht vor neuen Herausforderungen, die im üblichen Ta­gespragmatismus nicht zu bewältigen sein werden. So wie die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik durch die Vision und Einführung des Euro einen Quantensprung erlebt hat, so bedarf die europäische Sicherheitspolitik einer Vision: Die Europaarmee.

Zu diesem langfristigen Ziel haben sich im Frühjahr 2015 erneut EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier bekannt. Freilich bleibt die Debatte um eine Konkretisierung bisher im Vagen. Dabei gilt wie für alle großen politischen Vorha­ben: Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht finden. Die folgenden fünf Thesen be­schreiben wesentliche Leitplanken für den Aufbau einer Europaarmee.

1) Europäische Selbstbehauptung bedarf einer gemeinsamen Europäische Armee.

Die Motivation der Gründergeneration „Nie wieder Krieg! Nie wieder Diktatur!“ war Begrün­dungs- und Erfolgsmaßstab für die europäische Einigung. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Westen des Kontinents manifestiert ihren ersten Erfolg. Frieden und Demo­kratie auch in Mittel- und Osteuropa ist als zweites großes Ziel ebenfalls verwirklicht, wenn auch nicht ungefährdet: das haben und der Kosovo-Krieg 1998/1999, der Kaukasus-Krieg um Georgien 2008 und die Ukraine-Krise mit der militärischen Annexion der Krim durch Russ­land 2014 deutlich vor Augen geführt.

Nach der Selbstfindung der Europäer durch die Verankerung von Frieden und Freiheit auf dem eigenen Kontinent ist die Selbstbehauptung Europas in der zusammenwachsenden Welt die neue Notwendigkeit und zusätzliche Legitimation der europäischen Einigungsbewegung.

Uns Europäern muss im Zeitalter der Globalisierung klarer werden, dass wir nur ein kleiner Teil dieser Welt sind. Heute leben nur etwa 7,5 Prozent der Weltbevölkerung in den Mitglied­staaten der Europäischen Union. 2050 werden wegen des unterschiedlichen Bevölkerungs­wachstums nur noch rund 4 Prozent der Menschheit Europäer sein.

Wir Europäer haben als kleine Gruppe in der Weltgesellschaft nur dann eine Chance, unsere Werte, unsere politische Kultur, unsere Lebensweise und unseren Wohlstand zu bewahren, wenn wir politisch noch mehr zusammenrücken und noch enger zusammenarbeiten. Dabei ist die Sicherheitspolitik nach allen Maßstäben des Subsidiaritätsprinzips unzweifelhaft eine ge­meinsame europäische Aufgabe. Sie ist allein national nicht zu bewältigen. Wenn sich Eu­ropa an der Lösung globaler Sicherheitsfragen nicht beteiligt, marginalisiert es sich zudem selbst.

2) Wir brauchen eine Europaarmee zum Schutz vor Terror und Völkermord.

Ohne konkrete Instrumente wie eine Europaarmee bleibt europäische Sicherheitspolitik letzt­lich eine Theorie ohne reale Bedeutung. Das ist umso gefährlicher als die traditionell nationa­len Armeen obliegende Grenzverteidigung längst nicht mehr die einzige Herausforderung für europäische Sicherheitspolitik ist. Hinzugetreten, sogar dominierend sind die Bedro­hungen des internationalen Terrorismus sowie brutalste Angriffe auf Zivilisation und Menschenrecht­e, die nicht zuletzt zu massiven Flüchtlingsströme auslösen. Europa wird sein eige­nes Grund­werteverständnis nur dann glaubwürdig behaupten können, wenn es sich bei der grundlegen­den Verletzung dieser Grundwerte auch außerhalb Europas nicht einfach abwen­det.

Die neuen Bedrohungen unserer Sicherheit ignorieren traditionelle geographische Grenzlini­en, sie marschieren nicht ein, sondern tauchen plötzlich im Kernland auf. Terroristische Ag­gression richtet sich längst weniger gegen Einzelne, sondern hat vielmehr die Destabilisierung ganzer Staaten zum Ziel. Aber auch die Bedrohung z.B. durch Raketen aus diktatorischen Ländern, denen es nicht um Eroberung geht, sondern nur um Vernichtung, kennt den Grenz­konflikt nicht.

Deshalb kann man diesen Gefährdungen unserer Sicherheit auch nicht einfach nur durch den Schutz unserer Grenzen begegnen, sondern muss sie durch das Einschreiten gegen Bedro­hungsursachen am Ursprungsort bekämpfen. Dabei ist die beste Terrorbekämpfung der Auf­bau von Wohlstand und Demokratie. Dies bedarf aber der militärischen Absicherung, weil Terroristen genau diesen Aufbau mit aller Gewalt verhindern wollen. Wir brauchen eine Eu­ropaarmee gegen militärisch-terroristische Angriffe ebenso wie für den notwendigen Schutz zivilen und humanitären Engagements vor Ort.

3) Ohne Europaarmee bleibt die transatlantische Brücke brüchig

Alle Schritte zu einer vertieften gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik sind als Stär­kung der transatlantischen Gemeinschaft anzulegen. Die transatlantische Sicherheitsbrücke NATO hat zur Zeit im Blick auf die Kapazität zur Sicherheitsgewährleistung für die Bürger einen stabilen nordamerikanischen Pfeiler und einen eher sich als lockeren Steinhaufen prä­sentierenden europäischen Pfeiler.

Dies sichert der Brücke keine dauerhafte Stabilität. Die Diskussion um ein gerechtes „burden sharing“ führt ohne eigene europäische Militärkapazität in die Sackgasse einer asymmetri­schen Aufgabenteilung: Die einen schicken Soldaten, die anderen Geld. Diese Spannung hält die transatlantische Brücke auf Dauer nicht aus. Deshalb ist eine Europaarmee als Festigung des europäischen Pfeilers ein entscheidender Beitrag zur Stabilität der transatlantischen Brücke. Dabei soll eine Europaarmee nationale Armeen nicht ersetzen, sondern als eigenstän­dige Einheit ergänzen.

4) Die Europaarmee soll eine Armee der Bürger Europas sein

Als Konglomerat der Abordnung nationaler Militärkontingente würde die Europaarmee ihre Aufgaben nicht erfüllen können. Wir brauchen eine eigenständige europäische Institution ent­sprechend z.B. der Europäischen Zentralbank. Alle EU-Bürger sollen sich für die Europaar­mee bewerben können. Vorausgesetze Qualifikation könnte z.B. die Grundausbildung durch mindestens zweijährige Zugehörigkeit zu einer nationalen Armee sein.

Die Bürger, die bei entsprechender Qualifikation der europäischen Armee angehören, dürfen ebenso wenig wie die Beamten der EU-Kommission nationaler Weisung oder nationalem Zu­griff unterliegen. Nationale Regierungen dürfen ihre Bürger an der Mitwirkung ebenso wenig an der Zugehörigkeit zur Europaarmee hindern wie z. B. an der Arbeit in der Europäischen Zentralbank. Es geht hier nicht um das Prinzip nationaler Abordnung, sondern um den Grund­satz bürgerschaftlicher Eigenverantwortung.

Die inneren Strukturen der europäischen Armee müssen demokratietauglich sein und vom Prinzip des Staatsbürgers in Uniform ausgehen. Über den Einsatz der Europaarmee entschei­det folgerichtig das Europäische Parlament als Vertretung der Bürger Europas. Aus dem na­tionalen sollte also ein europäischer Parlamentsvorbehalt werden.

Deshalb setzt eine Europaarmee setzt auch gemeinsame europäische Sicherheitsinstitutionen voraus: Einen vollwertigen Verteidigungsausschuss im Europäischen Parlaments zur demo­kratischen Kontrolle des Militärapparats, eine europäische Militärakademie zur Ausbildung der Führungskräfte, ein europäisches Lufttransportkommando als Voraussetzung für die Er­reichbarkeit von Einsatzgebieten außerhalb der EU-Außengrenzen, eine stärkere europäische Verteidigungsagentur zur effizienten Beschaffung von Waffen- und Ausrüstung sowie die auch militärische Nutzung z. B. des europäischen Navigationssystems GALILEO zur eigen­ständigen Aufklärung usw..

5) Die Europaarmee ist das nächste große Europaprojekt

Die europäische Einigung wurde immer von zunächst visionären, oftmals als unerreichbar verspottetem Zielen vorangetrieben: Dem Abbau der Grenzen und den Wegfall der Grenzkon­trollen, der Direktwahl des Europäischen Parlaments und der konsequenten Ausweitung sei­ner Rechte, der völligen Niederlassungsfreiheit für alle EU-Bürger, der Einführung des Bin­nenmarktes mit seinen einheitlichen Standards und zuletzt der Einführung der einheitlichen Währung mit einer unabhängigen Zentralbank.

Solche weitreichenden Integrationsprojekte verdeutlichen den Bürgern über den Tagesprag­matismus hinaus die Wichtigkeit des weiteren Zusammenwirkens Europas. Die Europaarmee eignet sich auch interpretationspolitisch als nächstes großes europäisches Projekt, weil es unterschiedliche Handlungsfelder umfasst, einen Lösungsweg für immer deutlicher wer­dende Sicherheitsgefahrenlagen aufzeigt und europäisches Handeln für die Bürger demons­triert.

Der unvermeidliche Diskussionsprozess ist gewollt, denn er rückt die europäische Politikebe­ne ins Blickfeld. Die Größe der Aufgabe entspricht der historisch einmaligen Qualität der eu­ropäischen Einigung.

Dr. Stephan Eisel (1955) war als Mitglied des Deutschen Bundestages bis 2009 Mitglied im Euro­paauschuss und u. a. 1983- 1992 zunächst als Redenschreiber und dann als stv. Leiter des Kanzlerbü­ros Mitarbeiter von Helmut Kohl. Seit 2010 ist er in der Konrad-Adenauer-Stif­tung Projektleiter für „Internet und Demokratie“ soiwe „Bürgerbeteiligung“. Er ist verant­wortlicher Redak­teur des Blogs für politisches Handeln aus christlicher Verantwortung kreuz-und -quer.­de

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