Stephan Eisel analysiert den überwältigenden Wahlsieg der Union und die politischen Folgen des Wahlergebnisses.
Den folgenden Beitrag können Sie hier ausdrucken.
Stephan Eisel
Ein Wahlergebnis voller Ambivalenzen
Das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 ist ohne Zweifel ein großer Erfolg für die Union und ein persönlicher Triumph für ihre Spitzenkandidatin Angela Merkel. Mit zusammen 41,5 Prozent der Stimmen haben sich CDU und CSU neu als Volksparteien etabliert. Nach 1953 mit Konrad Adenauer (+14,2 Prozent) erzielten sie den zweithöchsten Zuwachs in ihrer Geschichte (+7,7 Prozent). Zum letzten Mal hatte die Union 1994 über 40 Prozent der Stimmen erreicht (41,5 Prozent). Sie hat jetzt eine Serie von drei Bundestagswahlen mit Stimmenverlusten eindrucksvoll beendet.
Dennoch ist das Wahlergebnis keineswegs so eindeutig wie es auf den ersten Blick erscheint:
- Die Union steht vor einer schwierigen Koalitionsbildung mit nicht nur parteistrategischen, sondern auch demokratiepolitischen Konsequenzen:
- Eine großen Koalition zwingt nicht nur zu schwierigen inhaltlichen Kompromissen, sondern ihr fehlt auch die Herausforderung einer starken Opposition. Mit FDP, AfD und Piraten wäre eine außerparlamentische Opposition nur unwesentlich schwächer als die parlamentarische Opposition aus Linken und Grünen.
- Dass die CDU in einer schwarzgrünen Koalition CSU und Grüne zusammenführt, ist aus inhaltlichen Gründen deshalb schwer vorstellbar, weil die aktuelle Führung der Grünen um Jürgen Trittin die Partei inhaltlich nach links gerückt hat.
Beide Konstellationen stehen unter dem ständigen Drohpotential
eines Koalitionswechsels zu einem rot-rot-grünen Bündnis.
- Die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag ermöglicht eine Koalition zwischen SPD, Grünen und Linken. Es ist offenkundig, dass die SPD diese Option immer weniger ausschließt und teilweise sogar anstrebt. Schon werden zeitliche Perspektiven für eine solche Bündnisbildung genannt, grundsätzlich lehnt auch die SPD-Führung eine solche Koalition auch auf Bundesebene offenbar nicht mehr dauerhaft ab.
- Das schlechte Ergebnis der Grünen ist offenbar auch ein Votum gegen die alte Führungsmannschaft um Jürgen Trittin. Zugleich kommen die Grünen durch das Ausscheiden der FDP in eine neue Schlüsselrolle bei Koalitionsbildungen: Für die Union entwickelt sich Schwarzgrün zur einzigen Alternative zu einer Großen Koalition. Umgekehrt entscheiden die Grünen auch darüber, ob die SPD den Weg zu einer Rot-Rot-Grünen Koalition mit der Linken fortsetzen kann. Für die Grünen steht die Grundsatzentscheidung der Positionierung in der Parteienlandschaft an. Vielleicht hat eine neue Führung dazu die Kraft.
- Für die FDP ist das Wahlergebnis ein existenzbedrohendes Desaster. Erstmals ist sie nicht im Bundestag vertreten. Nur in neun von sechzehn Landtagen hat sie die 5-Prozent-Hürde überwunden. Sie ist nur in der sächsischen Landesregierung vertreten. Ein vollständiger Wechsel im Führungspersonal ist unvermeidbar. Da die FDP die letzten Wahlen mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz immer aus Koalitionen mit der Union verloren hat, ist absehbar, dass sie nach neuer Unabhängigkeit strebt, um ihre Bedeutung in wechselnden Koalitionen wiederzuerlangen.
- Wähler sind selbstständiger als manche Parteistrategen vermuten: Der FDP-Versuch einer Leihstimmenkampagne ist im Blick auf die Zweitstimme dramatisch gescheitert. Das „Gegengeschäft“ des Erststimmenaufrufs für die CDU-Kandidaten wurde von Wählern besonders dort deutlich abgelehnt, wo es von FDP-Ministern durch örtliche Absprachen fast formalisiert wurde: In Bonn (Westerwelle), Heidelberg (Niebel) und Münster (Bahr) betrug der Erststimmenzuwachs für die CDU weniger als die Hälfte des Erststimmenverlustes der FDP. Im Bundesdurchschnitt gewann die CDU ohne solche konkreten Vereinbarungen fast 80 Prozent des Erststimmenverlustes der FDP.
- Die Protestparteien in Deutschland wechseln immer schneller einander ab. In den Bundestag schafften sie es mit Ausnahme der Linkspartei nicht, aber bei Landtagswahlen erzielten diese Protestparteien teilweise erhebliche Erfolge: Nach NPD (1966-69), Republikanern (1989-96), DVU (1990/91 und 1997/98), Linkspartei (2007-10) und Piraten (2011/12) bindet nun die „Alternative für Deutschland“ unabhängig vom jeweiligen Programm ein erhebliches Protestpotential.
- Ob sich die „Alternative für Deutschland“ vom Sammelbecken des Protests zu einer nachhaltigen politischen Kraft entwickelt, ist offen. Bei der Bundestagswahl sprach sie jedenfalls mit einem eher diffusen Programm völlig unterschiedliche Wählergruppen an. Von der FDP kamen 450.000 , von der Linken 360.000, von CDU/CSU 300.000, aus dem Nichtwählerlager 240.000, von der SPD 180.000 und von den Grünen 100.000 Stimmen.
- Erfreulich sind sowohl die Bedeutungslosigkeit rechtsextremistischer Parteien als auch die Stimmenverluste von -3,3 Prozent für die Linke mit ihrer Kommunistischen Plattform und ähnlichen undemokratischen Strukturen.
- Nicht zufrieden stellen kann die Wahlbeteiligung: Sie stieg nur unwesentlich um 0,8 Prozent auf 71,5 Prozent. Das ist der zweitschlechteste Wert seit 1949. Auch im europäischen Vergleich ordnet sich Deutschland dabei eher im unteren Bereich ein. In diesem Jahr lag bei nationalen Wahlen die Beteiligung nur in Tschechien (61,2) niedriger, in Italien (75,1), Norwegen (78,2), Island (81,1) und Zypern (83,1) aber höher.
- Eine besondere demokratiepolitische Herausforderung ist die Tatsache, dass Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind, noch nie so viele Stimmen bekommen: haben. Auf die „Sonstigen“ entfielen insgesamt 15,7 Prozent der Stimmen (FDP 4,8; AfD 4,7; Piraten 2,2; NPD 1,3; Freie Wähler 1,0; weitere 1,7). Einschließlich der Nichtwähler sind 24,4 Mio wahlberechtigte Bürger nicht im Parlament vertreten, auf die Parlamentsparteien entfielen 36,8 Mio Stimmen. So nahe lagen diese Zahlen noch nie zusammen.
Dr. Stephan Eisel (1955) ist ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages und verantwortlicher Redakteur des Blogs für politisches Handeln aus christlicher Verantwortung kreuz-und -quer.de