Hermann Kues antwortet auf die Kommentare zu seinem Artikel „Christliche Politik – ein klassisches Konzept muss neu definiert werden“.
Die mehrfache Empfehlung, eher von „christlich orientierter“ denn von „christlicher“ Politik zu reden, sollte beherzigt werden. Politik und Religion dürfen sich nicht gegenseitig überfordern. Christliches Engagement ist auch – worauf einige Kommentatoren hinweisen – nicht an eine Partei gebunden. Die großen „Lebensschutz“-Debatten im Deutschen Bundestag wurden dementsprechend von parteiübergreifenden Initiativen getragen. Dass die CDU dennoch eine besondere Verantwortung dafür trägt, ihre christliche Tradition neu zu definieren, bleibt dabei unbenommen.
Es darf auch nicht das Missverständnis entstehen, christlich orientierte Politiker nähmen gesellschaftliche Entwicklungen vom ‚Shopping am Sonntag’ bis hin zur aktiven Sterbehilfe klaglos hin. Ich stimme mit den Kommentatoren darin überein, dass es eine zentrale Aufgabe des Politikers ist, Überzeugungsarbeit für seine Positionen zu leisten und sich fatalen Entwicklungen in den Weg zu stellen. Deshalb habe ich – gemeinsam mit vielen anderen – gegen die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik und gegen die Stichtagsregelung bei der Stammzellforschung gestimmt.
Allerdings: Für Überzeugungen zu werben und sie letztlich mehrheitsfähig zu machen ist in erster Linie Aufgabe der Religions- und Überzeugungsgemeinschaften, letztlich der Bürgergesellschaft selbst. Sie kann nicht an die Politik delegiert werden. Was nicht in den Überzeugungen der Menschen ‚geerdet’ ist, lässt sich in einer demokratischen Gesellschaft nicht verordnen. Insofern ist die Idee des ‚breiten gesellschaftlichen Konsenses’ zu verteidigen. Mega-Aufgaben wie die Energiewende, die Gestaltung des demografischen Wandels, die Stabilisierung der Europäischen Gemeinschaft, die soziale Grundsicherung sind nur zu stemmen, wenn es in den ‚großen Linien’ auch eine generelle Übereinstimmung über die Parteien und gesellschaftlichen Gruppen hinweg gibt. Das schließt keinen politischen Streit aus, er findet aber auf der Grundlage gegenseitiger Wertschätzung statt.
Was die Würde des Kompromisses angeht, so sollten wir uns vor einer verkürzten Sicht hüten. Wo gehandelt und gefeilscht wird – und auch das gehört legitimerweise zum politischen Leben – muss gelegentlich auch das kleinere, eben noch vertretbare Übel gewählt werden, will man das Erreichbare nicht gefährden. Was ich mit der „Würde des Kompromisses“ meine, geht aber darüber hinaus. Kompromissfähig sein heißt für mich in erster Linie: Die mögliche Fehlerhaftigkeit ebenso ins Kalkül zu ziehen wie die Möglichkeit, dass sich andere Positionen als überlegen, der Sache angemessener und lösungsorientierter erweisen können. Der jüdische Philosophen Avishai Margalit hält allein schon die Idee des Kompromisses für etwas Wertvolles, für einen Ausdruck der Humanität. In seinem Sinne wünsche ich mir eine christlich orientierte Politik, die keineswegs auf eigene Überzeugungen verzichtet, aber essentiell von der Neugier auf andere Überzeugungen und deren Begründung getragen wird.
Abschließend: Etliche Kommentatoren meines Beitrags wünschen sich eine gesellschaftlich engagierte Kirche. Das finde ich ermutigend. Ob da derzeit zu wenig, gerade genug oder gar schon zu viel geleistet wird, mag dahin gestellt bleiben. Für mich bleibt Joseph Höffner, der frühere Kölner Kardinal und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, eine Leitfigur von hoher Aktualität. Er meldete sich mit durchaus unbequemen christlichen Positionen zu Wort, besaß zugleich aber hohe Sachkunde in ‚irdischen Fragen’ und ergriff da Partei, wo er sich auch im Detail auskannte.
Die Kirche in Deutschland ist – im Vergleich zu den meisten anderen Ländern – reich. Wenn sie diesen Reichtum einsetzt, um die Gesellschaft mit fundierten Anregungen und wegweisenden Initiativen ihrerseits zu bereichern, wenn sie sich dort einsetzt, wo sich die Gesellschaft als matt, ideenlos oder erschöpft präsentiert, so ist das ein großer Gewinn.