Johannes Dickhut-Bielsky plädiert dafür den Wert des Gymnasiums selbstbewusster herauszustellen und Angriffen nicht defensiv entgegenzutreten.
Den folgenden Beitrag können Sie hier ausdrucken.
Johannes Dickhut-Bielsky
Von der Defensive in die Offensive
Überlegungen zur Diskussion ums Gymnasium
„Das Gymnasium ist die mit Abstand erfolgreichste Schulform in unserem Lande!“ Eine solch enthusiastische und absolut gesetzte Aussage mag in der bildungspolitischen Diskussion auf Befremden stoßen; meines Erachtens jedoch auf ein Befremden, das weniger aus einer zu beweisenden Fehlerhaftigkeit der Aussage selbst als vielmehr aus ihrer Un-Gehörtheit resultiert. Der ‚Kampf‘ um das Gymnasium wurde von dessen Befürwortern in der Vergangenheit viel zu oft aus der Defensive heraus geführt.
Ich halte diese Verteidigungstaktik für wenig zielführend. Defensive heißt in erster Linie, die Angriffe des Gegners frühzeitig zu erkennen, um diese erfolgreich abzuwehren. Ein gutes Beispiel für die Problematik dieser Taktik ist der Satz: „Wir sind für den Erhalt der Gymnasien!“ Mit diesem Satz legitimiere ich bereits die Forderung der Gegner nach der Abschaffung dieser Bildungsinstitution. Es versteht sich von selbst, dass eine öffentliche Debatte nur dann erfolgreich zu bestreiten ist, wenn Argumente des Gegners bekannt sind, um auf diese adäquat reagieren zu können. Jedoch haben sich zu viele, gerade im christdemokratischen Milieu, zu wenig Gedanken über eine schlüssige und erfolgversprechende Offensivstrategie gemacht. Hier will ich mit den folgenden Überlegungen anknüpfen.
Dabei ist klar, dass das Folgende keinen abschließenden Charakter haben kann. Vielmehr geht es um Anregungen für die Diskussionen, die nach wie vor aktuell sind, wenn nicht gar aktueller denn je.
Der Erfolg des Gymnasiums
Das Gymnasium steht in einer langen Geistestradition der ganzheitlichen Bildung und hat das Ziel, Schülerinnen und Schüler auf das Hochschulstudium vorzubereiten. Bei allen Veränderungen, denen das Gymnasium in den letzten Jahrzehnten unterworfen war, hat es an diesem Anspruch festgehalten und zum größten Teil auch erfüllt. Die größte Ungerechtigkeit in unserem Bildungssystem war (und ist zum Teil heute noch) die soziale Undurchlässigkeit. Die Institution Gymnasium kann in diesem Bereich Fortschritte vorweisen, wenngleich es weiterhin Anstrengungen bedarf. Dennoch bleibt unter dem Strich festzuhalten:
(1) Die Qualität der Gymnasien ist allen ernstzunehmenden Untersuchungen nach international wettbewerbsfähig.
(2) Das Gymnasium orientiert sich nach wie vor an ganzheitlichen Bildungsidealen, wobei die Ergänzung um naturwissenschaftlichen Schwerpunkt eine Bereicherung darstellt.
(3) Die Gymnasien bieten mit dem Abitur nach wie vor eine adäquate Vorbereitung auf das Hochschulstudium.
(4) Das Gymnasium hat sich allen sozialen Schichten geöffnet und bekennt sich in Theorie und Praxis zur Leistungsauswahl.
Ja zum Dualismus
Die Verteidigung des Gymnasiums lief häufig nach der Devise: Wir verteidigen das dreigliedrige Schulsystem, denn damit verteidigen wir auch das Gymnasium. Warum wählte man diese Argumentation? Sie entlastet davon, den Wert des Gymnasiums als solchen herauszustellen; fürchtete man doch den Vorwurf des bildungsbürgerlichen Dünkels, der keine Empathie für die ‚Abgehängten‘ entwickelt. Häufig erlebte man aus diesem Grunde gar ein starkes Eintreten für den Erhalt der Hauptschule. Ob es hierbei tatsächlich immer um die Hauptschule und nicht allzu oft ums Gymnasium ging?
Die Verteidigungsstrategie erlebte dort seine Risse, wo die Dreigliedrigkeit bröckelte. In dieser Situation geht es nun nicht mehr um den Erhalt mehrerer Schulformen, sondern um den Wert des Gymnasiums auf der einen und ‚allem anderen‘ auf der anderen Seite. An diesem Punkt setzt der Angstreflex vor dem Vorwurf des bildungsbürgerlichen Dünkels ein: Wenn ich sage, das Gymnasium ist für die ‚klugen‘ Kinder da, setze ich mich dem Vorwurf aus, alle anderen Kinder als ‚dumm‘ abzustempeln. Hier fehlt Mut. Ja, das Gymnasium geht nicht davon aus, dass sich der eigene Anspruch mit den Begabungen, Neigungen und Voraussetzungen aller Kinder in unserem Land deckt. Mit diesem Argument gewinnt man selbstverständlich nicht unbedingt bildungstheoretische Debatten. Jedoch darf die Beobachtung Mut machen, dass die übergroße Mehrheit in unserem Land – ihrem gesunden Menschenverstand folgend – dieser Einschätzung zustimmen können. Es gilt also, die Herausforderungen dieser Debatte anzunehmen, indem der Wert und die Vorteile des Gymnasiums besser herausgearbeitet werden. Dabei hilft eine Stärkung der bereits oben erwähnten Leistungsauswahl, unabhängig von der sozialen Herkunft. Denn wenn diese an unseren Schulen Realität ist, werden die Gegner des Gymnasiums in die Defensive getrieben.
Kampf gegen die schleichende Abschaffung des Gymnasiums
In einigen Bundesländern erleben wir derzeit den Versuch der Abschaffung des Gymnasiums durch die Hintertür. So führt der unter anderem in Berlin von der SPD geforderte Einheitslehrer dazu, dass einer entscheidenden Legitimationsgrundlage des Gymnasiums der Boden entzogen wird. Auch eine Schlechterstellung des Gymnasiums bei der Finanzierung des Ganztagsbetriebs kommt schleichenden Abschaffungstendenzen gleich. Wer das Gymnasium stärken will, muss sich bereits an diesen Punkten in die bildungspolitische Debatte einbringen.
Deutungshoheit zurückgewinnen
Gerade die bildungspolitischen Debatten werden von den Befürwortern des Gymnasiums vernachlässigt. Es genügt nicht, erst ganz zum Schluss auf die Barrikaden zu gehen. Es gilt, die Deutungshoheit über die Bildungspolitik zurückzugewinnen. Dabei hilft es, eigene Initiativen einzubringen. Vorschläge, wie bspw. die soziale Durchlässigkeit noch erhöht werden kann, müssen zum Alltag gehören. Erst wenn alle beteiligten Akteure begreifen, dass es den Gymnasiumsbefürwortern um die Weiterentwicklung und Verbesserung der schulischen Realität und nicht nur um die einfache Verteidigung einer angeblich überkommenen Bildungsinstitution geht, werden deren Argumente ernstgenommen.
Sprachlosigkeit überwinden
Die Bildungsdebatten der vergangenen Jahrzehnte war geprägt von Sprachlosigkeit: Lehrer verstehen Bildungsforscher nicht, Eltern fühlen sich gegenüber der Bildungsverwaltung nicht sprachfähig, Politiker sehen in Bildungseinrichtungen Instrumente der Sozialpolitik. Diese Aufzählung ist beliebig fortzusetzen. Kluge Bildungspolitik und damit die Stärkung des Gymnasiums kann nur funktionieren, wenn die entscheidenden Akteure – Lehrer, Eltern, Bildungsverwaltung und Bildungspolitik – gegenseitig sprachfähig sind. Egal, wie man im Einzelnen zu den Hamburger Schulplänen gestanden haben mag, die Ablehnung der dortigen Regierungspläne ist auch darauf zurückzuführen, dass Eltern und Lehrer sich von den Entscheidungsträgern nicht verstanden fühlten; gleiches galt umgekehrt! Gerade Bildungspolitiker müssen sich zum Ziel machen, die gleiche Sprache wie die unmittelbar Betroffenen zu sprechen. Überheblichkeit, Bevormundungsstrategien und Besserwisserei sind hier fehl am Platz. Das Gymnasium wird von einem besseren Zuhören und dem Willen gemeinsam getragener Verantwortung profitieren, denn seine Stärke und Vorteile werden dann nicht mehr hinter theoretischen und sozialpolitisch motivierten Schlagwortargumenten versteckt werden können.
Personell aufrüsten
Die eigentlich selbstverständlichste Überlegung zum Schluss: Um in den bildungspolitischen Debatten wahrgenommen zu werden, braucht es gute Spieler auf dem Platz. Wer das Gymnasium stärken und vor Angriffen schützen will, muss sich auch personell einbringen. Aus christdemokratischer Sicht halte ich es für das größte und unverzeihlichste Versäumnis, die Kultusministerien in den Ländern anderen überlassen zu haben. Mittlerweile regiert nur noch in Sachsen eine für die Schulen zuständige Landesministerin mit CDU-Parteibuch, wobei diese bezeichnenderweise erst nach Amtsantritt in die CDU eingetreten ist! Wenn die CDU als Befürworterin des Gymnasiums mitspielen will, muss sie ihre besten Leute auf den Platz schicken. Dies gilt auch da, wo keine Regierungsbeteiligung besteht. Hier müssen die schulpolitischen Sprecher der Fraktionen zu den herausragenden Köpfen der Landesparteien werden. Dabei geht es um zweierlei: Erstens muss das Bestreben vorhanden sein, an den politischen Entscheidungsprozessen (die nicht zuletzt maßgeblich innerhalb der Bildungsverwaltungen vorbereitet und beeinflusst werden!) teilzuhaben. Zweitens brauchen auch die Akteure vor Ort – Schulleiter, Lehrer, Eltern – kompetente und in ihrem politischen Bereich einflussreiche Ansprechpartner.
Es besteht kein Zweifel, dass das Gymnasium Angriffen von unterschiedlichen Gruppierungen und aus unterschiedlichen Interessenlagen heraus ausgesetzt ist. Das Gymnasium wird sich aus meiner Sicht diesen Angriffen nur dann erfolgreich erwehren können, wenn es seine Erfolge selbstbewusst herausstellt und Befürworter findet, die sich aktiv und frühzeitig in die Debatten einbringen.
Johannes Dickhut-Bielsky (1981) arbeitet seit 2011 als Referent im Deutschen Bundestag. Er studierte Ältere deutsche Philologie, Neuere deutsche Philologie und mittelalterliche Geschichte in Berlin. Es schloss sich die Promotion in Altgermanistik an. Er ist Altsipendiat der Konrad Adenauer Stiftung und Vorstandsmitglied bei Canisius Kolleg – Freunde und Förderer e.V..