Renate Krekeler-Koch
Es hätte sicher bessere Zeiten gegeben, um als politische Lobbyistin für ein kirchliches Hilfswerk in die Arbeit einzusteigen. Die Staaten dieser Welt scheinen sich immer stärker auf nationale Interessen zurückzuziehen, der Wert multilateraler Zusammenarbeit wird infrage gestellt und das Recht des Stärkeren droht, die Oberhand zu gewinnen. Meinungen haben oft mehr Einfluss als Fakten, und der Dialog wird zunehmend durch gegenseitige Vorurteile zunichte gemacht. Gerade erst haben die USA ihre militärische Hilfe für die Ukraine ausgesetzt. Was das für Auswirkungen auf die Ukraine, die vor drei Jahren von Russland brutal überfallen worden ist, hat, wissen wir noch nicht. Wie wird sich das Verhältnis zwischen Europa und den USA entwickeln? Viele Fragen, wenig Antworten.
Es mag naiv klingen, aber in diesem schwierigen Umfeld wird die politische Arbeit von Renovabis umso bedeutsamer. Es geht nicht nur darum, Hilfe in Not und zur Entwicklung von Gesellschaft und Kirche im Osten Europas zu leisten, sondern auch darum, den Stimmen der Menschen von dort Gehör zu verschaffen und politische Entscheidungen mitzugestalten.
Die Herausforderungen in Osteuropa sind vielfältig. Politische Unsicherheiten, gesellschaftliche Spannungen und wirtschaftliche Krisen prägen die Region. Seit 1993 hat Renovabis, das Osteuropa-Hilfswerk der katholischen Kirche, in den 29 Partnerländern knapp eine Milliarde Euro in über 26.500 Projekten umgesetzt. Renovabis wird dort tätig, wo Partnerinnen und Partner um Unterstützung konkreter Projekte bitten. Sieben Länderreferenten und -referentinnen stehen in engem Kontakt und besuchen die Partnerorganisationen regelmäßig. Dieser Ansatz ist zentral: Renovabis versteht sich als Solidaritätsaktion mit den Menschen im Osten, nicht nur für diese.
Renovabis setzt sich nicht nur durch direkte Unterstützung, sondern auch durch gezielte Dialog- und politische Lobbyarbeit für die Menschen in diesen Ländern ein. Die neue Repräsentanz soll als Brücke zwischen den Partnern in Osteuropa und politischen Entscheidungsträgern in Deutschland und der EU dienen. Ziel ist es, die Situation der Menschen vor Ort in den politischen Diskurs einzubringen und konkrete Maßnahmen zur Förderung sozialer Gerechtigkeit anzustoßen. Dabei geht es nicht nur um kurzfristige Hilfe, sondern um strukturelle Veränderungen, die langfristig Perspektiven schaffen.
Ein Schwerpunkt der Lobbyarbeit liegt auf der Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Politik in der Entwicklungszusammenarbeit. Ebenso entscheidend ist die Sicherstellung langfristiger finanzieller Unterstützung für humanitäre und soziale Projekte in Osteuropa, die Förderung der Religionsfreiheit und der Rechte von Minderheiten sowie der Schutz und die Unterstützung der Zivilgesellschaft in autoritären und instabilen politischen Umfeldern. In vielen Ländern Mittel- und Osteuropas übernimmt die Kirche nicht nur eine spirituelle, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Sie ist ein wichtiger Akteur in Bildung, sozialer Unterstützung und Friedensarbeit. Besonders in Zeiten von Krisen und Kriegen bietet sie Schutz und Orientierung für die Menschen. Renovabis unterstützt diese kirchlichen Strukturen und macht ihre Bedeutung in der politischen Debatte sichtbar. Ein zentrales Anliegen ist es, die differenzierte Wahrnehmung der osteuropäischen Länder zu fördern. Die Region ist geprägt von einer großen Vielfalt an historischen, politischen und kulturellen Erfahrungen und Realitäten. Eine einseitige Betrachtung wird ihrer Komplexität nicht gerecht. Daher setzt sich Renovabis dafür ein, dass politische Strategien die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen und mit den Menschen vor Ort entwickelt werden.
Ein besonders dringendes Anliegen bleibt die humanitäre Hilfe in der Ukraine, die seit dem russischen Angriffskrieg im Februar 2022 eine zentrale Rolle spielt. Renovabis hat seit Kriegsbeginn mehr als 30,6 Millionen Euro bereitgestellt und damit rund 460 Projekte unterstützt. Die Hilfe reicht von der Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Winterkleidung, den Bau von Schutzräumen und lokalen Heizkraftwerken bis hin zu psychosozialer Begleitung für traumatisierte Menschen.
Kirchliche Träger sind aber auch erfolgreich in der Konzeption und Umsetzung von nachhaltigen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, wie beispielsweise der Förderung ökonomischer Perspektiven in strukturschwachen, ländlichen Räumen. Doch diese Hilfen sind gefährdet, da finanzielle Mittel und internationale Unterstützung zunehmend unsicher werden. Dass USAID über Nacht einseitig alle Verträge mit ukrainischen Partnern aufgelöst hat, ist ein deutliches Zeichen. Besonders betroffen sind Programme und Projekte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Justizreform, Gesundheitswesen und weiteren zentralen Feldern. Gerade hier wird die Zukunft der Ukraine als Teil unserer europäischen Wertegemeinschaft gestaltet. Dies gilt es unterstützen und nicht kaputt zu sparen.
Durch die Repräsentanz in Berlin verstärkt Renovabis seine Vernetzung mit politischen Institutionen, Ministerien und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ziel ist es, nicht nur auf Missstände hinzuweisen, sondern auch als Substrat zwischen Analyse und Aktivismus zu wirken, um fundierte Expertise aus der langjährigen Partnerarbeit in die politische Diskussion einzubringen.
In einer Zeit, in der nationale Interessen oft über das Wohl der Schwächsten gestellt werden, setzt Renovabis ein klares Zeichen: Solidarität muss politisch wirksam werden. Es bleibt die Aufgabe aller, für eine Welt einzutreten, in der nicht das Recht des Stärkeren zählt, sondern das christliche Prinzip der Nächstenliebe.

Renate Krekeler-Koch, Leiterin der Berlin Repräsentanz von Renovabis