Die Zukunft der Ökumene

Dr. Ulrich Ruh

Die evangelisch-katholische Ökumene findet sowohl innerhalb wie außerhalb der Kirchen derzeit nur wenig Aufmerksamkeit. Das kann einerseits Wunder nehmen: Schließlich ist Deutschland das einzige der größeren europäischen Länder, das seit Jahrhunderten ein Mit- und Gegeneinander zweier prägender christlicher Gemeinschaften aufweist. Der evangelisch-katholische Dualismus in seinen wechselnden Gestalten gehört hierzulande sozusagen zur historischen DNA, vom nachreformatorischen „Heiligen Römischem Reich deutscher Nation“ bis zur Bundesrepublik. Nicht zuletzt war Deutschland dann auch ein Mutterland der modernen ökumenischen Bewegung im Blick auf Protestanten und Katholiken, teilweise angestoßen durch gemeinsame Verfolgungserfahrungen unter der nationalsozialistischem Herrschaft.

Die ökumenische Bewegung hat mit dazu beigetragen, dass die früher massiven konfessionellen Gegensätze inzwischen verschwunden sind und die beiden großen Kirchen auf allen Ebenen im Regelfall störungsfrei und konstruktiv miteinander auskommen. (Nachbemerkung zur Kirchenspaltung: In dem kürzlich erschienenen Buch „Schicksalsjahr 1925“ von Wolfgang Niess findet sich das aufschlussreiche Detail, dass während der Trauerfeier für den aus der katholischen Kirche ausgetretenen ersten Weimarer Reichspräsidenten Friedrich Ebert in Berlin und an verschiedenen anderen Orten in Deutschland die Glocken der katholischen Kirchen läuteten – während die evangelischen Kirchturmglocken zumeist stumm blieben.)

Wichtige ökumenische Vorstöße aus der Theologie sind allerdings eher die Ausnahme als die Regel, so etwa das Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“, das der renommierte „Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen“ mit seinem Plädoyer für eine gegenseitige Zulassung zum Abendmahl vor einigen Jahren veröffentlichte. Die geringe Resonanz des Papiers lässt sich zum einem aus der Tatsache erklären, dass es in der kirchlichen Praxis offene Türen einrannte, und hängt zum anderen mit dem allgemein fehlenden Interesse an theologischen Fragen in der Öffentlichkeit zusammen.

Der sich auch darin äußernde Ernst der Lage ist beiden den religiösen Sektor in Deutschland nach wie vor dominierenden Kirchen inzwischen durchaus bewusst. Es gibt genügend Prognosen über den weiter abnehmenden Mitgliederbestand und entsprechende Rückgänge bei den Kirchensteuermitteln als den wichtigsten Einnahmequellen. Auf evangelischer wie auf katholischer Seite macht man sich angesichts dieser düsteren Perspektiven Gedanken im Blick auf die Zukunft des kirchlichen Lebens und entwirft Pläne für einen mehr oder weniger radikalen Umbau in den Strukturen kirchlicher Präsenz. Aber ergibt sich angesichts dieser Situation schon so etwas wie eine „Ökumene des Sparens“ beziehungsweise des Kahlschlags?

Zunächst ist es gutes Recht und sogar Pflicht, dass sich evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer um ihre jeweils eigenen finanziellen und strukturellen Belange kümmern. Schließlich kann man die eigenständigen kirchlichen Territorien in Deutschland mit ihren regionalen Prägungen nicht über einen Kamm scheren. Unterschiedliche Vorgehensweisen ergeben sich nicht zuletzt aus dem jeweiligen kirchlichen Selbstverständnis, das sich in der Organisation niederschlägt. Katholische Bischöfe haben andere Durchgriffs- und Entscheidungsmöglichkeiten als evangelische Kirchenleitungen mit ihren Synoden. Dass es beispielsweise in der Erzdiözese Freiburg künftig nur noch 36 große Pfarreien geben wird, ist letztlich eine Entscheidung des zuständigen Erzbischofs.

Trotz aller rechtlichen Unterschiede sollten evangelische und katholische Kirche hierzulande den praktisch flächendeckenden Umbau nicht mit dem Rücken zueinander angehen beziehungsweise durchführen, sondern sich jeweils informieren, kontaktieren und auch abstimmen. Auch verstärkte Kooperationen zwischen evangelischen und katholischen Einrichtungen auf geeigneten Arbeitsfeldern wären vorstellbar und angesichts von Sparzwängen wohl auch geboten. Man denke etwa an den Bereich der klassischen Theologischen Fakultäten und anderen Ausbildungsstandorten für evangelische und katholische Theologie.

Dazu kommt, dass sich das verbleibende „Kirchenvolk“ beider Gemeinschaften in seinem Profil deutlich einander angenähert hat. Von kleinen Minderheiten abgesehen hat sich längst ein gemeinsames „Normalchristentum“ entwickelt, das im kirchlichen Teilnahmeverhalten und in der Art der Identifikation mit der Kirche und ihrem Glauben eher dem protestantischen Modell entspricht: Höchstens sporadischer Gottesdienstbesuch, Passageriten wie Erstkommunion bzw. Konfirmation, kirchliche Trauung und Beerdigung als Option. Das sprichwörtliche „katholische Milieu“ gibt es in Deutschland nur noch in Restbeständen. Von daher sind auch offizielle ökumenische Bemühungen der evangelischen oder katholischen Kirche für die meisten nominellen Kirchenmitglieder kaum von Bedeutung.

Bei den traditionellen kirchlich-theologischen Kontroversfragen ist auf katholischer Seite durch die Diskussion über eine „Synodalisierung“ einiges in Bewegung gekommen. So gibt es in diesem Zusammenhang etwa Bestrebungen zugunsten neuer Verfahren für Bischofsernennungen. Aber auch eine im Konkreten noch gar nicht absehbare „synodale“ katholische Kirche in Deutschland wird eine in die Universalkirche mit dem Papst eingebundene katholische Kirche bleiben – und auch die evangelische Kirche dürfte ihr Grundmodell einer geteilten Kirchenleitung mit entscheidungsberechtigten Synoden nicht zur Disposition stellen.

Auch in der ökumenischen Zukunft wird es also in Deutschland zwei große Kirchen mit unterschiedlicher Struktur und unterschiedlichem Profil geben. Sie wären gut beraten, ihre jeweiligen Stärken im Rückgriff auf ihre spezifischen religiösen, kulturellen und sozialen Traditionen und in einem produktiven Umgang mit ihnen in die Gesellschaft einzubringen, in einem selbstbewussten wie bescheiden-ehrlichen Wettstreit und in gegenseitiger Lernbereitschaft angesichts der herausfordernden Grundaufgabe, den christlichen Glauben unter unseren spätmodernen Bedingungen zu bezeugen.


Dr. Ulrich Ruh

Dr. Ulrich Ruh (1950) ist Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau und war 1991 – 2014 Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“. Er studierte Katholische Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen und legte 1974 das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Danach war er bis 1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Freiburg (Prof. Karl Lehmann) am Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie. 1979 wurde er in Freiburg mit einer Arbeit über Begriff und Problem der Säkularisierung zum Dr. theol. promoviert und trat im gleichen Jahr in die Redaktion der „Herder Korrespondenz” ein.

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