Christina Albrecht-Eisel kritisiert, dass Geflüchtete durch mangelnden Internetzugang in Pandemiezeiten daran gehindert sind, ihrer Pflicht zum Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen nachzukommen.
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Christina Albrecht-Eisel
Internetzugang für Geflüchtete – Recht oder billig?
In Zeiten der Corona-Krise ist die Dringlichkeit der Digitalisierung im Bildungsbereich wieder in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion gerückt. Chancengleichheit und die damit einhergehende Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe sind ein demokratisches Grundrecht. Ohne Zugang zu digitalen Medien sind Bildungsangebote in einer globalisierten Welt schon jetzt erschwert und zukünftig immer weniger wahrnehmbar. Gesellschaftliche Teilhabe ist zunehmend an den Ausbau digitaler Netze gekoppelt. Darüber besteht ein gesellschaftlicher Konsens.
Dieser Konsens schließt allerdings Geflüchtete offenbar nicht ein. So stellt beispielsweise die Integrationsbeauftragte des Bonner Stadtdekanats Konstanze Nolte hinsichtlich der Bonner Flüchtlingsunterkünfte fest: „Bis auf eine Flüchtlingsunterkunft sind alle nur grottig mit WLAN ausgestattet.“ Die Notwendigkeit von Internetverbindungen für den Spracherwerb der Geflüchteten und die Kommunikation mit ihren ehrenamtlichen Flüchtlingspaten sei längst bekannt und deren Dringlichkeit durch die Absehbarkeit der pandemischen Entwicklung vorhersehbar gewesen. Der Ausbau von funktionierenden WLAN-Netzen sei aber dennoch nicht vorangetrieben worden. Erst nach einem Anstoß des katholischen Stadtdekanats Bonn sei die Stadt nun aktiv geworden. Bonn ist hier nur ein Beispiel von vielen.
Das ist umso unverständlicher, als die Pflicht für Geflüchtete in Deutschland zu einem raschen Spracherwerb selbstverständlich vorausgesetzt und das Bestehen der abzulegenden Sprachprüfungen als recht und billig abgesehen wird. Die dafür nötigen Voraussetzungen werden ihnen aber verwehrt. In Flüchtlingsunterkünften in Deutschland ist das Zugangsrecht zu digitaler Bildung nicht selbstverständlich. Meist gibt es dort überhaupt keinen WLAN-Zugang. Als Begründung wird oftmals angegeben, ein solcher Anschluss für Flüchtlinge sei „zu teuer“ und der dauerhafte Verbleib der Flüchtlinge in Deutschland ohnehin nicht vorgesehen! Oft wird in den Unterkünften nicht einmal für einen privaten, selbst finanzierten Anschluss eine Erlaubnis erteilt.
Eine solche Haltung hat allerdings schwerwiegende Konsequenzen für die gesellschaftliche Integration der Geflüchteten. Schon vor der Corona-Krise waren die meisten Geflüchteten in Integrationskursen im Deutschunterricht deutlich benachteiligt. So sind Angebote zum Spracherwerb über die mit hohem finanziellem Aufwand (!) eingerichteten digitalen Lern-Plattformen z.B. der Volkshochschulen für sie schwer zugänglich. Als Hotspots zur digitalen Bearbeitung von Hausaufgaben mussten so vor der Corona-Krise u.a. absurderweise Fastfood-Ketten herhalten. Im Zuge der Pandemie sind nun selbst diese Hotspots als „Notnagel“ weggefallen.
Dass der fehlende Internetzugang nicht nur die Migranten selbst, sondern auch die schulische Eingliederung ihrer Kinder und deren berufliche Zukunft betrifft, versteht sich von selbst. Nur wenige Geflüchtete mit fehlender Internetverbindung verfügen über die finanziellen Möglichkeiten des privaten Kaufs von zureichenden Datenkontingenten für ihre Mobilgeräte.
Im Übrigen war in Zeiten, in denen noch Präsenzunterricht in den für Migranten verpflichtenden Sprachkursen, den sog. Integrationskursen, erfolgen konnte, eine digitale Basis-Schulung für etwaigen Online-Unterricht angesichts der sich verschärfenden Corona-Krise meist unmöglich. Viele Bildungsträger stellen in ihren Unterrichtsräumen keine WLAN- Verbindung zur Verfügung. Und selbst wenn – nur wenige Geflüchtete besitzen Tablets für einen derartigen Unterricht, denn deren Erwerb ist zu viel teuer für sie. Mittel dafür sind in der Grundsicherung nicht vorgesehen.
Umso befremdlicher ist es, dass seitens des für die Integrationskurse zuständigen BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) vorgesehen ist, den Sprachunterricht nun ab sofort für alle Integrationskurse digital über die oben erwähnten VHS-Lernportale durchzuführen. Das schließt selbst die Alphabetisierungskurse für Migranten ein, die nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben können.
Sprachprüfungen, deren Bestehen für die Migranten verpflichtend ist, sollen nun auch von Bildungsanfängern unter den Geflüchteten selbst auf dem niedrigsten Niveau A1 digital abgelegt werden. Dabei ist alleine schon der Zugang, das Einloggen in diese digitalen Lernangebote (sog. „virtuelle Klassenräume“) zu komplex gestaltet: Viele Geflüchtete und selbstredend die Teilnehmer von Alphabetisierungskursen verfügen z. B. nicht über die dafür vorausgesetzte E-Mail-Adresse.
So bleibt für erhebliche Teile der Zielgruppe der vom BAMF geförderten Sprachkurse mangels WLAN, wegen zu teuren technischen Equipments und für sie ungeeigneter digitaler Lernangebote der Zugang versperrt. Es wäre wünschenswert, wenn das BAMF offen wäre für Vorschläge zur Aufrechterhaltung zumindest des erreichten Lernstandes in den Sprachkursen: So könnte z.B. bis zur Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts Teilnehmern, die online-Unterricht schlichtweg nicht wahrnehmen können, zumindest individueller Konversationsunterricht über von ihnen täglich genutzte Plattformen wie Whatsapp ermöglicht werden. Fast alle Geflüchteten besitzen ein Smart-Phone und auch Analphabeten unter ihnen können mit einfach zu handhabenden Videochats umgehen. Angesichts fehlender WLAN-Netze in den Flüchtlingsunterkünften wäre zu überlegen, ob nicht Mittel für den Erwerb eines bestimmten Datenkontingents für Unterrichtszwecke in der Grundsicherung enthalten sein sollten, damit sich auch die Geflüchteten und ihre Kinder angesichts der teuren Datenraten ihrer Mobilfunkanbieter Bildungsangebote „leisten“ können.
Wie teuer sind uns als Gesellschaft „unsere“ Geflüchteten? Was sich auf den ersten Blick als „billig“ darstellt, könnte uns ob populistischer Dogmen, der digitale Bildungsweg mit dem dafür erforderlichen technischen Equipment sei für Geflüchtete wegen eines möglichen „Bleibeanreizes“ unbillig, teuer zu stehen kommen. Sprachliche Integration ist ebenso wie ein generell qualifizierter Umgang mit Informationen aus dem Netz unabdingbar für den gesellschaftlichen und politischen Frieden in unserem Land.
Christina Albrecht-Eisel (1958) ist freiberufliche Diplom-Übersetzerin für Türkisch und Indonesisch und seit vielen Jahren als Lehrerin mit den einschlägigen Qualifikationen in Sprach- und Integrationskursen für Geflüchtete tätig. Außerdem gibt sie seit fast dreißig Jahren im Auftrag des Auswärtigen Amtes dessen Mitarbeitern Türkisch-Unterricht.