HANS MAIER – NATÜRLICHE AUTORITÄT

Heinrich Oberreuter würdigt zu dessen 90. Geburtstag am 18. Juni 2021 das Wirken des Politikwissenschaftlers, früheren bayrischen Kultusministers und langjährigen Vorsitzenden des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) Hans Maier und beschreibt ihn als intellektuell beispielhaft, fachlich kompetent, beruflich bewährt, politisch gestaltungskräftig und zugleich unabhängig von Politik als Droge und Karrierevehikel.

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Heinrich Oberreuter
Hans Maier – Natürliche Autorität

Intellektuell beispielhaft, fachlich kompetent, beruflich bewährt, politisch gestaltungskräftig – aber von Politik als Droge und Karrierevehikel gänzlich unabhängig: das Ansehen der Politik und ihres Personals bewegte sich nicht in üblichen Tiefen, gälten diese Qualitäten unverbrüchlich bei der Rekrutierung unseres politischen Führungspersonals. Für Hans Maier, der nun auf 90 Lebensjahre zurücksieht, galten sie stets, als Person ohnehin und nicht zuletzt ganz gleich, welche Ämter er bekleidete, im politischen wie im katholischen Milieu. Im Privaten beispielhaft zu sein, entbehrt zwar nicht der Herausforderungen, die sich aber unermesslich steigern, sobald das Private ins öffentliche Leben hineinwächst, weil es die Verantwortung für den Nächsten und das Gemeinwohl erkennt.

Wie sagte doch Dante? „Wer sich nämlich nicht darum sorgt, zum öffentlichen Wohl einen Beitrag zu leisten, obwohl er mit den Lehren, die dieses Wohl betreffen, vertraut ist, der zweifle nicht daran, daß er seine Pflicht versäumt.“ Diese Mahnung läßt sich als Weisung für Hans Maiers Lebensweg begreifen. Denn das öffentliche Wohl ist Gegenstand der Politikwissenschaft in ihrem klassischen Verständnis durch die Zeit. Für den Politiker ist es Ziel konkreten Handelns, notfalls gegen die Übermacht gesellschaftlicher Stimmungen oder parteipolitischer Verengungen. Für den Christen ist es eine Aufforderung, ihm mit seinen Grundwerten zu dienen.

So scheint der Weg in politische Verantwortung geradezu vorgezeichnet. Gleichwohl ist er es nicht. Zum einen läßt sich eine glanzvolle wissenschaftliche Karriere nicht so einfach mit einer üblichen politischen verbinden. Zum anderen suchen Parteien gewöhnlich nicht gerade vor ihren Toren nach Profilierten, es so denn, sie fühlen sich in Not. So wurde Hans Maier in bewegten Zeiten gerufen, als Hochschul- und Bildungspolitik an der Spitze der Tagesordnung und Studenten auf der Straße standen. Standen? Um Systemveränderung kämpften – nicht nur hochschulpolitisch! Als einer von wenigen hatte sich Maier dieser Bewegung schon in der Universität entgegen gestellt, offen für den Diskurs, nicht offen für Zerstörerisches, sondern Pluralismus und Toleranz stets verteidigend. Er wurde zu einer Zeit, in der sich kaum jemand nach diesem dornenvollen Amt drängte, zunächst der jüngste, dann der dienstälteste Kultusminister der Republik, höchsten Ansehens obendrein. Ideologischen Grabenkämpfen begegnete er ungetrübt mit Rationalität. Binnen kurzem hat er vom Kindergarten bis zu den Hochschulen die bildungspolitische Landschaft neu vermessen, darüber hinaus das ganze kulturelle Feld mit Musik (selbst begnadeter Organist!) Theater, Kunst und Denkmalschutz sowie die Verbindung mit den Kirchen gepflegt. Sein Wort fand Gehör über parteiliche und regionale Grenzen hinaus.

Warum? Weil er weder zu vereinnahmen, noch zu instrumentalisieren war. Seine Selbständigkeit im Urteil, seine Klarheit in Haltung und Verhalten und seine Bindung an das Amtsethos ließ er nie zweifelhaft werden. Auch die Ministerialen, das „Haus“, hatten zu lernen, daß der ursprüngliche Fremdling sich nicht beherrschen ließ. Natürlich war Parteibindung kein Fremdwort, und die Mechanismen des Politik- und Fraktionsbetriebs erschloß er sich, um handlungsfähig zu sein. Doch war ihm Parteidisziplin im Zweifel nie oberster Maßstab. Intellektuell untermauerte Eigenständigkeit gilt im politischen Getriebe jedoch nicht unbedingt als Tugend, obgleich sie für dessen Reputation insgesamt eher nützlich erscheint. Maier jedenfalls hat sie auch in tiefere Konflikte mit dem Bayernherrscher Franz Josef Strauß geführt, in denen er nicht nachgab: nicht im Kleinkrieg um Ressortverantwortlichkeit, nicht als Strauß den Kabinettsmitgliedern nach einer ersten noch eine weitere eidesstattliche Erklärung über korrektes Verhalten in einem delikaten Fall abverlangte, durch die der Kultusminister die Würde des Amtes verletzt sah, und nicht als Strauß ihm die Hälfte des Ministeriums wegnehmen und seine Zuständigkeit auf den Hochschulbereich beschränken wollte: Maier ließ sich darauf nicht ein und verzichtete ganz, was ihm nicht leichtgefallen ist, aber seiner Haltung entsprach. Die ließ er sich vom politischen Betrieb nicht abschleifen, auch wenn er an ihm Gefallen gefunden hatte.

Im christlichen, im katholischen Engagement, das ihm, betrachtet man Vita und Werk, mindestens gleich wichtig ist wie das wissenschaftliche und politische, verhielt es sich nicht anders. Aus seiner Orientierung hat er nie ein Hehl gemacht, ohne sie je anderen aufzudrängen. Ein anderes als ein offenes Klima war ihm stets fremd. Daß Christen in der Politik nicht klüger sind als andere, daß es keine politischen Patentrezepte aus der Bibel gibt und Christen sich in unterschiedlichen Parteien zuhause fühlen können – kaum jemand hat es früher und besser formuliert, wie auch, daß der Pluralismus den eigenen Positionen nicht nur Räume eröffnet, sondern im Kern auch verlangt, sie in den öffentlichen Diskurs einzubringen, statt sich wohlfeil spiritualistisch zurückzuziehen. Wissen, analytische Fähigkeiten und Verantwortungsbewusstsein macht er ethischem Urteilen

zur Voraussetzung, über das eng Konfessionelle übrigens hinaus: Katholiken und Protestanten sollten sich nicht nur in der eigenen, sondern auch in der jeweils anderen Kirche wiederfinden:“mit Gottes Hilfe“, gewiß aber auch mit dem Ziel gesteigerter Vernehmbarkeit in der Kakophonie der Meinungen. Speziell innerkatholisch sind dagegen über Jahrzehnte die Mahnungen Richtung Rom: zu einer funktionsgerechten Kurienreform, zu stärkerer Kollegialität und zum Vorrang verantworteter Freiheit. Wie in der Politik forderten auch hier Eigenständigkeiten Autoritäten heraus, wie die unversöhnlich endende nächtliche Auseinandersetzung in Paris mit Kardinal Ratzinger über die katholische Beteiligung an der Beratung in Schwangerschaftskonflikten zeigt. Jahre zuvor hatte Maier gemeinsam mit Ratzinger ein Buch über Demokratie in der Kirche veröffentlicht. Nun aber mündete der Konflikt in die Gründung von „Donum Vitae“ – gegen Rom. Auch im Christlichen führt geteilte Gemeinsamkeit in grundsätzlicher Orientierung nicht zur Preisgabe von Haltung und Überzeugung, nur weil Autoritäten widersprechen.

Man kann sich natürlich fragen, ob eine knappe Laudatio sich ausgerechnet auf die hier genannten Bereiche konzentrieren soll. Sie soll es: nämlich von der Frage angeleitet, was von einer Persönlichkeit wie Hans Maier nicht in der Rückschau, sondern für Aktualität und Zukunft beispielgebend bleibt, nicht zuletzt im Blick auf die politische Repräsentation gerade in Zeiten sich verändernden, wenn nicht sogar schwindenden Rollen- und Amtsverständnisses, auch in Zeiten immer oberflächlicherer Urteilsbildung. Immerhin läßt sich an ihm zeigen, daß die in den ersten Zeilen genannten Tugenden eine Chance haben. Voraussetzung: man folgt ihnen auch wie der Jubilar, der sich nie gescheut hat, Position zu beziehen. Zeitgeist und Opportunismus Opfer zu bringen, war ihm fremd, Argumente vorzulegen, Gründe und Gegengründe in Respekt vor der anderen Meinung abzuwägen, schien ihm unvermeidlich. Auf Stromlinie ist so jemand nicht zu bringen. Aber es nützt dem Amt und seinem Ethos ebenso wie der Gesprächsfähigkeit und der Vermittlungskompetenz seines Inhabers. Daraus wächst natürliche Autorität.

Hans Maier, war, wie die wenigen Bemerkungen hier zeigen, auch kein Konservativer. Er selbst schreibt sich in seinen Erinnerungen zutreffend zu, nicht nur bewahrt, sondern auch erneuert und reformiert zu haben und für seine Einsichten nicht längere Zeit gebraucht zu haben als die „Progressiven“. Er fragt: „War bei mir nicht der Groschen manchmal -und gar nicht selten – viel rascher gefallen als bei Liberalen und Sozialisten? Waren diese nicht oft die langsamer lernenden Schüler – hielten sie nicht viel länger an überlieferten Vorstellungen fest als ich?“ Auch dafür spricht einiges. Wem zur rechten Zeit nichts einfällt, wird dem Zeitgeist hinterherlaufen, statt Gestaltungskompetenz zu entfalten.

Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Oberreuter (1942) war von 1980 bis 2010 Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Passau. 1991 wurde er zum Gründungsdekan für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Technischen Universität Dresden berufen. 1993 – 2011 übernahm Oberreuter zusätzlich das Amt des Direktors der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Seit 2012 hat er  die Redaktionsleitung für die Neuauflage des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft inne.

Dieser Beitrag erschien auch in Nr. 568 der Zeitschrift „Die Politische Meinung“ im Mai/Juni 2021.

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